Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

halten, so genügt es eben, daß er einen Lehrer anstellt. Unter welchen Bedin¬
gungen er es thut, ist seine Sache."

So wäre der Lehrer genöthigt, sich wie ein Oekonomieverwalter oder Dienst¬
bote unter vielleicht jämmerlicher Kondition zu verdingen. Gewiß aber würde
er sich noch zu besondern Diensten verpflichten müssen. Der Lehrer in O. bei
Plonsk ist bei 20 Thlr. Gehalt zugleich Waldaufseher; der Lehrer in B. bei
PaltnSk ist zugleich herrschaftlicher Gärtner und Fischnetzstricker; der Lehrer in
dem kleinen adeligen Landstädtchen W. an der Straße nach TykoSzyn ist Brunnen¬
macher und herrschaftlicher Bierbrauer; die drei angedeuteten Schulen sind Ueber-
reste des Herzogthums Warschau.

Unter solchen Verhältnissen ist ein allgemeines Landschulwesen eine Unmög¬
lichkeit; der Vorwurf aber gebührt allein der Regierung. Der Polnische Adel
kann ihr kein Hinderniß sein, und ist es ihr nicht, denn der Zwang, den sie ihm
hier anthun müßte, wäre nicht ihre erste und schlimmste Gewaltthat gegen den¬
selben. Die Verhältnisse im Großherzogthum Posen waren durchaus keine an¬
dern, und doch machte die viel rücksichtsvollere Preußische Negierung den ganzen
Bauernstand dieses Landes unabhängig vom Edelmann, und errichtete über 110t)
Dorfschulen trotz dem Geschrei des Adels. Allein die Russische Regierung mag
das Polnische niedere Volk gegen das Russische keinen Vorzug gewinnen lassen.

Doch würden auch die Schulen unter den gegenwärtigen socialen Verhält¬
nissen des Bauernstandes die frnchtlosesten Anstalten sein, die es nur geben kann.
Erst muß diese Volksklasse mit ihrem Besitzthum unabhängig sein. Gegenwärtig,
wo Bauer und Bäuerin von Montag bis Sonnabend mit Frohndiensten zu thun
haben, sind die Kinder vom größten bis zum kleinsten dermaßen mit Kochen,
Melken, Vieh hüten, Sammeln des wilden Obstes, der Pilze ze. und andern zur
Erhaltung der Wirthschaft nothwendige" Geschäften beladen, daß ihnen keine
Stunde für die Schule übrig bliebe.

Wo jetzt Dorfschulen bestehen, bestehen sie auch uur zur Zeit des Winters.
Im Sommer ist für sie keine Zeit vorhanden. Und selbst der Lehrer gehört zu
den von Geschäften Abgehaltenen. Sein Gehalt übersteigt den Lohn eines
Knechtes nicht sehr. Der Knecht bekommt 40 Gulden, oder 6 Thlr. 16 Gr.,
der Lehrer -12 bis 20 Thlr. Ich habe einen Landschullehrer, der noch dazu bei
einer Deutschen Kolonie angestellt war, gekannt, dessen Gehalt in -10 Thalern bestand.
Daraus geht hervor, daß der arme Schulmann auf den Segen eines Stückleins
Landwirthschaft angewiesen ist.

Der Gottesdienst auf dem Lande ist das wunderlichste Ding, was es nur
geben kaun. Er besteht aus Altargebeteu in Lateinischer Sprache, Predigt und
Gesang mit Orgelbegleitung. Die Lateinischen Gebete hält der Bauer für Zauber¬
formeln gegen schlimme Schicksale, die er, sein Vieh und seine Felder zu fürchten
haben. Die Predigt besteht in kirchlichen Befehlen, meist das Fasten betreffend,


halten, so genügt es eben, daß er einen Lehrer anstellt. Unter welchen Bedin¬
gungen er es thut, ist seine Sache."

So wäre der Lehrer genöthigt, sich wie ein Oekonomieverwalter oder Dienst¬
bote unter vielleicht jämmerlicher Kondition zu verdingen. Gewiß aber würde
er sich noch zu besondern Diensten verpflichten müssen. Der Lehrer in O. bei
Plonsk ist bei 20 Thlr. Gehalt zugleich Waldaufseher; der Lehrer in B. bei
PaltnSk ist zugleich herrschaftlicher Gärtner und Fischnetzstricker; der Lehrer in
dem kleinen adeligen Landstädtchen W. an der Straße nach TykoSzyn ist Brunnen¬
macher und herrschaftlicher Bierbrauer; die drei angedeuteten Schulen sind Ueber-
reste des Herzogthums Warschau.

