Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht, als die Polnischen Dörfer. Hier gebührt aber das Lob keineswegs der
Regierung oder dem adeligen Urbesitzer des Grund und Bodens, vielmehr allein
den Kolonisten, welche entweder dem Edelmann gegenüber die Herstellung einer
Schule im Kaufcvntracte zur Bedingung gemacht, oder sie aus eigenen Kräften er¬
schaffen haben. Es ist ein ehrenvolles Zeugniß für die Colonisten, daß sich unter
den 39 Deutschen Colonien nicht eine befindet, welche nicht eine Schule besäße.
So verschieden, als die Uebereinkünfte mit den Grundherren, sind freilich auch
die Schulen geworden. Die besten sind die, welche die Kolonisten selbst einge¬
richtet haben. Einige haben Lehrer aus Deutschland kommen, andere einige von
ihre" Jünglingen zu Lehrern bilden lassen. So haben z. B. die großen Colonien
an der Zabieska und bei Zagrodi in ihre Grundgesetze den Beschluß aufgenommen,
alle funfzehn Jahre zwei ihrer Jünglinge auf Gemeindekosten in dem 4 840 in
Kurland errichteten Seminare zu Lehrern bilden zu lassen.

Kleine und arme Colonien, welche die Mittel nicht besehen, Lehrer bilden
zu lassen und zu erhalten, sind freilich übel daran. Allein sie wissen sich mit
Ehren zu helfen. In einem der früheren Sommer kam ich Abends spät in die
kleine Kolonie Frvhhcim. In einem der nächsten Häuser sah ich Helles Licht, und hörte
sehr laut sprechen. Ich ging hinein, und fand in einer großen bäurischen Wirth-
schaftSstube 22 Kinder um einen alten Colonisten, den Besitzer des Hauses, ver¬
sammelt, und die kleinern mit Tafelschreiben, die größern mit Kopfrechnen beschäf¬
tigt. Hier hatte man die Einrichtung getroffen, daß alljährlich wechselnd zwei
Bauern die Functionen des Lehrers ausüben mußten. Da diese Lehrer nun aber
am Tage mit ihrer Wirthschaft zu thun hatten, so wurde die Schule des Abends,
im Sommer von 8 bis -10 Uhr, im Winter von 6 bis 9 Uhr gehalten. "Wir",
sagte der Bauer zu mir, "lehren die Kinder, was wir in Deutschland gelernt
haben, und Diejenigen, welche eigenen Trieb haben, werden bisweilen klüger,
als wir es sind. Das kommt aber von den Büchern, die von Jahr zu Jahr
besser und lehrreicher werden. Wir legen alle Jahre uach der Wollschur 20 und
uach dem Decembcrdrusch 10 Thaler zusammen; für diese 30 Thaler beziehen wir
von Senncwald in Warschau gute Deutsche Lehrbücher, Naturgeschichten, Kinder¬
freunde, Sittenlehren, biblische Geschichten, Erdbeschreibungen und Rechenbücher.
Mehr aber können wir an die Schule nicht wenden. Ein Schulhaus kann nicht
gebaut werde", und das Schulamt muß nothwendig von uns selbst und unent-
geldlich verwaltet werden."

In vielen Colonien richt die Verpflichtung, die Schule zu erhalten, auf dem
ehemaligen Grundbesitzer, dem Edelmann. Da, wo im Kauscontracte eine genane
Stipulation vorhanden, die Summe, welche an die Anstalt gewendet, das Ge¬
halt, die Holz-, Getreide-, Kartvffelmassc :c. genau bezeichnet sind, welche all¬
jährlich dem Lehrer zu Theil werden müssen, da steht es so ganz übel nicht;
desto übler, wo die Colonisten die Verpflichtung des Grundbesitzers gegen die


nicht, als die Polnischen Dörfer. Hier gebührt aber das Lob keineswegs der
Regierung oder dem adeligen Urbesitzer des Grund und Bodens, vielmehr allein
den Kolonisten, welche entweder dem Edelmann gegenüber die Herstellung einer
Schule im Kaufcvntracte zur Bedingung gemacht, oder sie aus eigenen Kräften er¬
schaffen haben. Es ist ein ehrenvolles Zeugniß für die Colonisten, daß sich unter
den 39 Deutschen Colonien nicht eine befindet, welche nicht eine Schule besäße.
