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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schulen mit allgemeinen Ausdrücken bezeichnet, und sich ans die Ehrenhaftigkeit
Desselben verlassen haben.

So in einer Kolonie sieben Stunden von Warschau. Die Kolonie, aus
Professionisten bestehend, welche die landwirtschaftlichen Rohstoffe des ehemaligen
Grundherrn contractmäßig für einen geringen Lohn verarbeite", sind äußerst arme
Leute. Sie besitzen Feldgrundstücke, aber man hat sie theils mit unfruchtbarem
Sand-, theils mit unheilbarem Bruchboden betrogen. Der ehemalige Grundherr
ist verpflichtet, einen Lehrer anzustellen und zu erhalten. Das es.ut er. Er hat
nämlich einen alten, dem Bettelstabe nahen Leinweber mit 10 Thlr. Gehalt und einem
gewissen Holzdevntat, welches sich Derselbe auf dem eigenen Rücken ans dem Walde
holen muß, in das Schulamt gesetzt. Der Patron hat also nach dem Laute des Con-
tractes seine Pflicht erfüllt, den Kolonisten aber ist es überlassen, sich vor dem
Jammer zu bewahren, den alten braven Mann vor ihren Augen Hungers sterben
zu sehen, d. h. sie sind indirect gezwungen, den Lehrer selbst zu erhalten. So
sind sie denn auch dahin übereingekommen, daß ihm jeder Kolonist alljährlich ein
Brod und einen halben Scheffel Kartoffeln giebt. Es ist vielleicht Alles, was die
armen Leute vermögen; aber es ist noch nicht hinreichend, einen Mann mit Frau
und einigen Kindern nur dürstig zu erhalten. So sah sich der unglückliche Mensch
gezwungen, noch durch seine bereits von Noth und Krankheit gelähmten Hände
Etwas zu verdienen. Da er das eine Auge verloren, so war er unfähig für seine
Profession, die Leinweberei. Er legte sich also ans das Verfertiger von Draht¬
bürsten, welche die Ciselire und Gelbgießer gebrauchen. Mit diesem Fabrikat kam
er monatlich mehrere Male nach Warschau; allein sein bettelhafter Aufzug verdarb
ihm das Geschäft, welches ihm ohnehin nur eiuen sehr geringen Gewinn hätte
gewähren können.

Es ist in Polen das Sprichwort: der Stadt gebührt eine Schule, dem
Dorfe der Pflug. Wollte man aber daraus schließen, daß in den Städten die
Volksbildung sich eiuer energischen Pflege zu erfreuen habe, so würde man sich
sehr täuschen. Es besteht aus frühern Zeiten ein Gesetz, uach welchem jede
Stadt eine Elementarschule haben soll. Doch findet man uuter deu kleinern
Städten viele, in denen vergebens nach einer Schule gesucht wird. Die kleinen
Städte sind allermeist adeliges Eigenthum, und die Edelleute mögen für sie, da
sie weniger Nutzen aus ihnen ziehen, noch weniger Etwas thun, als für die
Dörfer. Die Regierung aber ist ganz zufrieden, wenn der Edelmann nur seine
auf Brücken, Posthäuser und dergleichen bezüglichen Verpflichtungen erfüllt; um
das Schulwesen kümmert sie sich nicht. Und wenn sie ja einmal im Anflug einer
ungewöhnlichen Laune jenem auf die Stadtschulen bezüglichen Gesetz ein Wenig
Geltung beilegt, so weiß der Edelmann, daß es eben uicht sehr ernst gemeint ist.
Kommt er seiner Verpflichtung nach, so thut er es wenigstens in sehr beschränkter
Weise. Das Gesetz sagt: der Herr der Stadt ist verpflichtet, eine Schule zu


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Schulen mit allgemeinen Ausdrücken bezeichnet, und sich ans die Ehrenhaftigkeit
Desselben verlassen haben.

So in einer Kolonie sieben Stunden von Warschau. Die Kolonie, aus
Professionisten bestehend, welche die landwirtschaftlichen Rohstoffe des ehemaligen
Grundherrn contractmäßig für einen geringen Lohn verarbeite», sind äußerst arme
Leute. Sie besitzen Feldgrundstücke, aber man hat sie theils mit unfruchtbarem
Sand-, theils mit unheilbarem Bruchboden betrogen. Der ehemalige Grundherr
ist verpflichtet, einen Lehrer anzustellen und zu erhalten. Das es.ut er. Er hat
nämlich einen alten, dem Bettelstabe nahen Leinweber mit 10 Thlr. Gehalt und einem
gewissen Holzdevntat, welches sich Derselbe auf dem eigenen Rücken ans dem Walde
holen muß, in das Schulamt gesetzt. Der Patron hat also nach dem Laute des Con-
tractes seine Pflicht erfüllt, den Kolonisten aber ist es überlassen, sich vor dem
Jammer zu bewahren, den alten braven Mann vor ihren Augen Hungers sterben
zu sehen, d. h. sie sind indirect gezwungen, den Lehrer selbst zu erhalten. So
sind sie denn auch dahin übereingekommen, daß ihm jeder Kolonist alljährlich ein
Brod und einen halben Scheffel Kartoffeln giebt. Es ist vielleicht Alles, was die
armen Leute vermögen; aber es ist noch nicht hinreichend, einen Mann mit Frau
und einigen Kindern nur dürstig zu erhalten. So sah sich der unglückliche Mensch
gezwungen, noch durch seine bereits von Noth und Krankheit gelähmten Hände
Etwas zu verdienen. Da er das eine Auge verloren, so war er unfähig für seine
Profession, die Leinweberei. Er legte sich also ans das Verfertiger von Draht¬
bürsten, welche die Ciselire und Gelbgießer gebrauchen. Mit diesem Fabrikat kam
er monatlich mehrere Male nach Warschau; allein sein bettelhafter Aufzug verdarb
ihm das Geschäft, welches ihm ohnehin nur eiuen sehr geringen Gewinn hätte
gewähren können.

