Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gesetz, und legen Polnische oder Russische Bücher vor. Ereignet sich der Fall,
daß der Andere die fremde Sprache versteht, so will sich der Herr Pfarrer über die
Enthüllung seines Betrugs todt lachen, beharrt aber doch auf seiner Forderung.

Die Bauern kommen am Schlimmsten weg. Selbst die Juden setzen sich an
diese wunde Stelle als Blutegel. Ju dem Dorfe Kr. uuferu der Preußischen
Grenze ereignete sich folgende schnurrige Geschichte. Einem Bauer, Namens
Woyczak, wurde sein Rindvieh, eine Kuh und einige Ochsen, gestohlen. Der
gruudherrschaftliche Inspector nahm sich des unglücklichen Bauers an, und machte
den Diebstahl nebst Signalement des gestohlenen Gutes und der Warnung vor
dem Ankauf desselben in der Warschauer Zeitung bekannt. Dadurch erfuhr ein
Jude das Ereignis;. Dieser erschien eines Tages in dem Schcnkhause zu Kr.,
und ließ den Bestohlenen zu eiuer Zusammenkunft in dem nahen Walde auffordern.
Die Eröffnung, daß ihm ein Rath in Betreff seines Rindviehes gegeben werden
solle, läßt den Bauer nicht zögern. Er stellt sich ein, und der Jude bietet ihm
nun ein "heiliges Buch" zum Kaufe an, aus dem er angeblich nicht blos erfah¬
ren kann, wohin sein Rindvieh gekommen, sondern welches ihn auch aus'wider¬
lichen Schicksalen aller Art zu retten vermag. Der Bauer schwebt zwar zwischen
Staunen und betäubender Freude, ist aber noch bei so nüchternem Verstände,
daß er den Einwurf macht, er könne nicht lesen. "El, das werde ich Dich so¬
gleich lehren, sobald Du das Buch gekauft hast", entgegnet der Jude; "zu be¬
achten ist nur Folgendes: kein Mensch darf, jetzt erfahren, daß Du dieses heilige
Buch kaufst, und nachmals, daß Du es besitzest. Schweigend und heimlich betend
mußt Dn es heimtragen. Unter der Schwelle der Hüttenthür gräbst du ein Loch,
legst es hinein, deckst es mit Werg und Erde zu, und bekreuzest Dich drei Tage
lang, so oft Du über die Schwelle schreitest. Bei Sonnenuntergang des dritten
Tages nimmst Dn es wieder hervor, und es wird Dir sofort Aufschluß über Dem
Rindvieh geben". Der Jude versäumte uicht, den Bauer in das Buch blicken
ZU lassen, ihm die Namen einiger Buchstaben zu nennen und verschiedene Gau¬
keleien vorzumachen. Am Stärksten aber wirkten wahrscheinlich die Kreuze auf
dem Umschlage. Genug, der Bauer reunt in das Dorf, nimmt alle Nachbarn
und Gevattern in Anspruch, und bringt wirklich die Summe von hundert Gulden
zusammen, die der Jude für das Buch fordert. Dieser lehrt ihn nun noch die Buch¬
staben B, V und X, und befiehlt ihm, beim Gebrauch des Buches die Laute, so
oft sie aus einer Seite vorkommen, recht lant auszurufen, woraus sich alsbald
das Verständniß des Ganzen bilde, und der Bauer trägt nun den Schatz heim.
Nach drei Tagen findet er, daß er mit dem Buche gar Nichts anzufangen im
Stande ist, und sieht sich uach langem Kampfe gezwungen, den freundlichen Wirth¬
schaftsinspector in sein heiliges Geheimniß zu ziehen, der in dem Buche -- eine
Polnische Uebersetzung des Oberon von Wieland erkennt.

Die Deutsche" Kolonien sind in Betreff des Schulwesens so verwahrlost


Grenzbvwl. III. i8ü->'. 25

gesetz, und legen Polnische oder Russische Bücher vor. Ereignet sich der Fall,
daß der Andere die fremde Sprache versteht, so will sich der Herr Pfarrer über die
Enthüllung seines Betrugs todt lachen, beharrt aber doch auf seiner Forderung.

