Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.Pariser Botschaften. Was dos für ein eigenthümliches Volk ist, diese Franzosen! während in Pariser Botschaften. Was dos für ein eigenthümliches Volk ist, diese Franzosen! während in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280110"/> </div> <div n="1"> <head> Pariser Botschaften.</head><lb/> <p xml:id="ID_49" next="#ID_50"> Was dos für ein eigenthümliches Volk ist, diese Franzosen! während in<lb/> jedem andern Lande unter ähnlichen Verhältnissen die Durchsicht der Verfassung<lb/> alle andern politischen Interessen verschlingen mußte, geht die Agitation in dieser<lb/> mißlichen Frage kaum über die Schranken der Nationalversammlung hinaus. Alles,<lb/> was wir sonst im Lande sehen, seien es nun Petitionen oder anderweitige Kund¬<lb/> gebungen, ist künstlich erzeugt von den politischen Parteien, oder durch den Einfluß<lb/> der Regierung. Eben diese Ruhe des Landes, gegenüber der überreizten Leiden¬<lb/> schaftlichkeit der Väter des Vaterlandes, wird das Interesse früher oder später um<lb/> einen andern Punkt concentriren, und die Bewegung wird beginnen, wenn es<lb/> Niemand erwarten dürfte, und eine Richtung nehmen, die Niemand erwartet<lb/> haben würde. Es zeigen sich auch bereits Anzeigen, welche trotz der anscheinen¬<lb/> den Zufälligkeit ihres Auftauchens doch tief im innersten Wesen unsrer Zustände<lb/> wurzeln. Bei einem so sehr angegriffenen Organismus, wie das Regierungs-<lb/> system in Frankreich, kann jedes Symptom eine lebensgefährliche Bedeutung be¬<lb/> kommen. Die Enthüllung des Journalisten Fvrcade, welche die Freunde des<lb/> Elys^e des schmuzigsten Wandels anklagt, wie er nur seit der colossalen Corrup-<lb/> tionspolitik Ludwig Philipp's möglich scheint, und die zugleich die innere Anarchie<lb/> selbst im Lager der Herrschenden aufdeckt, dürften leicht das folgenreichste Ereigniß<lb/> für die Entwickelung unsrer zukünftigen Verhältnisse werden. Wir sehen einen<lb/> der höchsten Beamten in Opposition gegen die Verschwörungen in der Regierung<lb/> — aus persönlichem Interesse — nud denselben Beamten — wieder aus persön¬<lb/> lichen Interessen — deu geheimen Bestrebungen der machthabenden Partei zugethan.<lb/> Ein Freund des Elysee, ein Volksvertreter, ist angeklagt durch das über jede<lb/> Einwendung erhabene Zeugniß des vieluuterrichteten Polizeipräfecten, Stellen ver¬<lb/> kauft zu haben, wie zur besten Zeit Ludwigs XIV. Es läßt sich gleich von vorn<lb/> herein behaupten, daß solche Thatsachen nicht vereinzelt dastehen können; sie ent¬<lb/> hüllen ein ganzes System, und wer wagte es zu bestimmen, wo das einmal<lb/> entmaschte Gewebe der trennenden und reißenden Kritik Widerstand zu leisten<lb/> stark genug sein wird? Und in der That sehen wir deu in seiner Ehre gekränkten<lb/> Journalisten die erschrockene Regierung mit Veröffentlichung neuer Documente<lb/> bedrohen, und diesmal handelt es sich nicht um hohe, sondern um einen höchsten<lb/> Beamten. Erwägen wir nun die mannigfachen Interessen der verschiedenen politi¬<lb/> schen Parteien und deren ehrgeizigen Führer, so wird es wahrscheinlich, daß die<lb/> im Aufbrausen des ersten Zornes entschlüpfte Drohung ihre Verwirklichung finden<lb/> muß. Man wird so lange arbeiten und zerren, man wird von so vielen Seiten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Pariser Botschaften.
Was dos für ein eigenthümliches Volk ist, diese Franzosen! während in
jedem andern Lande unter ähnlichen Verhältnissen die Durchsicht der Verfassung
alle andern politischen Interessen verschlingen mußte, geht die Agitation in dieser
mißlichen Frage kaum über die Schranken der Nationalversammlung hinaus. Alles,
was wir sonst im Lande sehen, seien es nun Petitionen oder anderweitige Kund¬
gebungen, ist künstlich erzeugt von den politischen Parteien, oder durch den Einfluß
der Regierung. Eben diese Ruhe des Landes, gegenüber der überreizten Leiden¬
schaftlichkeit der Väter des Vaterlandes, wird das Interesse früher oder später um
einen andern Punkt concentriren, und die Bewegung wird beginnen, wenn es
Niemand erwarten dürfte, und eine Richtung nehmen, die Niemand erwartet
haben würde. Es zeigen sich auch bereits Anzeigen, welche trotz der anscheinen¬
den Zufälligkeit ihres Auftauchens doch tief im innersten Wesen unsrer Zustände
wurzeln. Bei einem so sehr angegriffenen Organismus, wie das Regierungs-
system in Frankreich, kann jedes Symptom eine lebensgefährliche Bedeutung be¬
kommen. Die Enthüllung des Journalisten Fvrcade, welche die Freunde des
Elys^e des schmuzigsten Wandels anklagt, wie er nur seit der colossalen Corrup-
tionspolitik Ludwig Philipp's möglich scheint, und die zugleich die innere Anarchie
selbst im Lager der Herrschenden aufdeckt, dürften leicht das folgenreichste Ereigniß
für die Entwickelung unsrer zukünftigen Verhältnisse werden. Wir sehen einen
der höchsten Beamten in Opposition gegen die Verschwörungen in der Regierung
— aus persönlichem Interesse — nud denselben Beamten — wieder aus persön¬
lichen Interessen — deu geheimen Bestrebungen der machthabenden Partei zugethan.
Ein Freund des Elysee, ein Volksvertreter, ist angeklagt durch das über jede
Einwendung erhabene Zeugniß des vieluuterrichteten Polizeipräfecten, Stellen ver¬
kauft zu haben, wie zur besten Zeit Ludwigs XIV. Es läßt sich gleich von vorn
herein behaupten, daß solche Thatsachen nicht vereinzelt dastehen können; sie ent¬
hüllen ein ganzes System, und wer wagte es zu bestimmen, wo das einmal
entmaschte Gewebe der trennenden und reißenden Kritik Widerstand zu leisten
stark genug sein wird? Und in der That sehen wir deu in seiner Ehre gekränkten
Journalisten die erschrockene Regierung mit Veröffentlichung neuer Documente
bedrohen, und diesmal handelt es sich nicht um hohe, sondern um einen höchsten
Beamten. Erwägen wir nun die mannigfachen Interessen der verschiedenen politi¬
schen Parteien und deren ehrgeizigen Führer, so wird es wahrscheinlich, daß die
im Aufbrausen des ersten Zornes entschlüpfte Drohung ihre Verwirklichung finden
muß. Man wird so lange arbeiten und zerren, man wird von so vielen Seiten
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