Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auf den Inhaber des gefährlichen Geheimnisses eindringen, bis Dieser damit vor
die Oeffentlichkeit tritt. Ist aber einmal der erste und schwierigste Schritt aus
dieser Bahn geschehen, dann werden die vielen verletzten Eitelkeiten, die kleinen
und großen verkürzten Prätensionen die Gelegenheit, eine Zurücksetzung oder
el.ne Beschimpfung zu rächen, und die Dinge können eine Wendung nehmen-, vor
der die Legislative in ihrer gegenwärtige" Zerklüftung, bei ihrer so oft bewährten
Muthlosigkeit, selbst zurückbebeu wird, vielleicht zu spät. Der Antagonismus der
beiden Regierungsgewalten, der angeblich in der Constitution seinen Grund hat,
in der That aber nur in der beispiellosen Zerspaltung der Legislativen, wird sich
dann wieder geltend machen, und Frankreich wird die doppelte Schande erleben,
Nichtswürdigkeiten der einen Gewalt aufgedeckt, und dieselben doch, wegen der
aus persönlichen Interessen getrennten Wächter des Gesetzes, ungestraft und unver-
bessert zu sehen. Es ist durchaus falsch, die Constitution -- deren Mängel kein
Vernünftiger in Abrede stellt -- verantwortlich machen zu wollen für die anßer
ihrer Schuld liegenden Parteiintrignen, die eben dahin gehen, die Functionen
eines jeden Organismus, der uicht ihren speciellen Interessen entspricht, zu hindern.
Das fortwährende Hin- und Herzerren des Landes findet seine Erklärung nicht
in der Verfassung, sondern in dem Umstände, daß die Verfassung sowol als die
Regierung in der Kammer von vorn herein mehr Feinde als Freunde hatte.
Diese leidigen Verhältnisse haben ihren Grund darin, daß die Parteien -- und
hier stehen die Fractionen der sogenannten Ordnungspartei oben an -- die
Autorität des Gesetzes und der Regierung selbst untergraben, und erst wenn ihnen
dies -- was bei der unverzeihlicher Politik derselben uicht schwer sällt -- ge¬
lungen ist, dann schrecken sie zurück, und erinnern sich oder thun doch so, daß
ein Schritt weiter sie einer Revolution in die Arme führen kann. Die Kaminer
hat nicht Resignation genug, Louis Bonaparte als Nothwendigkeit der durch ihre
Parteimanövcrs herbeigeführten Verhältnisse zu dulden, und sie hat nicht den
nöthigen Muth, ihm wirklich deu Krieg zu erklären, und die Zügel der Negierung
selbst zu ergreifen. Die Legislative ist eine revolutionäre Opposition, die nicht
die moralische Kraft und, ihrer ans einander gehenden Bestrebungen wegen, vielleicht
auch nicht die Möglichkeit hat, ein Convent zu werden. Unter solchen Verhältnissen
kaun dann natürlich nur der Zufall entscheiden -- oder das endlich müde gehetzte
Land, wie es denn auch wahrscheinlich kommen wird. Der Präsident seinerseits baut
fortwährend auf diese vor der That erschreckende Feigheit der Nationalver¬
sammlung und ans die Friedensliebe des Landes, welche seiner Popularität bei
einem gewissen Theile der Bevölkerung zu Hilfe kommen soll. Seine Politik
ist daher, wie man glaubt, zunächst ans Herabsetzung der Legislative gerichtet.