So verschieden, als die Uebereinkünfte mit den Grundherren, sind freilich auch
die Schulen geworden. Die besten sind die, welche die Kolonisten selbst einge¬
richtet haben. Einige haben Lehrer aus Deutschland kommen, andere einige von
ihre» Jünglingen zu Lehrern bilden lassen. So haben z. B. die großen Colonien
an der Zabieska und bei Zagrodi in ihre Grundgesetze den Beschluß aufgenommen,
alle funfzehn Jahre zwei ihrer Jünglinge auf Gemeindekosten in dem 4 840 in
Kurland errichteten Seminare zu Lehrern bilden zu lassen.

Kleine und arme Colonien, welche die Mittel nicht besehen, Lehrer bilden
zu lassen und zu erhalten, sind freilich übel daran. Allein sie wissen sich mit
Ehren zu helfen. In einem der früheren Sommer kam ich Abends spät in die
kleine Kolonie Frvhhcim. In einem der nächsten Häuser sah ich Helles Licht, und hörte
sehr laut sprechen. Ich ging hinein, und fand in einer großen bäurischen Wirth-
schaftSstube 22 Kinder um einen alten Colonisten, den Besitzer des Hauses, ver¬
sammelt, und die kleinern mit Tafelschreiben, die größern mit Kopfrechnen beschäf¬
tigt. Hier hatte man die Einrichtung getroffen, daß alljährlich wechselnd zwei
Bauern die Functionen des Lehrers ausüben mußten. Da diese Lehrer nun aber
am Tage mit ihrer Wirthschaft zu thun hatten, so wurde die Schule des Abends,
im Sommer von 8 bis -10 Uhr, im Winter von 6 bis 9 Uhr gehalten. „Wir",
sagte der Bauer zu mir, „lehren die Kinder, was wir in Deutschland gelernt
haben, und Diejenigen, welche eigenen Trieb haben, werden bisweilen klüger,
als wir es sind. Das kommt aber von den Büchern, die von Jahr zu Jahr
besser und lehrreicher werden. Wir legen alle Jahre uach der Wollschur 20 und
uach dem Decembcrdrusch 10 Thaler zusammen; für diese 30 Thaler beziehen wir
von Senncwald in Warschau gute Deutsche Lehrbücher, Naturgeschichten, Kinder¬
freunde, Sittenlehren, biblische Geschichten, Erdbeschreibungen und Rechenbücher.
Mehr aber können wir an die Schule nicht wenden. Ein Schulhaus kann nicht
gebaut werde», und das Schulamt muß nothwendig von uns selbst und unent-
geldlich verwaltet werden."