Unter solchen Verhältnissen ist ein allgemeines Landschulwesen eine Unmög¬
lichkeit; der Vorwurf aber gebührt allein der Regierung. Der Polnische Adel
kann ihr kein Hinderniß sein, und ist es ihr nicht, denn der Zwang, den sie ihm
hier anthun müßte, wäre nicht ihre erste und schlimmste Gewaltthat gegen den¬
selben. Die Verhältnisse im Großherzogthum Posen waren durchaus keine an¬
dern, und doch machte die viel rücksichtsvollere Preußische Negierung den ganzen
Bauernstand dieses Landes unabhängig vom Edelmann, und errichtete über 110t)
Dorfschulen trotz dem Geschrei des Adels. Allein die Russische Regierung mag
das Polnische niedere Volk gegen das Russische keinen Vorzug gewinnen lassen.

Doch würden auch die Schulen unter den gegenwärtigen socialen Verhält¬
nissen des Bauernstandes die frnchtlosesten Anstalten sein, die es nur geben kann.
Erst muß diese Volksklasse mit ihrem Besitzthum unabhängig sein. Gegenwärtig,
wo Bauer und Bäuerin von Montag bis Sonnabend mit Frohndiensten zu thun
haben, sind die Kinder vom größten bis zum kleinsten dermaßen mit Kochen,
Melken, Vieh hüten, Sammeln des wilden Obstes, der Pilze ze. und andern zur
Erhaltung der Wirthschaft nothwendige» Geschäften beladen, daß ihnen keine
Stunde für die Schule übrig bliebe.

Wo jetzt Dorfschulen bestehen, bestehen sie auch uur zur Zeit des Winters.
Im Sommer ist für sie keine Zeit vorhanden. Und selbst der Lehrer gehört zu
den von Geschäften Abgehaltenen. Sein Gehalt übersteigt den Lohn eines
Knechtes nicht sehr. Der Knecht bekommt 40 Gulden, oder 6 Thlr. 16 Gr.,
der Lehrer -12 bis 20 Thlr. Ich habe einen Landschullehrer, der noch dazu bei
einer Deutschen Kolonie angestellt war, gekannt, dessen Gehalt in -10 Thalern bestand.
Daraus geht hervor, daß der arme Schulmann auf den Segen eines Stückleins
Landwirthschaft angewiesen ist.

