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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Drohungen, Beschreibungen des Himmels und der Hölle, wo hinein dann bisweilen
ein Paar Worte aus der Bibel fallen. Die Hauptsache ist der vom Himmel
stammende Anspruch des Pfarrers aus Eierkörbe, Speckseiten und Noggensäcke der
Gläubigen. Der Gesang endlich ist das Komischste. Die Kehlen stimmen so
ziemlich in die Accorde der kleinen Orgel, aber in der ganzen Kirche sind der
Pfarrer und der Organist die beiden einzigen Menschen, welche Gesangbücher
besitzen und den richtigen Text singen. Alle nebligen singen theils bloße Töne,
theils eine stabile immer wiederholte Heiligenanrufnng, theils auch beliebige Lieder,
sogar gesellschaftliche Volkslieder. Freilich verlieren die guten Leute an den Lie¬
dern nicht viel, denn sie sind das Gräßlichste, was es in dieser Art giebt. Einer
meiner Bekannten gab dem Pfarrer von Babice den Rath, er solle doch der Ge¬
meinde während des Gesangs die Lieder Zeitenweise vorsagen lassen, damit ihnen
doch auch der Segen des Textes zu Theil würde. Dieser Rath fand eine freund¬
liche Aufnahme. Der brave Pfarrer glaubte sich vielleicht den Namen eines kirch¬
lichen Erfinders erwerben zu können. Genug, er exercirte den Schreiber des
Edelmanns ein, und ließ Diesen von der Orgel herab den Text vorsagen. Er
versicherte später seinem Rathgeber, daß die Idee sich ganz herrlich bewähre, und
gewiß die weiteste Ausbreitung im Laude finden werde, zumal er entschlossen sei,
über diese Einrichtung des Kirchengesangs ein Schriftchen beim Bischof einzureichen
nud sodann zu veröffentlichen.

Uebrigens sind die Polnischen Geistlichen keineswegs Freunde eines schrift-
kundigeu Volks. Sie führen, wie auch ihre Collegen anderwärts, nur zu gern
falsche Karte, und lassen sich daher ungern hineinsehen. Kommt der Bauer, um
den Herrn Pfarrer um die Aufgebote zu bitten, so ist das Erste, daß ihm der
Pfarrer einen zwei- bis dreifach über das Landesgesetz emporragenden Preis an¬
giebt, und die Gebühr voraus fordert. Der Bauer weiß aber -- denn von Seite
der Aemter ist es irgend einmal zur allgemeinen Kenntniß gebracht worden
daß die drei Aufgebote mir drei Gulden kosten. Er wischt sich also mit den
Aermeln seines Kittels einige Mal die Nase, kratzt sich in den langen Haaren, und
giebt durch andere geistreiche Geberden zu erkennen, daß er die Forderung des
Herrn Pfarrers für eine ungesetzliche halte. Dieser aber holt gleich das erste
beste Buch ans dem Regal, schlägt es auf: "Da, hier ist es, hier lies das Ge¬
setz -- also anders finden die Aufgebote nicht statt, als wenn Du das Geforderte
zahlst." Dasselbe Spiel wiederholt sich bei Trauung, Leichenbegängniß, Taufe und
allen ähnlichen Vorkommnissen. Die Geistlichen scheuen sich dabei nicht, sich wie
die erbärmlichsten Schachcrjudeu mit ihren Gläubigen herumzubalgen. Sie
sind dermaßen an ihre Schwindel, die sich stets um Gebühren drehen, gewöhnt,
daß sie durchaus auf den Stand der Personen keine Rücksicht nehmen. Steht
ein Edelmann vor ihnen, so sprechen sie vom katholischen Kirchengesetz, und legen
Lateinische Bücher vor; ist der Gegner ein Deutscher, so sprechen sie vom Landes-


Drohungen, Beschreibungen des Himmels und der Hölle, wo hinein dann bisweilen
ein Paar Worte aus der Bibel fallen. Die Hauptsache ist der vom Himmel
stammende Anspruch des Pfarrers aus Eierkörbe, Speckseiten und Noggensäcke der
Gläubigen. Der Gesang endlich ist das Komischste. Die Kehlen stimmen so
ziemlich in die Accorde der kleinen Orgel, aber in der ganzen Kirche sind der
Pfarrer und der Organist die beiden einzigen Menschen, welche Gesangbücher
besitzen und den richtigen Text singen. Alle nebligen singen theils bloße Töne,
theils eine stabile immer wiederholte Heiligenanrufnng, theils auch beliebige Lieder,
sogar gesellschaftliche Volkslieder. Freilich verlieren die guten Leute an den Lie¬
dern nicht viel, denn sie sind das Gräßlichste, was es in dieser Art giebt. Einer
meiner Bekannten gab dem Pfarrer von Babice den Rath, er solle doch der Ge¬
meinde während des Gesangs die Lieder Zeitenweise vorsagen lassen, damit ihnen
doch auch der Segen des Textes zu Theil würde. Dieser Rath fand eine freund¬
liche Aufnahme. Der brave Pfarrer glaubte sich vielleicht den Namen eines kirch¬
lichen Erfinders erwerben zu können. Genug, er exercirte den Schreiber des
Edelmanns ein, und ließ Diesen von der Orgel herab den Text vorsagen. Er
versicherte später seinem Rathgeber, daß die Idee sich ganz herrlich bewähre, und
gewiß die weiteste Ausbreitung im Laude finden werde, zumal er entschlossen sei,
über diese Einrichtung des Kirchengesangs ein Schriftchen beim Bischof einzureichen
nud sodann zu veröffentlichen.

Uebrigens sind die Polnischen Geistlichen keineswegs Freunde eines schrift-
kundigeu Volks. Sie führen, wie auch ihre Collegen anderwärts, nur zu gern
falsche Karte, und lassen sich daher ungern hineinsehen. Kommt der Bauer, um
den Herrn Pfarrer um die Aufgebote zu bitten, so ist das Erste, daß ihm der
Pfarrer einen zwei- bis dreifach über das Landesgesetz emporragenden Preis an¬
giebt, und die Gebühr voraus fordert. Der Bauer weiß aber — denn von Seite
der Aemter ist es irgend einmal zur allgemeinen Kenntniß gebracht worden
daß die drei Aufgebote mir drei Gulden kosten. Er wischt sich also mit den
Aermeln seines Kittels einige Mal die Nase, kratzt sich in den langen Haaren, und
giebt durch andere geistreiche Geberden zu erkennen, daß er die Forderung des
Herrn Pfarrers für eine ungesetzliche halte. Dieser aber holt gleich das erste
beste Buch ans dem Regal, schlägt es auf: „Da, hier ist es, hier lies das Ge¬
setz — also anders finden die Aufgebote nicht statt, als wenn Du das Geforderte
zahlst." Dasselbe Spiel wiederholt sich bei Trauung, Leichenbegängniß, Taufe und
allen ähnlichen Vorkommnissen. Die Geistlichen scheuen sich dabei nicht, sich wie
die erbärmlichsten Schachcrjudeu mit ihren Gläubigen herumzubalgen. Sie
sind dermaßen an ihre Schwindel, die sich stets um Gebühren drehen, gewöhnt,
daß sie durchaus auf den Stand der Personen keine Rücksicht nehmen. Steht
ein Edelmann vor ihnen, so sprechen sie vom katholischen Kirchengesetz, und legen
Lateinische Bücher vor; ist der Gegner ein Deutscher, so sprechen sie vom Landes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/200>, abgerufen am 02.07.2024.