Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Elysve dergleichen vermuthen, und unsrer jetzigen Kammer gegenüber ist Alles
möglich, da begreift sich jede Herausforderung.

Doch wenden wir unsern Blick heiterern Dingen zu. Im Gymnase erregt
ein Stück getanzter Geographie fortwährend die Begeisterung des Pariser Publi-
cums. Das Spanische Ballet, das daselbst seine Vorstellungen giebt, gehört
auch in der That zu den reizendsten Darstellungen dieser Art, und verdient den
vollen Beifall der sachkundigen Pariserinnen. Die Petra Camera hat uns die
Cachucha, die Gitana und wie die andern von Castagnetten begleiteten Spani¬
schen Wunder heißen mögen, die Cervantes mit so glühenden Farben schildert,
so zu sagen erst offenbart; was wir bisher gesehen, war nur eine matte Nach¬
ahmung, eine schlechte Ueberhebung der schönen Volkspoesie, welche die feurigen
Andalusierinnen mit den Füßen dichten. Doch nein, der Fuß ist noch nicht die
Hauptsache, was wir an der Petra Camera bewundern, das sind nicht Pirouetten,
nicht Entrechats, nicht Triller, nicht akademische Stellungen, ihre Leistungen haben
einen ganz andern Charakter, als die bisher genannten. Die Petra Camera tanzt
mit dem Kopfe, mit den Augen, mit dem ganzen Leibe, ich möchte sagen mit dem
Blute. Der Spanische Tanz, wie er uns hier entgegentritt, ist die Kundgebung
einer naiven Sinnlichkeit, die im heißen Blute, im heißen Klima auf dem mit Oran¬
gen und Granaten geschmückten Boden des schönen Spaniens seinen Grund hat.
Er ist der Ausdruck einer keuschen Leidenschaft von Naturkindern, die noch nicht
vom Baume der Erkenntniß gegessen haben, und ihre Gefühle nicht mit dem
Feigenblatte der heuchlerische" Civilisation bedecken. Dieses Tanzen hat einen
Sinn, weil uus die Tanzenden als eben so viele Priesterinnen erscheinen, ein
Tempel der Natur und der Liebe, wahrend unser Tanz eine Convention ist, und
darum eine Lüge, eine Unnatur. Die keusche Liebe, und wäre sie noch so leiden¬
schaftlich, noch so sinndnrchglüht, scheut das entheiligende Wort, und wirklich Lie¬
bende haben sich schon Alles mit dem Blicke gesagt, was zwei sehnsuchtsvolle Her¬
zen sich nur sagen können. Die Gefühle, die ihre Seele bewältigen, sind zu
mächtig, als daß sie im matten Worte ihren vollen Ausdruck finden könnten. Nur
die Sprache der Augen und deren plastische Weiterbildung, wie sie in den Natio¬
naltänzen sich wiedergiebt, vermögen die Gefühle des Herzens ausreichend darzu¬
stellen. Die Petra Camera giebt uns ein Bild von Dem, was der Tanz sein
mochte, als er den Völkern zur Verherrlichung Gottes diente, und was er sein muß,
um jene Fülle vou süßen Dingen, all die tausend beglückenden Kindereien auszu¬
sprechen, welche das selige Zwiegespräch zweier Liebenden ausmachen. Mit zu¬
rückgekehrten Köpfchen, mit halbgeschlossenen Augen und halbgeöffneten Munde
schmiegt und windet sich die Petra Camera um den Helden ihres Herzens, nud,
die Augen einmal geschlossen, erzählt sie mit keuscher, Nichts verhüllender Gluth,
was in ihrem Herzen vorgeht -- gesteht sie ihre heiße Liebe. Ist das Schwerste
vollbracht, und hat sie ihren gepreßten Gefühlen Luft gemacht, dann öffnen sich,


Grenzboten. III. -I8ö-I. - 3

Elysve dergleichen vermuthen, und unsrer jetzigen Kammer gegenüber ist Alles
möglich, da begreift sich jede Herausforderung.

