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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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von Pässen hierzu auf das Strengste verboten! Die Thätigkeit der Regierung
beschränkt sich auf die Ausführung von Festungswerken nud Gefängnissen, und
die ins Unendliche gesteigerte Entwickelung seiner militärischen Streitkräfte. Eine
unverlMnißmäßige Heeresmacht frißt das Mark des Landes aus, und imponirt
mehr durch ihre Zahl, als durch ihre Fähigkeit und moralische Kraft. Wir sahen
den König über ungefähr 30,000 Mann der verschiedensten Waffengattungen eine
Revue halten, und waren erstaunt über die fast geckenhafte Eleganz der Adjüsti-
rung (welche so weit ging, daß ganze Regimenter in gelben Glacehandschuhen
erschienen), zu der freilich das heerdenähnliche Defilircn in unangenehmem Wider¬
spruch stand. --

In den socialen Verhältnissen begegnen wir einem nicht minder betrübenden
Schauspiele. Durch ein fortschrittsfeindliches Regierungssystem zu einem rein animali¬
schen Leben verurtheilt, sehen wir das unglückliche Volk täglich mehr verthieren,
und gedankenlos seinen Weg hingehen. Kriechende Unterthänigkeit ist ein Haupt¬
charakter der Volksklasse, welche im Umgang fast Jedermann mit Excellenza be¬
titelt; und selbst das in bürgerlichen Kreisen nicht uuübliche "?a!,i'on<z o 8ixnor<z"
mag noch als eine leise Spur jenes in den untersten Gesellschaftsschichten wur¬
zelnden Servilismus angesehen werden. Die Ignoranz der Menge ist so com-
plet, daß unzählige, ambulante Schreibbureaux in der Nähe der Post "ud uuter
den Arcaden von Se. Carlo einen eigenen Nahrungszweig ausmachen, bei denen
man oft sogar wohlgekleidete Frauen und Herren filzen steht, welche, selbst nicht
schriftkundig, ihre Ideen und Wünsche einem scharfhorchenden Schreiber mittheilen,
der sie mit schulmeisterlicher Bedächtigkeit -- weiln auch nicht immer wortgetreu --
zu Papier zu bringen versucht. -- Aber Unwissenheit hat anch immer Trägheit
und Unsittlichkeit im Gefolge. Während das Volk der Lazzaroni um keinen Preis
länger arbeitet, als es der Erwerb der dürftigsten Nahrung dazu zwingt, um
dann ans den Straßen herumzulungern oder den faulen Leib an den Quais im
ÄolLv lÄr nivlllu zu sonnen, bemüht sich die verworfenere Klasse der Bettler, auf
den besuchtesten Promenaden durch die berechnete Schaustellung des grauener¬
regendsten Elends das Mitleid der Vorübergehenden zu stacheln, welches für den
Anblick gewöhnlicher Armuth gar nicht mehr empfänglich zu sein scheint. So sieht
man in Santa Lucia und am Molo völlig nackte Kiuder von 8 --10 Jahren,
jedes Schamgefühls bar, mitten an Trottoirs kauern, und das herzzerreißendste
Krächzen ausstoßen, indeß Krüppel in gräßlichster Verstümmelung die Entartung
der Natur fast als eine Gunst des Himmels betrachten, um ihr herabgekommenes
Bettelhandwerk durch neue Schauer einträglicher zu machen. -- Unter diesen
Auswurf mischen sich Abends noch gemeine Kuppler, freche, arbeitsscheue Gesellen,
deren ekelhafte Aufforderungen in ihrem Munde Geschwüre zurücklassen müssen,
und die. gleich ansteckenden Leichen, die Nachtluft der Straßen verpesten. Und
das Alles geschieht auf dem Wege der zahlreichen, die Runde machenden Militair-


von Pässen hierzu auf das Strengste verboten! Die Thätigkeit der Regierung
beschränkt sich auf die Ausführung von Festungswerken nud Gefängnissen, und
die ins Unendliche gesteigerte Entwickelung seiner militärischen Streitkräfte. Eine
unverlMnißmäßige Heeresmacht frißt das Mark des Landes aus, und imponirt
mehr durch ihre Zahl, als durch ihre Fähigkeit und moralische Kraft. Wir sahen
den König über ungefähr 30,000 Mann der verschiedensten Waffengattungen eine
Revue halten, und waren erstaunt über die fast geckenhafte Eleganz der Adjüsti-
rung (welche so weit ging, daß ganze Regimenter in gelben Glacehandschuhen
erschienen), zu der freilich das heerdenähnliche Defilircn in unangenehmem Wider¬
spruch stand. —