Die Donnerstag stattfindende Eröffnung der Eisenbahnstrecke nach Poitiers kann
wieder ein Anlaß sür den Präsidenten werden, sich ans Kosten der gesetzgebenden
Gewalt ein Belobnngsdecret auszustellen, wenigstens lassen die Anhänger des


auf den Inhaber des gefährlichen Geheimnisses eindringen, bis Dieser damit vor
die Oeffentlichkeit tritt. Ist aber einmal der erste und schwierigste Schritt aus
dieser Bahn geschehen, dann werden die vielen verletzten Eitelkeiten, die kleinen
und großen verkürzten Prätensionen die Gelegenheit, eine Zurücksetzung oder
el.ne Beschimpfung zu rächen, und die Dinge können eine Wendung nehmen-, vor
der die Legislative in ihrer gegenwärtige» Zerklüftung, bei ihrer so oft bewährten
Muthlosigkeit, selbst zurückbebeu wird, vielleicht zu spät. Der Antagonismus der
beiden Regierungsgewalten, der angeblich in der Constitution seinen Grund hat,
in der That aber nur in der beispiellosen Zerspaltung der Legislativen, wird sich
dann wieder geltend machen, und Frankreich wird die doppelte Schande erleben,
Nichtswürdigkeiten der einen Gewalt aufgedeckt, und dieselben doch, wegen der
aus persönlichen Interessen getrennten Wächter des Gesetzes, ungestraft und unver-
bessert zu sehen. Es ist durchaus falsch, die Constitution — deren Mängel kein
Vernünftiger in Abrede stellt — verantwortlich machen zu wollen für die anßer
ihrer Schuld liegenden Parteiintrignen, die eben dahin gehen, die Functionen
eines jeden Organismus, der uicht ihren speciellen Interessen entspricht, zu hindern.
Das fortwährende Hin- und Herzerren des Landes findet seine Erklärung nicht
in der Verfassung, sondern in dem Umstände, daß die Verfassung sowol als die
Regierung in der Kammer von vorn herein mehr Feinde als Freunde hatte.
Diese leidigen Verhältnisse haben ihren Grund darin, daß die Parteien — und
hier stehen die Fractionen der sogenannten Ordnungspartei oben an — die
Autorität des Gesetzes und der Regierung selbst untergraben, und erst wenn ihnen
dies — was bei der unverzeihlicher Politik derselben uicht schwer sällt — ge¬
lungen ist, dann schrecken sie zurück, und erinnern sich oder thun doch so, daß
ein Schritt weiter sie einer Revolution in die Arme führen kann. Die Kaminer
hat nicht Resignation genug, Louis Bonaparte als Nothwendigkeit der durch ihre
Parteimanövcrs herbeigeführten Verhältnisse zu dulden, und sie hat nicht den
nöthigen Muth, ihm wirklich deu Krieg zu erklären, und die Zügel der Negierung
selbst zu ergreifen. Die Legislative ist eine revolutionäre Opposition, die nicht
die moralische Kraft und, ihrer ans einander gehenden Bestrebungen wegen, vielleicht
auch nicht die Möglichkeit hat, ein Convent zu werden. Unter solchen Verhältnissen
kaun dann natürlich nur der Zufall entscheiden — oder das endlich müde gehetzte
Land, wie es denn auch wahrscheinlich kommen wird. Der Präsident seinerseits baut
fortwährend auf diese vor der That erschreckende Feigheit der Nationalver¬
sammlung und ans die Friedensliebe des Landes, welche seiner Popularität bei
einem gewissen Theile der Bevölkerung zu Hilfe kommen soll. Seine Politik
ist daher, wie man glaubt, zunächst ans Herabsetzung der Legislative gerichtet.