Doch wenden wir unsern Blick heiterern Dingen zu. Im Gymnase erregt
ein Stück getanzter Geographie fortwährend die Begeisterung des Pariser Publi-
cums. Das Spanische Ballet, das daselbst seine Vorstellungen giebt, gehört
auch in der That zu den reizendsten Darstellungen dieser Art, und verdient den
vollen Beifall der sachkundigen Pariserinnen. Die Petra Camera hat uns die
Cachucha, die Gitana und wie die andern von Castagnetten begleiteten Spani¬
schen Wunder heißen mögen, die Cervantes mit so glühenden Farben schildert,
so zu sagen erst offenbart; was wir bisher gesehen, war nur eine matte Nach¬
ahmung, eine schlechte Ueberhebung der schönen Volkspoesie, welche die feurigen
Andalusierinnen mit den Füßen dichten. Doch nein, der Fuß ist noch nicht die
Hauptsache, was wir an der Petra Camera bewundern, das sind nicht Pirouetten,
nicht Entrechats, nicht Triller, nicht akademische Stellungen, ihre Leistungen haben
einen ganz andern Charakter, als die bisher genannten. Die Petra Camera tanzt
mit dem Kopfe, mit den Augen, mit dem ganzen Leibe, ich möchte sagen mit dem
Blute. Der Spanische Tanz, wie er uns hier entgegentritt, ist die Kundgebung
einer naiven Sinnlichkeit, die im heißen Blute, im heißen Klima auf dem mit Oran¬
gen und Granaten geschmückten Boden des schönen Spaniens seinen Grund hat.
Er ist der Ausdruck einer keuschen Leidenschaft von Naturkindern, die noch nicht
vom Baume der Erkenntniß gegessen haben, und ihre Gefühle nicht mit dem
Feigenblatte der heuchlerische» Civilisation bedecken. Dieses Tanzen hat einen
Sinn, weil uus die Tanzenden als eben so viele Priesterinnen erscheinen, ein
Tempel der Natur und der Liebe, wahrend unser Tanz eine Convention ist, und
darum eine Lüge, eine Unnatur. Die keusche Liebe, und wäre sie noch so leiden¬
schaftlich, noch so sinndnrchglüht, scheut das entheiligende Wort, und wirklich Lie¬
bende haben sich schon Alles mit dem Blicke gesagt, was zwei sehnsuchtsvolle Her¬
zen sich nur sagen können. Die Gefühle, die ihre Seele bewältigen, sind zu
mächtig, als daß sie im matten Worte ihren vollen Ausdruck finden könnten. Nur
die Sprache der Augen und deren plastische Weiterbildung, wie sie in den Natio¬
naltänzen sich wiedergiebt, vermögen die Gefühle des Herzens ausreichend darzu¬
stellen. Die Petra Camera giebt uns ein Bild von Dem, was der Tanz sein
mochte, als er den Völkern zur Verherrlichung Gottes diente, und was er sein muß,
um jene Fülle vou süßen Dingen, all die tausend beglückenden Kindereien auszu¬
sprechen, welche das selige Zwiegespräch zweier Liebenden ausmachen. Mit zu¬
rückgekehrten Köpfchen, mit halbgeschlossenen Augen und halbgeöffneten Munde
schmiegt und windet sich die Petra Camera um den Helden ihres Herzens, nud,
die Augen einmal geschlossen, erzählt sie mit keuscher, Nichts verhüllender Gluth,
was in ihrem Herzen vorgeht — gesteht sie ihre heiße Liebe. Ist das Schwerste
vollbracht, und hat sie ihren gepreßten Gefühlen Luft gemacht, dann öffnen sich,


Grenzboten. III. -I8ö-I. - 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280112"/>
          <p xml:id="ID_51" prev="#ID_50"> Elysve dergleichen vermuthen, und unsrer jetzigen Kammer gegenüber ist Alles<lb/>
möglich, da begreift sich jede Herausforderung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_52" next="#ID_53"> Doch wenden wir unsern Blick heiterern Dingen zu. Im Gymnase erregt<lb/>