Die Bauern kommen am Schlimmsten weg. Selbst die Juden setzen sich an
diese wunde Stelle als Blutegel. Ju dem Dorfe Kr. uuferu der Preußischen
Grenze ereignete sich folgende schnurrige Geschichte. Einem Bauer, Namens
Woyczak, wurde sein Rindvieh, eine Kuh und einige Ochsen, gestohlen. Der
gruudherrschaftliche Inspector nahm sich des unglücklichen Bauers an, und machte
den Diebstahl nebst Signalement des gestohlenen Gutes und der Warnung vor
dem Ankauf desselben in der Warschauer Zeitung bekannt. Dadurch erfuhr ein
Jude das Ereignis;. Dieser erschien eines Tages in dem Schcnkhause zu Kr.,
und ließ den Bestohlenen zu eiuer Zusammenkunft in dem nahen Walde auffordern.
Die Eröffnung, daß ihm ein Rath in Betreff seines Rindviehes gegeben werden
solle, läßt den Bauer nicht zögern. Er stellt sich ein, und der Jude bietet ihm
nun ein „heiliges Buch" zum Kaufe an, aus dem er angeblich nicht blos erfah¬
ren kann, wohin sein Rindvieh gekommen, sondern welches ihn auch aus'wider¬
lichen Schicksalen aller Art zu retten vermag. Der Bauer schwebt zwar zwischen
Staunen und betäubender Freude, ist aber noch bei so nüchternem Verstände,
daß er den Einwurf macht, er könne nicht lesen. „El, das werde ich Dich so¬
gleich lehren, sobald Du das Buch gekauft hast", entgegnet der Jude; „zu be¬
achten ist nur Folgendes: kein Mensch darf, jetzt erfahren, daß Du dieses heilige
Buch kaufst, und nachmals, daß Du es besitzest. Schweigend und heimlich betend
mußt Dn es heimtragen. Unter der Schwelle der Hüttenthür gräbst du ein Loch,
legst es hinein, deckst es mit Werg und Erde zu, und bekreuzest Dich drei Tage
lang, so oft Du über die Schwelle schreitest. Bei Sonnenuntergang des dritten
Tages nimmst Dn es wieder hervor, und es wird Dir sofort Aufschluß über Dem
Rindvieh geben". Der Jude versäumte uicht, den Bauer in das Buch blicken
ZU lassen, ihm die Namen einiger Buchstaben zu nennen und verschiedene Gau¬
keleien vorzumachen. Am Stärksten aber wirkten wahrscheinlich die Kreuze auf
dem Umschlage. Genug, der Bauer reunt in das Dorf, nimmt alle Nachbarn
und Gevattern in Anspruch, und bringt wirklich die Summe von hundert Gulden
zusammen, die der Jude für das Buch fordert. Dieser lehrt ihn nun noch die Buch¬
staben B, V und X, und befiehlt ihm, beim Gebrauch des Buches die Laute, so
oft sie aus einer Seite vorkommen, recht lant auszurufen, woraus sich alsbald
das Verständniß des Ganzen bilde, und der Bauer trägt nun den Schatz heim.
Nach drei Tagen findet er, daß er mit dem Buche gar Nichts anzufangen im
Stande ist, und sieht sich uach langem Kampfe gezwungen, den freundlichen Wirth¬
schaftsinspector in sein heiliges Geheimniß zu ziehen, der in dem Buche — eine
Polnische Uebersetzung des Oberon von Wieland erkennt.

