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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Sicilianischen Boden setzen zu dürfen. -- Die ganze Reisegesellschaft war über
diesen Vorfall tief entrüstet, und mein Englischer Gefährte meinte, wenn solche Ver¬
letzungen des Völkerrechts on<z "t Ker IVl^jL8!^'8 subjeew widerführe, so dürste
Lord Palmerston nicht lange zögern, im Golfe von Neapel einen Englischen Vesuv
erscheinen zu lassen.

Wir schifften nach dem Mauthamte. Hier wurden unsre Effecten der schau¬
derhaftesten Untersuchung unterzogen. Namentlich haben es die Späher auf
Gedrucktes abgesehen. Selbst alte Papierstreifen, in denen man häufig kleine,
gebrechliche Gegenstände zu verwahren sucht, wurden ncugierhastig aufgerissen und
begafft, obschon man aus den Gesichtern dieser "Untersuchungsrichter" leicht wahr¬
nehmen konnte, daß ihnen die Kenntniß jeder andern Sprache als der Italieni¬
schen völlig fremd ist. Geschah es mir doch selbst, daß man Goethe's Gedichte
mit sehr verdächtigen Mienen durchblätterte, sie ans einer unkundigen Hand in
die andere reichte, und sie wahrscheinlich für politische Gassenhauer hielt!! --
Und als diese Mauthinquisition zu Ende, und wir mit unsäglicher Mühe die
rücksichtslos durchstöberten, aufgerissenen Effecten wieder in den engen Kvsserraum
hineingepreßt hatten, folgte uns einer der Beamten anf dem Fuße und war unver¬
schämt genug, um ein Trinkgeld "für seine Bemühung" die Hand auszustrecken.
Dieselbe Korruption zieht sich wie ein fressendes Geschwür durch alle Stellen und
Aemter; auf der Briefpost z. B. mußte die Regierung die Maßregel einführen,
daß für jeden anch nicht recommandirten Brief der Partei eine controlirte Em¬
pfangsbestätigung eingehändigt werde, weil, wie mir Einheimische wiederholt ver¬
sicherten, selbst der geringste Portobetrag vor Unterschlagung nicht sicher war! --
Der Zustand öffentlicher Anstalten und Verkehrsmittel bleibt immer der sicherste
Gradmesser für die Cultnrlage eines Staates. In dieser Beziehung aber bleibt
Neapel fast hinter den Raubstaaten zurück. Nur drei Mal in der Woche gehen
Briefe nach dem Auslande, und nur an 3 Tagen kommen Posten an. Das
Amt selbst soll zwar täglich von 8--3 Uhr für Ausgabe und Empfangnahme von
Briefen geöffnet sein; allein kommt man um 8 Uhr, so ist es noch geschlossen,
und erscheint man um 3 Uhr, so ist es schon gesperrt! Die Verbindung mit den
Provinzen ist eben so mangelhaft. Nur ein Mal in der Woche fuhren Dampf¬
schiffe nach Palermo, noch seltener nach Messina. Das Innere von Sicilien kann
Man größtentheils nur auf Maulthieren, oder Pferden, höchst unbequem und un¬
sicher bereisen, und so unwegsam sind die Straßen, daß man sich leicht aus eine
Ungarische Pußta versetzt glauben könnte, ermahnte Einen nicht auf jedem Schritt
die Poesie der Natur, daß man ein "Stück Paradies" bereist. In keinem Zweige
der Staatswirthschaft erblickt man das Walten einer wohlwollenden, volksfreund¬
lichen Hand; keine Hebung des Ackerbaues, keine Förderung des Handels, keine
Begünstigung der Industrie. Hat doch der König den Industriellen sogar deu
Besuch des Londoner "Weltmarktes" ausdrücklich untersagt, und die Ausfertigung


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Sicilianischen Boden setzen zu dürfen. — Die ganze Reisegesellschaft war über
diesen Vorfall tief entrüstet, und mein Englischer Gefährte meinte, wenn solche Ver¬
letzungen des Völkerrechts on<z »t Ker IVl^jL8!^'8 subjeew widerführe, so dürste
Lord Palmerston nicht lange zögern, im Golfe von Neapel einen Englischen Vesuv
erscheinen zu lassen.

Wir schifften nach dem Mauthamte. Hier wurden unsre Effecten der schau¬
derhaftesten Untersuchung unterzogen. Namentlich haben es die Späher auf
Gedrucktes abgesehen. Selbst alte Papierstreifen, in denen man häufig kleine,
gebrechliche Gegenstände zu verwahren sucht, wurden ncugierhastig aufgerissen und
begafft, obschon man aus den Gesichtern dieser „Untersuchungsrichter" leicht wahr¬
nehmen konnte, daß ihnen die Kenntniß jeder andern Sprache als der Italieni¬
schen völlig fremd ist. Geschah es mir doch selbst, daß man Goethe's Gedichte
mit sehr verdächtigen Mienen durchblätterte, sie ans einer unkundigen Hand in
die andere reichte, und sie wahrscheinlich für politische Gassenhauer hielt!! —
Und als diese Mauthinquisition zu Ende, und wir mit unsäglicher Mühe die
rücksichtslos durchstöberten, aufgerissenen Effecten wieder in den engen Kvsserraum
hineingepreßt hatten, folgte uns einer der Beamten anf dem Fuße und war unver¬
schämt genug, um ein Trinkgeld „für seine Bemühung" die Hand auszustrecken.
Dieselbe Korruption zieht sich wie ein fressendes Geschwür durch alle Stellen und
Aemter; auf der Briefpost z. B. mußte die Regierung die Maßregel einführen,
daß für jeden anch nicht recommandirten Brief der Partei eine controlirte Em¬
pfangsbestätigung eingehändigt werde, weil, wie mir Einheimische wiederholt ver¬
sicherten, selbst der geringste Portobetrag vor Unterschlagung nicht sicher war! —
Der Zustand öffentlicher Anstalten und Verkehrsmittel bleibt immer der sicherste
Gradmesser für die Cultnrlage eines Staates. In dieser Beziehung aber bleibt
Neapel fast hinter den Raubstaaten zurück. Nur drei Mal in der Woche gehen
Briefe nach dem Auslande, und nur an 3 Tagen kommen Posten an. Das
Amt selbst soll zwar täglich von 8—3 Uhr für Ausgabe und Empfangnahme von
Briefen geöffnet sein; allein kommt man um 8 Uhr, so ist es noch geschlossen,
und erscheint man um 3 Uhr, so ist es schon gesperrt! Die Verbindung mit den
Provinzen ist eben so mangelhaft. Nur ein Mal in der Woche fuhren Dampf¬
schiffe nach Palermo, noch seltener nach Messina. Das Innere von Sicilien kann
Man größtentheils nur auf Maulthieren, oder Pferden, höchst unbequem und un¬
sicher bereisen, und so unwegsam sind die Straßen, daß man sich leicht aus eine
Ungarische Pußta versetzt glauben könnte, ermahnte Einen nicht auf jedem Schritt
die Poesie der Natur, daß man ein „Stück Paradies" bereist. In keinem Zweige
der Staatswirthschaft erblickt man das Walten einer wohlwollenden, volksfreund¬
lichen Hand; keine Hebung des Ackerbaues, keine Förderung des Handels, keine
Begünstigung der Industrie. Hat doch der König den Industriellen sogar deu
Besuch des Londoner „Weltmarktes" ausdrücklich untersagt, und die Ausfertigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/219>, abgerufen am 02.07.2024.