Es ist in Polen das Sprichwort: der Stadt gebührt eine Schule, dem
Dorfe der Pflug. Wollte man aber daraus schließen, daß in den Städten die
Volksbildung sich eiuer energischen Pflege zu erfreuen habe, so würde man sich
sehr täuschen. Es besteht aus frühern Zeiten ein Gesetz, uach welchem jede
Stadt eine Elementarschule haben soll. Doch findet man uuter deu kleinern
Städten viele, in denen vergebens nach einer Schule gesucht wird. Die kleinen
Städte sind allermeist adeliges Eigenthum, und die Edelleute mögen für sie, da
sie weniger Nutzen aus ihnen ziehen, noch weniger Etwas thun, als für die
Dörfer. Die Regierung aber ist ganz zufrieden, wenn der Edelmann nur seine
auf Brücken, Posthäuser und dergleichen bezüglichen Verpflichtungen erfüllt; um
das Schulwesen kümmert sie sich nicht. Und wenn sie ja einmal im Anflug einer
ungewöhnlichen Laune jenem auf die Stadtschulen bezüglichen Gesetz ein Wenig
Geltung beilegt, so weiß der Edelmann, daß es eben uicht sehr ernst gemeint ist.
Kommt er seiner Verpflichtung nach, so thut er es wenigstens in sehr beschränkter
Weise. Das Gesetz sagt: der Herr der Stadt ist verpflichtet, eine Schule zu


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[0203] Schulen mit allgemeinen Ausdrücken bezeichnet, und sich ans die Ehrenhaftigkeit Desselben verlassen haben. So in einer Kolonie sieben Stunden von Warschau. Die Kolonie, aus Professionisten bestehend, welche die landwirtschaftlichen Rohstoffe des ehemaligen Grundherrn contractmäßig für einen geringen Lohn verarbeite», sind äußerst arme Leute. Sie besitzen Feldgrundstücke, aber man hat sie theils mit unfruchtbarem Sand-, theils mit unheilbarem Bruchboden betrogen. Der ehemalige Grundherr ist verpflichtet, einen Lehrer anzustellen und zu erhalten. Das es.ut er. Er hat nämlich einen alten, dem Bettelstabe nahen Leinweber mit 10 Thlr. Gehalt und einem gewissen Holzdevntat, welches sich Derselbe auf dem eigenen Rücken ans dem Walde holen muß, in das Schulamt gesetzt. Der Patron hat also nach dem Laute des Con- tractes seine Pflicht erfüllt, den Kolonisten aber ist es überlassen, sich vor dem Jammer zu bewahren, den alten braven Mann vor ihren Augen Hungers sterben zu sehen, d. h. sie sind indirect gezwungen, den Lehrer selbst zu erhalten. So sind sie denn auch dahin übereingekommen, daß ihm jeder Kolonist alljährlich ein Brod und einen halben Scheffel Kartoffeln giebt. Es ist vielleicht Alles, was die armen Leute vermögen; aber es ist noch nicht hinreichend, einen Mann mit Frau und einigen Kindern nur dürstig zu erhalten. So sah sich der unglückliche Mensch gezwungen, noch durch seine bereits von Noth und Krankheit gelähmten Hände Etwas zu verdienen. Da er das eine Auge verloren, so war er unfähig für seine Profession, die Leinweberei. Er legte sich also ans das Verfertiger von Draht¬ bürsten, welche die Ciselire und Gelbgießer gebrauchen. Mit diesem Fabrikat kam er monatlich mehrere Male nach Warschau; allein sein bettelhafter Aufzug verdarb ihm das Geschäft, welches ihm ohnehin nur eiuen sehr geringen Gewinn hätte gewähren können. Es ist in Polen das Sprichwort: der Stadt gebührt eine Schule, dem Dorfe der Pflug. Wollte man aber daraus schließen, daß in den Städten die Volksbildung sich eiuer energischen Pflege zu erfreuen habe, so würde man sich sehr täuschen. Es besteht aus frühern Zeiten ein Gesetz, uach welchem jede Stadt eine Elementarschule haben soll. Doch findet man uuter deu kleinern Städten viele, in denen vergebens nach einer Schule gesucht wird. Die kleinen Städte sind allermeist adeliges Eigenthum, und die Edelleute mögen für sie, da sie weniger Nutzen aus ihnen ziehen, noch weniger Etwas thun, als für die Dörfer. Die Regierung aber ist ganz zufrieden, wenn der Edelmann nur seine auf Brücken, Posthäuser und dergleichen bezüglichen Verpflichtungen erfüllt; um das Schulwesen kümmert sie sich nicht. Und wenn sie ja einmal im Anflug einer ungewöhnlichen Laune jenem auf die Stadtschulen bezüglichen Gesetz ein Wenig Geltung beilegt, so weiß der Edelmann, daß es eben uicht sehr ernst gemeint ist. Kommt er seiner Verpflichtung nach, so thut er es wenigstens in sehr beschränkter Weise. Das Gesetz sagt: der Herr der Stadt ist verpflichtet, eine Schule zu 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/203>, abgerufen am 02.07.2024.