ein Stück getanzter Geographie fortwährend die Begeisterung des Pariser Publi-<lb/>
cums. Das Spanische Ballet, das daselbst seine Vorstellungen giebt, gehört<lb/>
auch in der That zu den reizendsten Darstellungen dieser Art, und verdient den<lb/>
vollen Beifall der sachkundigen Pariserinnen. Die Petra Camera hat uns die<lb/>
Cachucha, die Gitana und wie die andern von Castagnetten begleiteten Spani¬<lb/>
schen Wunder heißen mögen, die Cervantes mit so glühenden Farben schildert,<lb/>
so zu sagen erst offenbart; was wir bisher gesehen, war nur eine matte Nach¬<lb/>
ahmung, eine schlechte Ueberhebung der schönen Volkspoesie, welche die feurigen<lb/>
Andalusierinnen mit den Füßen dichten. Doch nein, der Fuß ist noch nicht die<lb/>
Hauptsache, was wir an der Petra Camera bewundern, das sind nicht Pirouetten,<lb/>
nicht Entrechats, nicht Triller, nicht akademische Stellungen, ihre Leistungen haben<lb/>
einen ganz andern Charakter, als die bisher genannten. Die Petra Camera tanzt<lb/>
mit dem Kopfe, mit den Augen, mit dem ganzen Leibe, ich möchte sagen mit dem<lb/>
Blute. Der Spanische Tanz, wie er uns hier entgegentritt, ist die Kundgebung<lb/>
einer naiven Sinnlichkeit, die im heißen Blute, im heißen Klima auf dem mit Oran¬<lb/>
gen und Granaten geschmückten Boden des schönen Spaniens seinen Grund hat.<lb/>
Er ist der Ausdruck einer keuschen Leidenschaft von Naturkindern, die noch nicht<lb/>
vom Baume der Erkenntniß gegessen haben, und ihre Gefühle nicht mit dem<lb/>
Feigenblatte der heuchlerische» Civilisation bedecken. Dieses Tanzen hat einen<lb/>
Sinn, weil uus die Tanzenden als eben so viele Priesterinnen erscheinen, ein<lb/>
Tempel der Natur und der Liebe, wahrend unser Tanz eine Convention ist, und<lb/>
darum eine Lüge, eine Unnatur. Die keusche Liebe, und wäre sie noch so leiden¬<lb/>
schaftlich, noch so sinndnrchglüht, scheut das entheiligende Wort, und wirklich Lie¬<lb/>
bende haben sich schon Alles mit dem Blicke gesagt, was zwei sehnsuchtsvolle Her¬<lb/>
zen sich nur sagen können. Die Gefühle, die ihre Seele bewältigen, sind zu<lb/>
mächtig, als daß sie im matten Worte ihren vollen Ausdruck finden könnten. Nur<lb/>
die Sprache der Augen und deren plastische Weiterbildung, wie sie in den Natio¬<lb/>
naltänzen sich wiedergiebt, vermögen die Gefühle des Herzens ausreichend darzu¬<lb/>
stellen. Die Petra Camera giebt uns ein Bild von Dem, was der Tanz sein<lb/>
mochte, als er den Völkern zur Verherrlichung Gottes diente, und was er sein muß,<lb/>
um jene Fülle vou süßen Dingen, all die tausend beglückenden Kindereien auszu¬<lb/>
sprechen, welche das selige Zwiegespräch zweier Liebenden ausmachen. Mit zu¬<lb/>
rückgekehrten Köpfchen, mit halbgeschlossenen Augen und halbgeöffneten Munde<lb/>
schmiegt und windet sich die Petra Camera um den Helden ihres Herzens, nud,<lb/>
die Augen einmal geschlossen, erzählt sie mit keuscher, Nichts verhüllender Gluth,<lb/>
was in ihrem Herzen vorgeht &#x2014; gesteht sie ihre heiße Liebe. Ist das Schwerste<lb/>