In den socialen Verhältnissen begegnen wir einem nicht minder betrübenden
Schauspiele. Durch ein fortschrittsfeindliches Regierungssystem zu einem rein animali¬
schen Leben verurtheilt, sehen wir das unglückliche Volk täglich mehr verthieren,
und gedankenlos seinen Weg hingehen. Kriechende Unterthänigkeit ist ein Haupt¬
charakter der Volksklasse, welche im Umgang fast Jedermann mit Excellenza be¬
titelt; und selbst das in bürgerlichen Kreisen nicht uuübliche „?a!,i'on<z o 8ixnor<z"
mag noch als eine leise Spur jenes in den untersten Gesellschaftsschichten wur¬
zelnden Servilismus angesehen werden. Die Ignoranz der Menge ist so com-
plet, daß unzählige, ambulante Schreibbureaux in der Nähe der Post »ud uuter
den Arcaden von Se. Carlo einen eigenen Nahrungszweig ausmachen, bei denen
man oft sogar wohlgekleidete Frauen und Herren filzen steht, welche, selbst nicht
schriftkundig, ihre Ideen und Wünsche einem scharfhorchenden Schreiber mittheilen,
der sie mit schulmeisterlicher Bedächtigkeit — weiln auch nicht immer wortgetreu —
zu Papier zu bringen versucht. — Aber Unwissenheit hat anch immer Trägheit
und Unsittlichkeit im Gefolge. Während das Volk der Lazzaroni um keinen Preis
länger arbeitet, als es der Erwerb der dürftigsten Nahrung dazu zwingt, um
dann ans den Straßen herumzulungern oder den faulen Leib an den Quais im
ÄolLv lÄr nivlllu zu sonnen, bemüht sich die verworfenere Klasse der Bettler, auf
den besuchtesten Promenaden durch die berechnete Schaustellung des grauener¬
regendsten Elends das Mitleid der Vorübergehenden zu stacheln, welches für den
Anblick gewöhnlicher Armuth gar nicht mehr empfänglich zu sein scheint. So sieht
man in Santa Lucia und am Molo völlig nackte Kiuder von 8 —10 Jahren,
jedes Schamgefühls bar, mitten an Trottoirs kauern, und das herzzerreißendste
Krächzen ausstoßen, indeß Krüppel in gräßlichster Verstümmelung die Entartung
der Natur fast als eine Gunst des Himmels betrachten, um ihr herabgekommenes
Bettelhandwerk durch neue Schauer einträglicher zu machen. — Unter diesen
Auswurf mischen sich Abends noch gemeine Kuppler, freche, arbeitsscheue Gesellen,
deren ekelhafte Aufforderungen in ihrem Munde Geschwüre zurücklassen müssen,
und die. gleich ansteckenden Leichen, die Nachtluft der Straßen verpesten. Und
das Alles geschieht auf dem Wege der zahlreichen, die Runde machenden Militair-


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[0220] von Pässen hierzu auf das Strengste verboten! Die Thätigkeit der Regierung beschränkt sich auf die Ausführung von Festungswerken nud Gefängnissen, und die ins Unendliche gesteigerte Entwickelung seiner militärischen Streitkräfte. Eine unverlMnißmäßige Heeresmacht frißt das Mark des Landes aus, und imponirt mehr durch ihre Zahl, als durch ihre Fähigkeit und moralische Kraft. Wir sahen den König über ungefähr 30,000 Mann der verschiedensten Waffengattungen eine Revue halten, und waren erstaunt über die fast geckenhafte Eleganz der Adjüsti- rung (welche so weit ging, daß ganze Regimenter in gelben Glacehandschuhen erschienen), zu der freilich das heerdenähnliche Defilircn in unangenehmem Wider¬ spruch stand. — In den socialen Verhältnissen begegnen wir einem nicht minder betrübenden Schauspiele. Durch ein fortschrittsfeindliches Regierungssystem zu einem rein animali¬ schen Leben verurtheilt, sehen wir das unglückliche Volk täglich mehr verthieren, und gedankenlos seinen Weg hingehen. Kriechende Unterthänigkeit ist ein Haupt¬ charakter der Volksklasse, welche im Umgang fast Jedermann mit Excellenza be¬ titelt; und selbst das in bürgerlichen Kreisen nicht uuübliche „?a!,i'on<z o 8ixnor<z" mag noch als eine leise Spur jenes in den untersten Gesellschaftsschichten wur¬ zelnden Servilismus angesehen werden. Die Ignoranz der Menge ist so com- plet, daß unzählige, ambulante Schreibbureaux in der Nähe der Post »ud uuter den Arcaden von Se. Carlo einen eigenen Nahrungszweig ausmachen, bei denen man oft sogar wohlgekleidete Frauen und Herren filzen steht, welche, selbst nicht schriftkundig, ihre Ideen und Wünsche einem scharfhorchenden Schreiber mittheilen, der sie mit schulmeisterlicher Bedächtigkeit — weiln auch nicht immer wortgetreu — zu Papier zu bringen versucht. — Aber Unwissenheit hat anch immer Trägheit und Unsittlichkeit im Gefolge. Während das Volk der Lazzaroni um keinen Preis länger arbeitet, als es der Erwerb der dürftigsten Nahrung dazu zwingt, um dann ans den Straßen herumzulungern oder den faulen Leib an den Quais im ÄolLv lÄr nivlllu zu sonnen, bemüht sich die verworfenere Klasse der Bettler, auf den besuchtesten Promenaden durch die berechnete Schaustellung des grauener¬ regendsten Elends das Mitleid der Vorübergehenden zu stacheln, welches für den Anblick gewöhnlicher Armuth gar nicht mehr empfänglich zu sein scheint. So sieht man in Santa Lucia und am Molo völlig nackte Kiuder von 8 —10 Jahren, jedes Schamgefühls bar, mitten an Trottoirs kauern, und das herzzerreißendste Krächzen ausstoßen, indeß Krüppel in gräßlichster Verstümmelung die Entartung der Natur fast als eine Gunst des Himmels betrachten, um ihr herabgekommenes Bettelhandwerk durch neue Schauer einträglicher zu machen. — Unter diesen Auswurf mischen sich Abends noch gemeine Kuppler, freche, arbeitsscheue Gesellen, deren ekelhafte Aufforderungen in ihrem Munde Geschwüre zurücklassen müssen, und die. gleich ansteckenden Leichen, die Nachtluft der Straßen verpesten. Und das Alles geschieht auf dem Wege der zahlreichen, die Runde machenden Militair-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/220>, abgerufen am 02.07.2024.