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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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sollte, als: ich hatte mir durch diese Gabe Ein Jahr Fegfeuer erspart. -
Bei der Wahrnehmung solcher Zustände erhalten freilich die Gewaltmaßregeln
einer despotischen Regierung in den Augen des oberflächlichen Beobachters einen
Schein vou Berechtigung, allein eben in diesem scheinbaren Rechte liegt die ern¬
steste Anklage:


"Sag', thun uir nicht recht? Wir müssen den Pöbel betrügen,
"Sieh' nur, wie ungeschickt, sich' nur, wie wild er sich zeigt! --
"Ungeschickt und wild sind alle rohen Betrogenen;
"Seid nur redlich, und so führt ihn zum Menschlichen an!" "goethe i, 23s,,

Es mußte uns daher schmerzlich berühren, als wir selbst aus dem Munde
eines hochangesehenen Diplomaten, welcher während des Frankfurter Parlaments
keine unbedeutende Rolle spielte, auf unsre Klage über die hiesigen Zustände die
Aeußerung vernahmen: "Dieses Volk verdient's nicht besser!"

Welchen Bildungsgrad können wir gerechter Weise von einem Volke bean¬
spruchen, dem, namentlich in den untern Schichten der Gesellschaft, alle Mittel
zu solcher zu gelangen, mit tyrannischer Strenge verweigert werden; wo man sich
nicht entblödet, die Werke eines Sophokles und Shakspeare, ja sogar die vater¬
ländischen Klassiker, obenan Dante's vivwg, eomeäia, mit einem obrigkeitlichen
vamnawr zu belegen; --- wo außer dem.lourn^l nes vvdats keine einzige Fran¬
zösische politische Zeitung bezogen werden darf.

Die gebildeteren Stände, welche diesen geistigen Druck am Empfindlichsten
fühlen, haben schon zu verschiedenen Malen Anstrengungen gemacht, sich in einen
erträglichem Zustand zu versetzen; allein an dem Mangel an Gemeinsam und
Parteispaltnngen scheiterten alle bisherigen Versuche. Erst kürzlich kam wieder
eine solche Befreinngs-Explosion der Unita, Italiana vor dem obersten Gerichtshof
zur Verhandlung, deren öffentlich gehaltenen Sitzungen ich beizuwohnen Gelegen¬
heit fand. Galerien und Parterre des Gerichtssaales waren mit Zuhörern über¬
füllt, welche nur ein schwaches Holzgeländer, aber ein desto stärkerer Militair-
cordon von den Richtern und den Gefangenen trennte. Kaum hatte die erste
Sitzung ihren Anfang genommen, der Präsident die Namen der Angeklagten
unter Aufruf verlesen, und ein Rechtsanwalt die Vertheidigung seiner Clienten
begonnen, als plötzlich ein Schuß fiel. Die Aufregung, die um entstand, war
fieberhaft. Der ganze Saal verwandelte sich plötzlich in ein feindliches Lager.
Die große Anzahl von Soldaten setzte sich gegen das anwesende Publicum in
Vertheidigungszustand und richtete ihre geladenen Gewehre schlagfertig ans die
wehrlosen Zuhörer. Ein furchtbarer Tumult brach los; ein wirres, besinnnng-
raubendes Durcheinanderschreien von tausend ängstlichen, empörten Stimmen, die
alle sich verständlich machen wollten, und eben darum nicht verstanden wurden.
Der Präsident des Gerichtshofs war der Erste davon; die andern Richter
folgten ihm höchst unritterlich auf der Ferse. Nur wir armen Schußverdächtigen


sollte, als: ich hatte mir durch diese Gabe Ein Jahr Fegfeuer erspart. -
Bei der Wahrnehmung solcher Zustände erhalten freilich die Gewaltmaßregeln
einer despotischen Regierung in den Augen des oberflächlichen Beobachters einen
Schein vou Berechtigung, allein eben in diesem scheinbaren Rechte liegt die ern¬
steste Anklage:


„Sag', thun uir nicht recht? Wir müssen den Pöbel betrügen,
„Sieh' nur, wie ungeschickt, sich' nur, wie wild er sich zeigt! —
„Ungeschickt und wild sind alle rohen Betrogenen;
„Seid nur redlich, und so führt ihn zum Menschlichen an!" «goethe i, 23s,,

Es mußte uns daher schmerzlich berühren, als wir selbst aus dem Munde
eines hochangesehenen Diplomaten, welcher während des Frankfurter Parlaments
keine unbedeutende Rolle spielte, auf unsre Klage über die hiesigen Zustände die
Aeußerung vernahmen: „Dieses Volk verdient's nicht besser!"

Welchen Bildungsgrad können wir gerechter Weise von einem Volke bean¬
spruchen, dem, namentlich in den untern Schichten der Gesellschaft, alle Mittel
zu solcher zu gelangen, mit tyrannischer Strenge verweigert werden; wo man sich
nicht entblödet, die Werke eines Sophokles und Shakspeare, ja sogar die vater¬
ländischen Klassiker, obenan Dante's vivwg, eomeäia, mit einem obrigkeitlichen
vamnawr zu belegen; —- wo außer dem.lourn^l nes vvdats keine einzige Fran¬
zösische politische Zeitung bezogen werden darf.

Die gebildeteren Stände, welche diesen geistigen Druck am Empfindlichsten
fühlen, haben schon zu verschiedenen Malen Anstrengungen gemacht, sich in einen
erträglichem Zustand zu versetzen; allein an dem Mangel an Gemeinsam und
Parteispaltnngen scheiterten alle bisherigen Versuche. Erst kürzlich kam wieder
eine solche Befreinngs-Explosion der Unita, Italiana vor dem obersten Gerichtshof
zur Verhandlung, deren öffentlich gehaltenen Sitzungen ich beizuwohnen Gelegen¬
heit fand. Galerien und Parterre des Gerichtssaales waren mit Zuhörern über¬
füllt, welche nur ein schwaches Holzgeländer, aber ein desto stärkerer Militair-
cordon von den Richtern und den Gefangenen trennte. Kaum hatte die erste
Sitzung ihren Anfang genommen, der Präsident die Namen der Angeklagten
unter Aufruf verlesen, und ein Rechtsanwalt die Vertheidigung seiner Clienten
begonnen, als plötzlich ein Schuß fiel. Die Aufregung, die um entstand, war
fieberhaft. Der ganze Saal verwandelte sich plötzlich in ein feindliches Lager.
Die große Anzahl von Soldaten setzte sich gegen das anwesende Publicum in
Vertheidigungszustand und richtete ihre geladenen Gewehre schlagfertig ans die
wehrlosen Zuhörer. Ein furchtbarer Tumult brach los; ein wirres, besinnnng-
raubendes Durcheinanderschreien von tausend ängstlichen, empörten Stimmen, die
alle sich verständlich machen wollten, und eben darum nicht verstanden wurden.
Der Präsident des Gerichtshofs war der Erste davon; die andern Richter
folgten ihm höchst unritterlich auf der Ferse. Nur wir armen Schußverdächtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/222>, abgerufen am 02.07.2024.