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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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durften nicht mucksen, und schwebten Minuten lang in augenfälliger Todesgefahr;
denn es bedürfte nur des leisesten Mißverständnisses, daß sich diese unzähligen
Feuerschlünde auf uus entladen hätten! Das Publicum unten tobte, raste und
quetschte sich, die Zuhörer auf den Galerien, worunter Damen und Geistliche,
warfen sich ans den Boden, um durch die Holzbrüstung vor der ersten Wuth der
Mordwaffe geschützt zu sein. -- Endlich wich aus Ermüdung dieses wilde Ge¬
lärme einer mäßigen Ruhe, und man vernahm mit nur uoch größerer Entrüstung,
daß der ganze lebensgefährliche Vorfall nnr durch die zufällige Entladung eines
Soldatengewehres veranlaßt worden war! Nun kam anch der Präsident wieder
zum Vorschein, und wollte, ganz in der Charakterweise ängstlicher Naturen, die
Sitzung fortsetzen, als ob gar Nichts vorgefallen wäre. Dagegen that aber ein
Angeklagter -- ich glaube, es war Pvcrio -- energische Einsprache, und bestand
aus sofortiger Untersuchung, "damit man dieses Ereigniß nicht wieder auf Kosten
der Gefangenen und des Publicums aufhenke, und die Fahrlässigkeit eines köni¬
glichen Soldaten in eine schauerliche Verschwörungsgeschichte verwandle!" -- Der
Proceß der vnita IWIiima, deren unverzeihlichstes Verbrechen es gewesen zu sein
scheint, die Aufrechthaltung der vom König beschworenen Verfassung verlangt zu
haben, dauerte mehrere Monate, und endigte mit Todcsurtheilen und vieljährigen
Galeercnstrasen. -- Die meisten Verurteilten gehören zu den Edelsten und
Besten der Nation. Am hellen Tage, unter dem peinlichen Anblick einer inner¬
lich empörten Volksmenge, führte man sie durch die belebtesten Straßen Neapels
nach der dicht unter deu Fenstern des Palastes gelegenen Varseria, legte sie dort
nnter den Augen des Königs in Ketten, und schmiedete sie mit gemeinen Ver¬
brechern zusammen. Durch solches Nacheverfahreu") wird man dem Volke schwer¬
lich "die Lehre vou der Vortrefflichkeit des absoluten Machtthums" einschärfen,
sicher aber die Gemüther noch mehr erbittern. Ohnedies lagert über dem ganzen
Lande die schwüle Atmosphäre verhaltenen Unmuths; der leiseste, elektrische
Schlag, und es entladet sich unversehens das ganze Gewitter. Wol ist der
Regierung die dumpfe Gährung nicht unbekannt, welche sich unter allen Ständen
des Laudes ausbreitet: -- hat doch der König die Fenster seines Palastes, welche
nach dem volksbelebten l.in'sha ni e-rstollci gehen, gänzlich vermauern lassen; lebt
er doch selbst in seinem von Soldaten und schweren Geschützen wimmelnden
Schlosse mehr wie ein geängstigter Gefangener, als wie der verehrte Vater eines
liebenden und geliebten Volkes; -- aber sie glaubt an kein Mündigwerden der
Nationen.

Noch am Morgen des Tages, wo wir dieses trauernde Land verließen, un-



*) In den Gefängnissen Neapels befinden sich über -1600, i-n jenen der Provinzen mehr
als uoyg politische Gefangene; und verfolgt man dieses System in seiner Konsequenz, so
wäg man mit einiger Wahrscheinlichkeit den Zeitpunkt berechnen, wo ganz Neapel nur Ein
Gefängniß und die oberste Behörde der Scharfrichter sein wird.

durften nicht mucksen, und schwebten Minuten lang in augenfälliger Todesgefahr;
denn es bedürfte nur des leisesten Mißverständnisses, daß sich diese unzähligen
Feuerschlünde auf uus entladen hätten! Das Publicum unten tobte, raste und
quetschte sich, die Zuhörer auf den Galerien, worunter Damen und Geistliche,
warfen sich ans den Boden, um durch die Holzbrüstung vor der ersten Wuth der
Mordwaffe geschützt zu sein. — Endlich wich aus Ermüdung dieses wilde Ge¬
lärme einer mäßigen Ruhe, und man vernahm mit nur uoch größerer Entrüstung,
daß der ganze lebensgefährliche Vorfall nnr durch die zufällige Entladung eines
Soldatengewehres veranlaßt worden war! Nun kam anch der Präsident wieder
zum Vorschein, und wollte, ganz in der Charakterweise ängstlicher Naturen, die
Sitzung fortsetzen, als ob gar Nichts vorgefallen wäre. Dagegen that aber ein
Angeklagter — ich glaube, es war Pvcrio — energische Einsprache, und bestand
aus sofortiger Untersuchung, „damit man dieses Ereigniß nicht wieder auf Kosten
der Gefangenen und des Publicums aufhenke, und die Fahrlässigkeit eines köni¬
glichen Soldaten in eine schauerliche Verschwörungsgeschichte verwandle!" — Der
Proceß der vnita IWIiima, deren unverzeihlichstes Verbrechen es gewesen zu sein
scheint, die Aufrechthaltung der vom König beschworenen Verfassung verlangt zu
haben, dauerte mehrere Monate, und endigte mit Todcsurtheilen und vieljährigen
Galeercnstrasen. — Die meisten Verurteilten gehören zu den Edelsten und
Besten der Nation. Am hellen Tage, unter dem peinlichen Anblick einer inner¬
lich empörten Volksmenge, führte man sie durch die belebtesten Straßen Neapels
nach der dicht unter deu Fenstern des Palastes gelegenen Varseria, legte sie dort
nnter den Augen des Königs in Ketten, und schmiedete sie mit gemeinen Ver¬
brechern zusammen. Durch solches Nacheverfahreu") wird man dem Volke schwer¬
lich „die Lehre vou der Vortrefflichkeit des absoluten Machtthums" einschärfen,
sicher aber die Gemüther noch mehr erbittern. Ohnedies lagert über dem ganzen
Lande die schwüle Atmosphäre verhaltenen Unmuths; der leiseste, elektrische
Schlag, und es entladet sich unversehens das ganze Gewitter. Wol ist der
Regierung die dumpfe Gährung nicht unbekannt, welche sich unter allen Ständen
des Laudes ausbreitet: — hat doch der König die Fenster seines Palastes, welche
nach dem volksbelebten l.in'sha ni e-rstollci gehen, gänzlich vermauern lassen; lebt
er doch selbst in seinem von Soldaten und schweren Geschützen wimmelnden
Schlosse mehr wie ein geängstigter Gefangener, als wie der verehrte Vater eines
liebenden und geliebten Volkes; — aber sie glaubt an kein Mündigwerden der
Nationen.

Noch am Morgen des Tages, wo wir dieses trauernde Land verließen, un-



*) In den Gefängnissen Neapels befinden sich über -1600, i-n jenen der Provinzen mehr
als uoyg politische Gefangene; und verfolgt man dieses System in seiner Konsequenz, so
wäg man mit einiger Wahrscheinlichkeit den Zeitpunkt berechnen, wo ganz Neapel nur Ein
Gefängniß und die oberste Behörde der Scharfrichter sein wird.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/223>, abgerufen am 30.06.2024.