Die Deutsche» Kolonien sind in Betreff des Schulwesens so verwahrlost


Grenzbvwl. III. i8ü->'. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280288"/>
          <p xml:id="ID_539" prev="#ID_538"> gesetz, und legen Polnische oder Russische Bücher vor. Ereignet sich der Fall,<lb/>
daß der Andere die fremde Sprache versteht, so will sich der Herr Pfarrer über die<lb/>
Enthüllung seines Betrugs todt lachen, beharrt aber doch auf seiner Forderung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_540"> Die Bauern kommen am Schlimmsten weg. Selbst die Juden setzen sich an<lb/>
diese wunde Stelle als Blutegel. Ju dem Dorfe Kr. uuferu der Preußischen<lb/>
Grenze ereignete sich folgende schnurrige Geschichte. Einem Bauer, Namens<lb/>
Woyczak, wurde sein Rindvieh, eine Kuh und einige Ochsen, gestohlen. Der<lb/>
gruudherrschaftliche Inspector nahm sich des unglücklichen Bauers an, und machte<lb/>
den Diebstahl nebst Signalement des gestohlenen Gutes und der Warnung vor<lb/>
dem Ankauf desselben in der Warschauer Zeitung bekannt. Dadurch erfuhr ein<lb/>
Jude das Ereignis;. Dieser erschien eines Tages in dem Schcnkhause zu Kr.,<lb/>
und ließ den Bestohlenen zu eiuer Zusammenkunft in dem nahen Walde auffordern.<lb/>
Die Eröffnung, daß ihm ein Rath in Betreff seines Rindviehes gegeben werden<lb/>
solle, läßt den Bauer nicht zögern. Er stellt sich ein, und der Jude bietet ihm<lb/>
nun ein &#x201E;heiliges Buch" zum Kaufe an, aus dem er angeblich nicht blos erfah¬<lb/>
ren kann, wohin sein Rindvieh gekommen, sondern welches ihn auch aus'wider¬<lb/>
lichen Schicksalen aller Art zu retten vermag. Der Bauer schwebt zwar zwischen<lb/>
Staunen und betäubender Freude, ist aber noch bei so nüchternem Verstände,<lb/>
daß er den Einwurf macht, er könne nicht lesen. &#x201E;El, das werde ich Dich so¬<lb/>
gleich lehren, sobald Du das Buch gekauft hast", entgegnet der Jude; &#x201E;zu be¬<lb/>
achten ist nur Folgendes: kein Mensch darf, jetzt erfahren, daß Du dieses heilige<lb/>
Buch kaufst, und nachmals, daß Du es besitzest. Schweigend und heimlich betend<lb/>
mußt Dn es heimtragen. Unter der Schwelle der Hüttenthür gräbst du ein Loch,<lb/>
legst es hinein, deckst es mit Werg und Erde zu, und bekreuzest Dich drei Tage<lb/>
lang, so oft Du über die Schwelle schreitest. Bei Sonnenuntergang des dritten<lb/>
Tages nimmst Dn es wieder hervor, und es wird Dir sofort Aufschluß über Dem<lb/>
Rindvieh geben". Der Jude versäumte uicht, den Bauer in das Buch blicken<lb/>
ZU lassen, ihm die Namen einiger Buchstaben zu nennen und verschiedene Gau¬<lb/>
keleien vorzumachen. Am Stärksten aber wirkten wahrscheinlich die Kreuze auf<lb/>
dem Umschlage. Genug, der Bauer reunt in das Dorf, nimmt alle Nachbarn<lb/>
und Gevattern in Anspruch, und bringt wirklich die Summe von hundert Gulden<lb/>
zusammen, die der Jude für das Buch fordert. Dieser lehrt ihn nun noch die Buch¬<lb/>
staben B, V und X, und befiehlt ihm, beim Gebrauch des Buches die Laute, so<lb/>
oft sie aus einer Seite vorkommen, recht lant auszurufen, woraus sich alsbald<lb/>
das Verständniß des Ganzen bilde, und der Bauer trägt nun den Schatz heim.<lb/>
Nach drei Tagen findet er, daß er mit dem Buche gar Nichts anzufangen im<lb/>
Stande ist, und sieht sich uach langem Kampfe gezwungen, den freundlichen Wirth¬<lb/>
schaftsinspector in sein heiliges Geheimniß zu ziehen, der in dem Buche &#x2014; eine<lb/>