vollbracht, und hat sie ihren gepreßten Gefühlen Luft gemacht, dann öffnen sich,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. -I8ö-I. - 3</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] Elysve dergleichen vermuthen, und unsrer jetzigen Kammer gegenüber ist Alles möglich, da begreift sich jede Herausforderung. Doch wenden wir unsern Blick heiterern Dingen zu. Im Gymnase erregt ein Stück getanzter Geographie fortwährend die Begeisterung des Pariser Publi- cums. Das Spanische Ballet, das daselbst seine Vorstellungen giebt, gehört auch in der That zu den reizendsten Darstellungen dieser Art, und verdient den vollen Beifall der sachkundigen Pariserinnen. Die Petra Camera hat uns die Cachucha, die Gitana und wie die andern von Castagnetten begleiteten Spani¬ schen Wunder heißen mögen, die Cervantes mit so glühenden Farben schildert, so zu sagen erst offenbart; was wir bisher gesehen, war nur eine matte Nach¬ ahmung, eine schlechte Ueberhebung der schönen Volkspoesie, welche die feurigen Andalusierinnen mit den Füßen dichten. Doch nein, der Fuß ist noch nicht die Hauptsache, was wir an der Petra Camera bewundern, das sind nicht Pirouetten, nicht Entrechats, nicht Triller, nicht akademische Stellungen, ihre Leistungen haben einen ganz andern Charakter, als die bisher genannten. Die Petra Camera tanzt mit dem Kopfe, mit den Augen, mit dem ganzen Leibe, ich möchte sagen mit dem Blute. Der Spanische Tanz, wie er uns hier entgegentritt, ist die Kundgebung einer naiven Sinnlichkeit, die im heißen Blute, im heißen Klima auf dem mit Oran¬ gen und Granaten geschmückten Boden des schönen Spaniens seinen Grund hat. Er ist der Ausdruck einer keuschen Leidenschaft von Naturkindern, die noch nicht vom Baume der Erkenntniß gegessen haben, und ihre Gefühle nicht mit dem Feigenblatte der heuchlerische» Civilisation bedecken. Dieses Tanzen hat einen Sinn, weil uus die Tanzenden als eben so viele Priesterinnen erscheinen, ein Tempel der Natur und der Liebe, wahrend unser Tanz eine Convention ist, und darum eine Lüge, eine Unnatur. Die keusche Liebe, und wäre sie noch so leiden¬ schaftlich, noch so sinndnrchglüht, scheut das entheiligende Wort, und wirklich Lie¬ bende haben sich schon Alles mit dem Blicke gesagt, was zwei sehnsuchtsvolle Her¬ zen sich nur sagen können. Die Gefühle, die ihre Seele bewältigen, sind zu mächtig, als daß sie im matten Worte ihren vollen Ausdruck finden könnten. Nur die Sprache der Augen und deren plastische Weiterbildung, wie sie in den Natio¬ naltänzen sich wiedergiebt, vermögen die Gefühle des Herzens ausreichend darzu¬ stellen. Die Petra Camera giebt uns ein Bild von Dem, was der Tanz sein mochte, als er den Völkern zur Verherrlichung Gottes diente, und was er sein muß, um jene Fülle vou süßen Dingen, all die tausend beglückenden Kindereien auszu¬ sprechen, welche das selige Zwiegespräch zweier Liebenden ausmachen. Mit zu¬ rückgekehrten Köpfchen, mit halbgeschlossenen Augen und halbgeöffneten Munde schmiegt und windet sich die Petra Camera um den Helden ihres Herzens, nud, die Augen einmal geschlossen, erzählt sie mit keuscher, Nichts verhüllender Gluth, was in ihrem Herzen vorgeht — gesteht sie ihre heiße Liebe. Ist das Schwerste vollbracht, und hat sie ihren gepreßten Gefühlen Luft gemacht, dann öffnen sich, Grenzboten. III. -I8ö-I. - 3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/25
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/25>, abgerufen am 30.06.2024.