In vielen Colonien richt die Verpflichtung, die Schule zu erhalten, auf dem
ehemaligen Grundbesitzer, dem Edelmann. Da, wo im Kauscontracte eine genane
Stipulation vorhanden, die Summe, welche an die Anstalt gewendet, das Ge¬
halt, die Holz-, Getreide-, Kartvffelmassc :c. genau bezeichnet sind, welche all¬
jährlich dem Lehrer zu Theil werden müssen, da steht es so ganz übel nicht;
desto übler, wo die Colonisten die Verpflichtung des Grundbesitzers gegen die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280289"/>
          <p xml:id="ID_542" prev="#ID_541"> nicht, als die Polnischen Dörfer. Hier gebührt aber das Lob keineswegs der<lb/>
Regierung oder dem adeligen Urbesitzer des Grund und Bodens, vielmehr allein<lb/>
den Kolonisten, welche entweder dem Edelmann gegenüber die Herstellung einer<lb/>
Schule im Kaufcvntracte zur Bedingung gemacht, oder sie aus eigenen Kräften er¬<lb/>
schaffen haben. Es ist ein ehrenvolles Zeugniß für die Colonisten, daß sich unter<lb/>
den 39 Deutschen Colonien nicht eine befindet, welche nicht eine Schule besäße.<lb/>
So verschieden, als die Uebereinkünfte mit den Grundherren, sind freilich auch<lb/>
die Schulen geworden. Die besten sind die, welche die Kolonisten selbst einge¬<lb/>
richtet haben. Einige haben Lehrer aus Deutschland kommen, andere einige von<lb/>
ihre» Jünglingen zu Lehrern bilden lassen. So haben z. B. die großen Colonien<lb/>
an der Zabieska und bei Zagrodi in ihre Grundgesetze den Beschluß aufgenommen,<lb/>
alle funfzehn Jahre zwei ihrer Jünglinge auf Gemeindekosten in dem 4 840 in<lb/>
Kurland errichteten Seminare zu Lehrern bilden zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_543"> Kleine und arme Colonien, welche die Mittel nicht besehen, Lehrer bilden<lb/>
zu lassen und zu erhalten, sind freilich übel daran. Allein sie wissen sich mit<lb/>
Ehren zu helfen. In einem der früheren Sommer kam ich Abends spät in die<lb/>
kleine Kolonie Frvhhcim. In einem der nächsten Häuser sah ich Helles Licht, und hörte<lb/>
sehr laut sprechen. Ich ging hinein, und fand in einer großen bäurischen Wirth-<lb/>
schaftSstube 22 Kinder um einen alten Colonisten, den Besitzer des Hauses, ver¬<lb/>
sammelt, und die kleinern mit Tafelschreiben, die größern mit Kopfrechnen beschäf¬<lb/>
tigt. Hier hatte man die Einrichtung getroffen, daß alljährlich wechselnd zwei<lb/>
Bauern die Functionen des Lehrers ausüben mußten. Da diese Lehrer nun aber<lb/>
am Tage mit ihrer Wirthschaft zu thun hatten, so wurde die Schule des Abends,<lb/>
im Sommer von 8 bis -10 Uhr, im Winter von 6 bis 9 Uhr gehalten. &#x201E;Wir",<lb/>
sagte der Bauer zu mir, &#x201E;lehren die Kinder, was wir in Deutschland gelernt<lb/>
haben, und Diejenigen, welche eigenen Trieb haben, werden bisweilen klüger,<lb/>
als wir es sind. Das kommt aber von den Büchern, die von Jahr zu Jahr<lb/>
besser und lehrreicher werden. Wir legen alle Jahre uach der Wollschur 20 und<lb/>
uach dem Decembcrdrusch 10 Thaler zusammen; für diese 30 Thaler beziehen wir<lb/>
von Senncwald in Warschau gute Deutsche Lehrbücher, Naturgeschichten, Kinder¬<lb/>
freunde, Sittenlehren, biblische Geschichten, Erdbeschreibungen und Rechenbücher.<lb/>
Mehr aber können wir an die Schule nicht wenden. Ein Schulhaus kann nicht<lb/>
gebaut werde», und das Schulamt muß nothwendig von uns selbst und unent-<lb/>
geldlich verwaltet werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_544" next="#ID_545"> In vielen Colonien richt die Verpflichtung, die Schule zu erhalten, auf dem<lb/>