Polnische Uebersetzung des Oberon von Wieland erkennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_541" next="#ID_542"> Die Deutsche» Kolonien sind in Betreff des Schulwesens so verwahrlost</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbvwl. III. i8ü-&gt;'. 25</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] gesetz, und legen Polnische oder Russische Bücher vor. Ereignet sich der Fall, daß der Andere die fremde Sprache versteht, so will sich der Herr Pfarrer über die Enthüllung seines Betrugs todt lachen, beharrt aber doch auf seiner Forderung. Die Bauern kommen am Schlimmsten weg. Selbst die Juden setzen sich an diese wunde Stelle als Blutegel. Ju dem Dorfe Kr. uuferu der Preußischen Grenze ereignete sich folgende schnurrige Geschichte. Einem Bauer, Namens Woyczak, wurde sein Rindvieh, eine Kuh und einige Ochsen, gestohlen. Der gruudherrschaftliche Inspector nahm sich des unglücklichen Bauers an, und machte den Diebstahl nebst Signalement des gestohlenen Gutes und der Warnung vor dem Ankauf desselben in der Warschauer Zeitung bekannt. Dadurch erfuhr ein Jude das Ereignis;. Dieser erschien eines Tages in dem Schcnkhause zu Kr., und ließ den Bestohlenen zu eiuer Zusammenkunft in dem nahen Walde auffordern. Die Eröffnung, daß ihm ein Rath in Betreff seines Rindviehes gegeben werden solle, läßt den Bauer nicht zögern. Er stellt sich ein, und der Jude bietet ihm nun ein „heiliges Buch" zum Kaufe an, aus dem er angeblich nicht blos erfah¬ ren kann, wohin sein Rindvieh gekommen, sondern welches ihn auch aus'wider¬ lichen Schicksalen aller Art zu retten vermag. Der Bauer schwebt zwar zwischen Staunen und betäubender Freude, ist aber noch bei so nüchternem Verstände, daß er den Einwurf macht, er könne nicht lesen. „El, das werde ich Dich so¬ gleich lehren, sobald Du das Buch gekauft hast", entgegnet der Jude; „zu be¬ achten ist nur Folgendes: kein Mensch darf, jetzt erfahren, daß Du dieses heilige Buch kaufst, und nachmals, daß Du es besitzest. Schweigend und heimlich betend mußt Dn es heimtragen. Unter der Schwelle der Hüttenthür gräbst du ein Loch, legst es hinein, deckst es mit Werg und Erde zu, und bekreuzest Dich drei Tage lang, so oft Du über die Schwelle schreitest. Bei Sonnenuntergang des dritten Tages nimmst Dn es wieder hervor, und es wird Dir sofort Aufschluß über Dem Rindvieh geben". Der Jude versäumte uicht, den Bauer in das Buch blicken ZU lassen, ihm die Namen einiger Buchstaben zu nennen und verschiedene Gau¬ keleien vorzumachen. Am Stärksten aber wirkten wahrscheinlich die Kreuze auf dem Umschlage. Genug, der Bauer reunt in das Dorf, nimmt alle Nachbarn und Gevattern in Anspruch, und bringt wirklich die Summe von hundert Gulden zusammen, die der Jude für das Buch fordert. Dieser lehrt ihn nun noch die Buch¬ staben B, V und X, und befiehlt ihm, beim Gebrauch des Buches die Laute, so oft sie aus einer Seite vorkommen, recht lant auszurufen, woraus sich alsbald das Verständniß des Ganzen bilde, und der Bauer trägt nun den Schatz heim. Nach drei Tagen findet er, daß er mit dem Buche gar Nichts anzufangen im Stande ist, und sieht sich uach langem Kampfe gezwungen, den freundlichen Wirth¬ schaftsinspector in sein heiliges Geheimniß zu ziehen, der in dem Buche — eine Polnische Uebersetzung des Oberon von Wieland erkennt. Die Deutsche» Kolonien sind in Betreff des Schulwesens so verwahrlost Grenzbvwl. III. i8ü->'. 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/201>, abgerufen am 02.07.2024.