Die Donnerstag stattfindende Eröffnung der Eisenbahnstrecke nach Poitiers kann
wieder ein Anlaß sür den Präsidenten werden, sich ans Kosten der gesetzgebenden
Gewalt ein Belobnngsdecret auszustellen, wenigstens lassen die Anhänger des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280111"/>
          <p xml:id="ID_50" prev="#ID_49" next="#ID_51"> auf den Inhaber des gefährlichen Geheimnisses eindringen, bis Dieser damit vor<lb/>
die Oeffentlichkeit tritt. Ist aber einmal der erste und schwierigste Schritt aus<lb/>
dieser Bahn geschehen, dann werden die vielen verletzten Eitelkeiten, die kleinen<lb/>
und großen verkürzten Prätensionen die Gelegenheit, eine Zurücksetzung oder<lb/>
el.ne Beschimpfung zu rächen, und die Dinge können eine Wendung nehmen-, vor<lb/>
der die Legislative in ihrer gegenwärtige» Zerklüftung, bei ihrer so oft bewährten<lb/>
Muthlosigkeit, selbst zurückbebeu wird, vielleicht zu spät. Der Antagonismus der<lb/>
beiden Regierungsgewalten, der angeblich in der Constitution seinen Grund hat,<lb/>
in der That aber nur in der beispiellosen Zerspaltung der Legislativen, wird sich<lb/>
dann wieder geltend machen, und Frankreich wird die doppelte Schande erleben,<lb/>
Nichtswürdigkeiten der einen Gewalt aufgedeckt, und dieselben doch, wegen der<lb/>
aus persönlichen Interessen getrennten Wächter des Gesetzes, ungestraft und unver-<lb/>
bessert zu sehen. Es ist durchaus falsch, die Constitution &#x2014; deren Mängel kein<lb/>
Vernünftiger in Abrede stellt &#x2014; verantwortlich machen zu wollen für die anßer<lb/>
ihrer Schuld liegenden Parteiintrignen, die eben dahin gehen, die Functionen<lb/>
eines jeden Organismus, der uicht ihren speciellen Interessen entspricht, zu hindern.<lb/>
Das fortwährende Hin- und Herzerren des Landes findet seine Erklärung nicht<lb/>
in der Verfassung, sondern in dem Umstände, daß die Verfassung sowol als die<lb/>
Regierung in der Kammer von vorn herein mehr Feinde als Freunde hatte.<lb/>
Diese leidigen Verhältnisse haben ihren Grund darin, daß die Parteien &#x2014; und<lb/>
hier stehen die Fractionen der sogenannten Ordnungspartei oben an &#x2014; die<lb/>
Autorität des Gesetzes und der Regierung selbst untergraben, und erst wenn ihnen<lb/>
dies &#x2014; was bei der unverzeihlicher Politik derselben uicht schwer sällt &#x2014; ge¬<lb/>
lungen ist, dann schrecken sie zurück, und erinnern sich oder thun doch so, daß<lb/>
ein Schritt weiter sie einer Revolution in die Arme führen kann. Die Kaminer<lb/>
hat nicht Resignation genug, Louis Bonaparte als Nothwendigkeit der durch ihre<lb/>
Parteimanövcrs herbeigeführten Verhältnisse zu dulden, und sie hat nicht den<lb/>
nöthigen Muth, ihm wirklich deu Krieg zu erklären, und die Zügel der Negierung<lb/>
selbst zu ergreifen. Die Legislative ist eine revolutionäre Opposition, die nicht<lb/>
die moralische Kraft und, ihrer ans einander gehenden Bestrebungen wegen, vielleicht<lb/>
auch nicht die Möglichkeit hat, ein Convent zu werden. Unter solchen Verhältnissen<lb/>
kaun dann natürlich nur der Zufall entscheiden &#x2014; oder das endlich müde gehetzte<lb/>
Land, wie es denn auch wahrscheinlich kommen wird. Der Präsident seinerseits baut<lb/>
fortwährend auf diese vor der That erschreckende Feigheit der Nationalver¬<lb/>
sammlung und ans die Friedensliebe des Landes, welche seiner Popularität bei<lb/>
einem gewissen Theile der Bevölkerung zu Hilfe kommen soll. Seine Politik<lb/>
ist daher, wie man glaubt, zunächst ans Herabsetzung der Legislative gerichtet.<lb/>
