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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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bis die Kräfte erschöpft waren. -- Es ist das eine Erfahrung, die man in Eng¬
land sehr häufig macht. Der Sinn für gute lyrische Musik ist selten, und auch
daun zum Theil affectirt, dagegen werden Lieder von der Art unsres Studenten¬
liedes : Was kommt da von der Höh', da kommt ein lederner Fuchs u. s. w. einen
größern Anklang finden, als selbst in den Kreisen, für die sie ursprünglich bestimmt
waren. -- In der nationalen Anlage liegt das eigentlich nicht, namentlich die
Schotten und Iren haben eine nicht geringe Zahl so wunderschöner volksthümlicher
Melodien, daß die südlichen Völker bedeutend dahinter zurückstehen. Für die
geringere Ausbildung dieser melodischen Anlage kann also der Grund wol nur in
der vorwiegend praktischen Richtung des Volks gesucht werden. Die Wiederauf¬
findung der alten Weisen zu Anfang dieses Jahrhunderts war ein ganz neuer
Fortschritt der Englischen Poesie, und entsprang aus jener anerkennenswerther
Romantik, die ich bei Walter Scott geschildert habe. -- Es ist übrigens anch
ein falsches Vorurtheil, daß die Englische Sprache eine geringere Befähigung zur
Lyrik haben soll, als die romanischen Sprachen, weil ihr der sinnliche Wohllaut
fehle. Es wird dieser Mangel vollständig ersetzt dnrch die größere Fähigkeit zur
rhythmischen Bewegung, welche den romanischen Sprachen fast ganz abgeht, und
durch die größere spiritualistische Innigkeit, die sie verstattet. Thatsächlich wird
Niemand daran zweifeln, daß die germanische Lyrik, d. h. die Deutsche und Eng¬
lische, wenigstens in der neuen Zeit, unendlich reichhaltiger und auch intensiv viel
ausgebildeter ist, als die der Spanier, Franzosen und Italiener zusammenge¬
nommen, und der Grund möchte zum Theil gerade in der Schwierigkeit des Mate¬
rials liegen. Die Italiener können mit der größten Bequemlichkeit einzelne Phra¬
sen zusammenstellen, es klingt immer gut, und darum verlieren sie sich leicht in
Trivialität; der Deutsche und Britte muß seiner widerstrebenden Sprache erst den
Wohllaut abkämpfen, wenn es ihm aber gelingt, so wird auch etwas Bedeu¬
tendes daraus. -- Uebrigens ist es damit auch nicht so schlimm. Die Englische
Sprache steht zwar hinter der Deutschen weit zurück, was die Reinheit der Laute
betrifft; dagegen hat sie weniger Härten. Die Kürze ihrer Worte bringt zwar
häufig in ihren Rhythmus etwas Schwerfälliges, dafür verstattet sie eine größere
Concentration.

Was ferner den Inhalt betrifft, so bestrebt sich die wiederanskeimende Eng¬
lische Lyrik vor allen Dingen, sich in den bereits vorhandenen alten nationalen
Stoff zu vertiefen. In Deutschland geschah dies erst ans einem Umwege. Zwar
hatte sich die kosmopolitische Gesinnung bald erschöpft, und man sah sich genöthigt,
zu der Naturwüchsigkeit des Volksliedes zurückzukehren, allein nebenher ging doch
ein wüster, transscendentaler, halb Griechischer, halb Gothischer Idealismus, der
dem gesunden Gefühl des Volkes widerstreben mußte, weil er ohne alle Basis
war. Dafür verfiel man ans der andern Seite dem entgegengesetzten Extrem.
Je roher, unklarer und romantischer die nationale Vorstellung war, für desto poe-


bis die Kräfte erschöpft waren. — Es ist das eine Erfahrung, die man in Eng¬
land sehr häufig macht. Der Sinn für gute lyrische Musik ist selten, und auch
daun zum Theil affectirt, dagegen werden Lieder von der Art unsres Studenten¬
liedes : Was kommt da von der Höh', da kommt ein lederner Fuchs u. s. w. einen
größern Anklang finden, als selbst in den Kreisen, für die sie ursprünglich bestimmt
waren. — In der nationalen Anlage liegt das eigentlich nicht, namentlich die
Schotten und Iren haben eine nicht geringe Zahl so wunderschöner volksthümlicher
Melodien, daß die südlichen Völker bedeutend dahinter zurückstehen. Für die
geringere Ausbildung dieser melodischen Anlage kann also der Grund wol nur in
der vorwiegend praktischen Richtung des Volks gesucht werden. Die Wiederauf¬
findung der alten Weisen zu Anfang dieses Jahrhunderts war ein ganz neuer
Fortschritt der Englischen Poesie, und entsprang aus jener anerkennenswerther
Romantik, die ich bei Walter Scott geschildert habe. — Es ist übrigens anch
ein falsches Vorurtheil, daß die Englische Sprache eine geringere Befähigung zur
Lyrik haben soll, als die romanischen Sprachen, weil ihr der sinnliche Wohllaut
fehle. Es wird dieser Mangel vollständig ersetzt dnrch die größere Fähigkeit zur
rhythmischen Bewegung, welche den romanischen Sprachen fast ganz abgeht, und
durch die größere spiritualistische Innigkeit, die sie verstattet. Thatsächlich wird
Niemand daran zweifeln, daß die germanische Lyrik, d. h. die Deutsche und Eng¬
lische, wenigstens in der neuen Zeit, unendlich reichhaltiger und auch intensiv viel
ausgebildeter ist, als die der Spanier, Franzosen und Italiener zusammenge¬
nommen, und der Grund möchte zum Theil gerade in der Schwierigkeit des Mate¬
rials liegen. Die Italiener können mit der größten Bequemlichkeit einzelne Phra¬
sen zusammenstellen, es klingt immer gut, und darum verlieren sie sich leicht in
Trivialität; der Deutsche und Britte muß seiner widerstrebenden Sprache erst den
Wohllaut abkämpfen, wenn es ihm aber gelingt, so wird auch etwas Bedeu¬
tendes daraus. — Uebrigens ist es damit auch nicht so schlimm. Die Englische
Sprache steht zwar hinter der Deutschen weit zurück, was die Reinheit der Laute
betrifft; dagegen hat sie weniger Härten. Die Kürze ihrer Worte bringt zwar
häufig in ihren Rhythmus etwas Schwerfälliges, dafür verstattet sie eine größere
Concentration.

Was ferner den Inhalt betrifft, so bestrebt sich die wiederanskeimende Eng¬
lische Lyrik vor allen Dingen, sich in den bereits vorhandenen alten nationalen
Stoff zu vertiefen. In Deutschland geschah dies erst ans einem Umwege. Zwar
hatte sich die kosmopolitische Gesinnung bald erschöpft, und man sah sich genöthigt,
zu der Naturwüchsigkeit des Volksliedes zurückzukehren, allein nebenher ging doch
ein wüster, transscendentaler, halb Griechischer, halb Gothischer Idealismus, der
dem gesunden Gefühl des Volkes widerstreben mußte, weil er ohne alle Basis
war. Dafür verfiel man ans der andern Seite dem entgegengesetzten Extrem.
Je roher, unklarer und romantischer die nationale Vorstellung war, für desto poe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/250>, abgerufen am 02.07.2024.