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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Patrouillen, ungeahndet von dem sonst so strengen Auge der allgegenwärtigen
Polizei, unbeachtet von den vielen in traulicher Gehäbigkeit vorüberwandelnden
Mönchen und Priestern, ja vielleicht ganz nahe, wo auf offener Straße ein herum¬
ziehender Prediger, gleich jene" quacksalbernden Charlatanen Piemont's, auf einer
aus Tisch oder Stuhl improvisirten Kanzel den Umstehenden unter heftigsten
Drohungen über Sittenreinheit und Herzenseinfalt vorpredigt, und mit Nafael-
schen Farben die Martern der Hölle schildert, während ein kleiner Abbate zu
seiner Rechten ein kolossales Christuskreuz als tröstlichen Gegensatz hoch in die
Lust hält! -- Raub- und Mordaufalle in den besuchtesten Stadttheilen am
hellen Tage sollen nichts Ungewöhnliches sein, und besonders ans Rachedurst
viel unschuldiges Blut verspritzt werden, ohne daß man den Thäter nnr auf¬
findet, oder auffinden will. Vor wenigen Monaten erst wurde ein Mann auf
belebter Straße von unbekannter Hand erdolcht, dessen Seidentuch sich später
in dem Czako eines Polizeisoldaten vorfand! Ein höchst achtenswerther Neapolitaner
erzählte mir, er habe einmal einen ganz unbedeutenden Streithandel gehabt. Da
kam bald darauf ein ihm völlig fremdes Individuum in seine Behausung, und
machte ihm deu blutigen Antrag, seinen vermeintlichen Gegner für wenige Carlini
ermorden zu wollen. -- Noch während meiner Anwesenheit fand in Neapel die
Hinrichtung eines Mörders statt, welcher mit seinem Mitgefangenen gewürfelt
hatte, wer von ihnen Beiden, bei der ersten Gelegenheit, den Gefängnißdirector
umzubringen habe. Das Loos fiel auf Ersteren. Er begehrte bald darauf,
angeblich um ein wichtiges Geständniß zu machen, den Vorstand allein zu sprechen
-- und in den innersten Gemächern, ohne die geringste Aussicht auf ein Ent¬
kommen, stieß er dem Unglücklichen gleich beim Eintritt ein Messer in den Leib. --
Diese Verwilderung erscheint allenthalben übertüncht mit rohem Aberglauben und
gleisnerischer Frömmigkeit. An allen religiösen Festtagen, deren das katholische
Kirchenjahr in Italien mehr als Arbeitstage auszuweisen hat, überfluthen die
vielen Bethäuser und Klöster der Hauptstadt mit büßenden und opfernden Besu¬
chern; in jedem Magazine der unabsehbaren Straße Toledo und ihren vielzwei-
gigeu Seitengäßchen, ja selbst in den Kaffeestnben und Branntweinschenken prangen
reich geschmückte Madonnenbilder, jeden Abend noch überdies durch flimmernde
Lämpchen verherrlicht, und kaum dürste man einem der zahllosen Bettelmönche
begegnen, der nicht von seiner Almoseuernte reich beladen heimkehrte!

Nirgends giebt es mehr Sünde und Verbrechen, als wo man der Sünde
aus so leichte Art wieder los werden kann. Ein Paar Vaterunser zu diesem oder
jenem Gnadenbild, ein Almosen in der Klosterbeichte oder dem kirchlichen Opfer¬
stock, und die verdvrbenste Seele mag sich loskaufen von allen vergangenen und
zukünftigen Sünden; ja, diese Zuversicht der untern Volksklassen geht so weit,
daß mir eine Bettlerin, die ich mit ein Paar Tornesi vealmoste, mit einer gewiß
großmüthigen Miene antwortete: ,M anno 6l Mi-g^orio!" was so viel heißen


Patrouillen, ungeahndet von dem sonst so strengen Auge der allgegenwärtigen
Polizei, unbeachtet von den vielen in traulicher Gehäbigkeit vorüberwandelnden
Mönchen und Priestern, ja vielleicht ganz nahe, wo auf offener Straße ein herum¬
ziehender Prediger, gleich jene» quacksalbernden Charlatanen Piemont's, auf einer
aus Tisch oder Stuhl improvisirten Kanzel den Umstehenden unter heftigsten
Drohungen über Sittenreinheit und Herzenseinfalt vorpredigt, und mit Nafael-
schen Farben die Martern der Hölle schildert, während ein kleiner Abbate zu
seiner Rechten ein kolossales Christuskreuz als tröstlichen Gegensatz hoch in die
Lust hält! — Raub- und Mordaufalle in den besuchtesten Stadttheilen am
hellen Tage sollen nichts Ungewöhnliches sein, und besonders ans Rachedurst
viel unschuldiges Blut verspritzt werden, ohne daß man den Thäter nnr auf¬
findet, oder auffinden will. Vor wenigen Monaten erst wurde ein Mann auf
belebter Straße von unbekannter Hand erdolcht, dessen Seidentuch sich später
in dem Czako eines Polizeisoldaten vorfand! Ein höchst achtenswerther Neapolitaner
erzählte mir, er habe einmal einen ganz unbedeutenden Streithandel gehabt. Da
kam bald darauf ein ihm völlig fremdes Individuum in seine Behausung, und
machte ihm deu blutigen Antrag, seinen vermeintlichen Gegner für wenige Carlini
ermorden zu wollen. — Noch während meiner Anwesenheit fand in Neapel die
Hinrichtung eines Mörders statt, welcher mit seinem Mitgefangenen gewürfelt
hatte, wer von ihnen Beiden, bei der ersten Gelegenheit, den Gefängnißdirector
umzubringen habe. Das Loos fiel auf Ersteren. Er begehrte bald darauf,
angeblich um ein wichtiges Geständniß zu machen, den Vorstand allein zu sprechen
— und in den innersten Gemächern, ohne die geringste Aussicht auf ein Ent¬
kommen, stieß er dem Unglücklichen gleich beim Eintritt ein Messer in den Leib. —
Diese Verwilderung erscheint allenthalben übertüncht mit rohem Aberglauben und
gleisnerischer Frömmigkeit. An allen religiösen Festtagen, deren das katholische
Kirchenjahr in Italien mehr als Arbeitstage auszuweisen hat, überfluthen die
vielen Bethäuser und Klöster der Hauptstadt mit büßenden und opfernden Besu¬
chern; in jedem Magazine der unabsehbaren Straße Toledo und ihren vielzwei-
gigeu Seitengäßchen, ja selbst in den Kaffeestnben und Branntweinschenken prangen
reich geschmückte Madonnenbilder, jeden Abend noch überdies durch flimmernde
Lämpchen verherrlicht, und kaum dürste man einem der zahllosen Bettelmönche
begegnen, der nicht von seiner Almoseuernte reich beladen heimkehrte!