ehemaligen Grundbesitzer, dem Edelmann. Da, wo im Kauscontracte eine genane<lb/>
Stipulation vorhanden, die Summe, welche an die Anstalt gewendet, das Ge¬<lb/>
halt, die Holz-, Getreide-, Kartvffelmassc :c. genau bezeichnet sind, welche all¬<lb/>
jährlich dem Lehrer zu Theil werden müssen, da steht es so ganz übel nicht;<lb/>
desto übler, wo die Colonisten die Verpflichtung des Grundbesitzers gegen die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] nicht, als die Polnischen Dörfer. Hier gebührt aber das Lob keineswegs der Regierung oder dem adeligen Urbesitzer des Grund und Bodens, vielmehr allein den Kolonisten, welche entweder dem Edelmann gegenüber die Herstellung einer Schule im Kaufcvntracte zur Bedingung gemacht, oder sie aus eigenen Kräften er¬ schaffen haben. Es ist ein ehrenvolles Zeugniß für die Colonisten, daß sich unter den 39 Deutschen Colonien nicht eine befindet, welche nicht eine Schule besäße. So verschieden, als die Uebereinkünfte mit den Grundherren, sind freilich auch die Schulen geworden. Die besten sind die, welche die Kolonisten selbst einge¬ richtet haben. Einige haben Lehrer aus Deutschland kommen, andere einige von ihre» Jünglingen zu Lehrern bilden lassen. So haben z. B. die großen Colonien an der Zabieska und bei Zagrodi in ihre Grundgesetze den Beschluß aufgenommen, alle funfzehn Jahre zwei ihrer Jünglinge auf Gemeindekosten in dem 4 840 in Kurland errichteten Seminare zu Lehrern bilden zu lassen. Kleine und arme Colonien, welche die Mittel nicht besehen, Lehrer bilden zu lassen und zu erhalten, sind freilich übel daran. Allein sie wissen sich mit Ehren zu helfen. In einem der früheren Sommer kam ich Abends spät in die kleine Kolonie Frvhhcim. In einem der nächsten Häuser sah ich Helles Licht, und hörte sehr laut sprechen. Ich ging hinein, und fand in einer großen bäurischen Wirth- schaftSstube 22 Kinder um einen alten Colonisten, den Besitzer des Hauses, ver¬ sammelt, und die kleinern mit Tafelschreiben, die größern mit Kopfrechnen beschäf¬ tigt. Hier hatte man die Einrichtung getroffen, daß alljährlich wechselnd zwei Bauern die Functionen des Lehrers ausüben mußten. Da diese Lehrer nun aber am Tage mit ihrer Wirthschaft zu thun hatten, so wurde die Schule des Abends, im Sommer von 8 bis -10 Uhr, im Winter von 6 bis 9 Uhr gehalten. „Wir", sagte der Bauer zu mir, „lehren die Kinder, was wir in Deutschland gelernt haben, und Diejenigen, welche eigenen Trieb haben, werden bisweilen klüger, als wir es sind. Das kommt aber von den Büchern, die von Jahr zu Jahr besser und lehrreicher werden. Wir legen alle Jahre uach der Wollschur 20 und uach dem Decembcrdrusch 10 Thaler zusammen; für diese 30 Thaler beziehen wir von Senncwald in Warschau gute Deutsche Lehrbücher, Naturgeschichten, Kinder¬ freunde, Sittenlehren, biblische Geschichten, Erdbeschreibungen und Rechenbücher. Mehr aber können wir an die Schule nicht wenden. Ein Schulhaus kann nicht gebaut werde», und das Schulamt muß nothwendig von uns selbst und unent- geldlich verwaltet werden." In vielen Colonien richt die Verpflichtung, die Schule zu erhalten, auf dem ehemaligen Grundbesitzer, dem Edelmann. Da, wo im Kauscontracte eine genane Stipulation vorhanden, die Summe, welche an die Anstalt gewendet, das Ge¬ halt, die Holz-, Getreide-, Kartvffelmassc :c. genau bezeichnet sind, welche all¬ jährlich dem Lehrer zu Theil werden müssen, da steht es so ganz übel nicht; desto übler, wo die Colonisten die Verpflichtung des Grundbesitzers gegen die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/202>, abgerufen am 02.07.2024.