Die Donnerstag stattfindende Eröffnung der Eisenbahnstrecke nach Poitiers kann<lb/>
wieder ein Anlaß sür den Präsidenten werden, sich ans Kosten der gesetzgebenden<lb/>
Gewalt ein Belobnngsdecret auszustellen, wenigstens lassen die Anhänger des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] auf den Inhaber des gefährlichen Geheimnisses eindringen, bis Dieser damit vor die Oeffentlichkeit tritt. Ist aber einmal der erste und schwierigste Schritt aus dieser Bahn geschehen, dann werden die vielen verletzten Eitelkeiten, die kleinen und großen verkürzten Prätensionen die Gelegenheit, eine Zurücksetzung oder el.ne Beschimpfung zu rächen, und die Dinge können eine Wendung nehmen-, vor der die Legislative in ihrer gegenwärtige» Zerklüftung, bei ihrer so oft bewährten Muthlosigkeit, selbst zurückbebeu wird, vielleicht zu spät. Der Antagonismus der beiden Regierungsgewalten, der angeblich in der Constitution seinen Grund hat, in der That aber nur in der beispiellosen Zerspaltung der Legislativen, wird sich dann wieder geltend machen, und Frankreich wird die doppelte Schande erleben, Nichtswürdigkeiten der einen Gewalt aufgedeckt, und dieselben doch, wegen der aus persönlichen Interessen getrennten Wächter des Gesetzes, ungestraft und unver- bessert zu sehen. Es ist durchaus falsch, die Constitution — deren Mängel kein Vernünftiger in Abrede stellt — verantwortlich machen zu wollen für die anßer ihrer Schuld liegenden Parteiintrignen, die eben dahin gehen, die Functionen eines jeden Organismus, der uicht ihren speciellen Interessen entspricht, zu hindern. Das fortwährende Hin- und Herzerren des Landes findet seine Erklärung nicht in der Verfassung, sondern in dem Umstände, daß die Verfassung sowol als die Regierung in der Kammer von vorn herein mehr Feinde als Freunde hatte. Diese leidigen Verhältnisse haben ihren Grund darin, daß die Parteien — und hier stehen die Fractionen der sogenannten Ordnungspartei oben an — die Autorität des Gesetzes und der Regierung selbst untergraben, und erst wenn ihnen dies — was bei der unverzeihlicher Politik derselben uicht schwer sällt — ge¬ lungen ist, dann schrecken sie zurück, und erinnern sich oder thun doch so, daß ein Schritt weiter sie einer Revolution in die Arme führen kann. Die Kaminer hat nicht Resignation genug, Louis Bonaparte als Nothwendigkeit der durch ihre Parteimanövcrs herbeigeführten Verhältnisse zu dulden, und sie hat nicht den nöthigen Muth, ihm wirklich deu Krieg zu erklären, und die Zügel der Negierung selbst zu ergreifen. Die Legislative ist eine revolutionäre Opposition, die nicht die moralische Kraft und, ihrer ans einander gehenden Bestrebungen wegen, vielleicht auch nicht die Möglichkeit hat, ein Convent zu werden. Unter solchen Verhältnissen kaun dann natürlich nur der Zufall entscheiden — oder das endlich müde gehetzte Land, wie es denn auch wahrscheinlich kommen wird. Der Präsident seinerseits baut fortwährend auf diese vor der That erschreckende Feigheit der Nationalver¬ sammlung und ans die Friedensliebe des Landes, welche seiner Popularität bei einem gewissen Theile der Bevölkerung zu Hilfe kommen soll. Seine Politik ist daher, wie man glaubt, zunächst ans Herabsetzung der Legislative gerichtet. Die Donnerstag stattfindende Eröffnung der Eisenbahnstrecke nach Poitiers kann wieder ein Anlaß sür den Präsidenten werden, sich ans Kosten der gesetzgebenden Gewalt ein Belobnngsdecret auszustellen, wenigstens lassen die Anhänger des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/24>, abgerufen am 30.06.2024.