Nirgends giebt es mehr Sünde und Verbrechen, als wo man der Sünde
aus so leichte Art wieder los werden kann. Ein Paar Vaterunser zu diesem oder
jenem Gnadenbild, ein Almosen in der Klosterbeichte oder dem kirchlichen Opfer¬
stock, und die verdvrbenste Seele mag sich loskaufen von allen vergangenen und
zukünftigen Sünden; ja, diese Zuversicht der untern Volksklassen geht so weit,
daß mir eine Bettlerin, die ich mit ein Paar Tornesi vealmoste, mit einer gewiß
großmüthigen Miene antwortete: ,M anno 6l Mi-g^orio!" was so viel heißen


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[0221] Patrouillen, ungeahndet von dem sonst so strengen Auge der allgegenwärtigen Polizei, unbeachtet von den vielen in traulicher Gehäbigkeit vorüberwandelnden Mönchen und Priestern, ja vielleicht ganz nahe, wo auf offener Straße ein herum¬ ziehender Prediger, gleich jene» quacksalbernden Charlatanen Piemont's, auf einer aus Tisch oder Stuhl improvisirten Kanzel den Umstehenden unter heftigsten Drohungen über Sittenreinheit und Herzenseinfalt vorpredigt, und mit Nafael- schen Farben die Martern der Hölle schildert, während ein kleiner Abbate zu seiner Rechten ein kolossales Christuskreuz als tröstlichen Gegensatz hoch in die Lust hält! — Raub- und Mordaufalle in den besuchtesten Stadttheilen am hellen Tage sollen nichts Ungewöhnliches sein, und besonders ans Rachedurst viel unschuldiges Blut verspritzt werden, ohne daß man den Thäter nnr auf¬ findet, oder auffinden will. Vor wenigen Monaten erst wurde ein Mann auf belebter Straße von unbekannter Hand erdolcht, dessen Seidentuch sich später in dem Czako eines Polizeisoldaten vorfand! Ein höchst achtenswerther Neapolitaner erzählte mir, er habe einmal einen ganz unbedeutenden Streithandel gehabt. Da kam bald darauf ein ihm völlig fremdes Individuum in seine Behausung, und machte ihm deu blutigen Antrag, seinen vermeintlichen Gegner für wenige Carlini ermorden zu wollen. — Noch während meiner Anwesenheit fand in Neapel die Hinrichtung eines Mörders statt, welcher mit seinem Mitgefangenen gewürfelt hatte, wer von ihnen Beiden, bei der ersten Gelegenheit, den Gefängnißdirector umzubringen habe. Das Loos fiel auf Ersteren. Er begehrte bald darauf, angeblich um ein wichtiges Geständniß zu machen, den Vorstand allein zu sprechen — und in den innersten Gemächern, ohne die geringste Aussicht auf ein Ent¬ kommen, stieß er dem Unglücklichen gleich beim Eintritt ein Messer in den Leib. — Diese Verwilderung erscheint allenthalben übertüncht mit rohem Aberglauben und gleisnerischer Frömmigkeit. An allen religiösen Festtagen, deren das katholische Kirchenjahr in Italien mehr als Arbeitstage auszuweisen hat, überfluthen die vielen Bethäuser und Klöster der Hauptstadt mit büßenden und opfernden Besu¬ chern; in jedem Magazine der unabsehbaren Straße Toledo und ihren vielzwei- gigeu Seitengäßchen, ja selbst in den Kaffeestnben und Branntweinschenken prangen reich geschmückte Madonnenbilder, jeden Abend noch überdies durch flimmernde Lämpchen verherrlicht, und kaum dürste man einem der zahllosen Bettelmönche begegnen, der nicht von seiner Almoseuernte reich beladen heimkehrte! Nirgends giebt es mehr Sünde und Verbrechen, als wo man der Sünde aus so leichte Art wieder los werden kann. Ein Paar Vaterunser zu diesem oder jenem Gnadenbild, ein Almosen in der Klosterbeichte oder dem kirchlichen Opfer¬ stock, und die verdvrbenste Seele mag sich loskaufen von allen vergangenen und zukünftigen Sünden; ja, diese Zuversicht der untern Volksklassen geht so weit, daß mir eine Bettlerin, die ich mit ein Paar Tornesi vealmoste, mit einer gewiß großmüthigen Miene antwortete: ,M anno 6l Mi-g^orio!" was so viel heißen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/221>, abgerufen am 02.07.2024.