Der Gottesdienst auf dem Lande ist das wunderlichste Ding, was es nur
geben kaun. Er besteht aus Altargebeteu in Lateinischer Sprache, Predigt und
Gesang mit Orgelbegleitung. Die Lateinischen Gebete hält der Bauer für Zauber¬
formeln gegen schlimme Schicksale, die er, sein Vieh und seine Felder zu fürchten
haben. Die Predigt besteht in kirchlichen Befehlen, meist das Fasten betreffend,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280286"/>
          <p xml:id="ID_531" prev="#ID_530"> halten, so genügt es eben, daß er einen Lehrer anstellt. Unter welchen Bedin¬<lb/>
gungen er es thut, ist seine Sache."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_532"> So wäre der Lehrer genöthigt, sich wie ein Oekonomieverwalter oder Dienst¬<lb/>
bote unter vielleicht jämmerlicher Kondition zu verdingen. Gewiß aber würde<lb/>
er sich noch zu besondern Diensten verpflichten müssen. Der Lehrer in O. bei<lb/>
Plonsk ist bei 20 Thlr. Gehalt zugleich Waldaufseher; der Lehrer in B. bei<lb/>
PaltnSk ist zugleich herrschaftlicher Gärtner und Fischnetzstricker; der Lehrer in<lb/>
dem kleinen adeligen Landstädtchen W. an der Straße nach TykoSzyn ist Brunnen¬<lb/>
macher und herrschaftlicher Bierbrauer; die drei angedeuteten Schulen sind Ueber-<lb/>
reste des Herzogthums Warschau.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_533"> Unter solchen Verhältnissen ist ein allgemeines Landschulwesen eine Unmög¬<lb/>
lichkeit; der Vorwurf aber gebührt allein der Regierung. Der Polnische Adel<lb/>
kann ihr kein Hinderniß sein, und ist es ihr nicht, denn der Zwang, den sie ihm<lb/>
hier anthun müßte, wäre nicht ihre erste und schlimmste Gewaltthat gegen den¬<lb/>
selben. Die Verhältnisse im Großherzogthum Posen waren durchaus keine an¬<lb/>
dern, und doch machte die viel rücksichtsvollere Preußische Negierung den ganzen<lb/>
Bauernstand dieses Landes unabhängig vom Edelmann, und errichtete über 110t)<lb/>
Dorfschulen trotz dem Geschrei des Adels. Allein die Russische Regierung mag<lb/>
das Polnische niedere Volk gegen das Russische keinen Vorzug gewinnen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_534"> Doch würden auch die Schulen unter den gegenwärtigen socialen Verhält¬<lb/>
nissen des Bauernstandes die frnchtlosesten Anstalten sein, die es nur geben kann.<lb/>
Erst muß diese Volksklasse mit ihrem Besitzthum unabhängig sein. Gegenwärtig,<lb/>
wo Bauer und Bäuerin von Montag bis Sonnabend mit Frohndiensten zu thun<lb/>
haben, sind die Kinder vom größten bis zum kleinsten dermaßen mit Kochen,<lb/>
Melken, Vieh hüten, Sammeln des wilden Obstes, der Pilze ze. und andern zur<lb/>
Erhaltung der Wirthschaft nothwendige» Geschäften beladen, daß ihnen keine<lb/>
Stunde für die Schule übrig bliebe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Wo jetzt Dorfschulen bestehen, bestehen sie auch uur zur Zeit des Winters.<lb/>
Im Sommer ist für sie keine Zeit vorhanden. Und selbst der Lehrer gehört zu<lb/>
den von Geschäften Abgehaltenen. Sein Gehalt übersteigt den Lohn eines<lb/>
Knechtes nicht sehr. Der Knecht bekommt 40 Gulden, oder 6 Thlr. 16 Gr.,<lb/>
der Lehrer -12 bis 20 Thlr. Ich habe einen Landschullehrer, der noch dazu bei<lb/>
einer Deutschen Kolonie angestellt war, gekannt, dessen Gehalt in -10 Thalern bestand.<lb/>
Daraus geht hervor, daß der arme Schulmann auf den Segen eines Stückleins<lb/>
Landwirthschaft angewiesen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536" next="#ID_537"> Der Gottesdienst auf dem Lande ist das wunderlichste Ding, was es nur<lb/>
geben kaun. Er besteht aus Altargebeteu in Lateinischer Sprache, Predigt und<lb/>
Gesang mit Orgelbegleitung. Die Lateinischen Gebete hält der Bauer für Zauber¬<lb/>
formeln gegen schlimme Schicksale, die er, sein Vieh und seine Felder zu fürchten<lb/>
haben. Die Predigt besteht in kirchlichen Befehlen, meist das Fasten betreffend,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] halten, so genügt es eben, daß er einen Lehrer anstellt. Unter welchen Bedin¬ gungen er es thut, ist seine Sache." So wäre der Lehrer genöthigt, sich wie ein Oekonomieverwalter oder Dienst¬ bote unter vielleicht jämmerlicher Kondition zu verdingen. Gewiß aber würde er sich noch zu besondern Diensten verpflichten müssen. Der Lehrer in O. bei Plonsk ist bei 20 Thlr. Gehalt zugleich Waldaufseher; der Lehrer in B. bei PaltnSk ist zugleich herrschaftlicher Gärtner und Fischnetzstricker; der Lehrer in dem kleinen adeligen Landstädtchen W. an der Straße nach TykoSzyn ist Brunnen¬ macher und herrschaftlicher Bierbrauer; die drei angedeuteten Schulen sind Ueber- reste des Herzogthums Warschau. Unter solchen Verhältnissen ist ein allgemeines Landschulwesen eine Unmög¬ lichkeit; der Vorwurf aber gebührt allein der Regierung. Der Polnische Adel kann ihr kein Hinderniß sein, und ist es ihr nicht, denn der Zwang, den sie ihm hier anthun müßte, wäre nicht ihre erste und schlimmste Gewaltthat gegen den¬ selben. Die Verhältnisse im Großherzogthum Posen waren durchaus keine an¬ dern, und doch machte die viel rücksichtsvollere Preußische Negierung den ganzen Bauernstand dieses Landes unabhängig vom Edelmann, und errichtete über 110t) Dorfschulen trotz dem Geschrei des Adels. Allein die Russische Regierung mag das Polnische niedere Volk gegen das Russische keinen Vorzug gewinnen lassen. Doch würden auch die Schulen unter den gegenwärtigen socialen Verhält¬ nissen des Bauernstandes die frnchtlosesten Anstalten sein, die es nur geben kann. Erst muß diese Volksklasse mit ihrem Besitzthum unabhängig sein. Gegenwärtig, wo Bauer und Bäuerin von Montag bis Sonnabend mit Frohndiensten zu thun haben, sind die Kinder vom größten bis zum kleinsten dermaßen mit Kochen, Melken, Vieh hüten, Sammeln des wilden Obstes, der Pilze ze. und andern zur Erhaltung der Wirthschaft nothwendige» Geschäften beladen, daß ihnen keine Stunde für die Schule übrig bliebe. Wo jetzt Dorfschulen bestehen, bestehen sie auch uur zur Zeit des Winters. Im Sommer ist für sie keine Zeit vorhanden. Und selbst der Lehrer gehört zu den von Geschäften Abgehaltenen. Sein Gehalt übersteigt den Lohn eines Knechtes nicht sehr. Der Knecht bekommt 40 Gulden, oder 6 Thlr. 16 Gr., der Lehrer -12 bis 20 Thlr. Ich habe einen Landschullehrer, der noch dazu bei einer Deutschen Kolonie angestellt war, gekannt, dessen Gehalt in -10 Thalern bestand. Daraus geht hervor, daß der arme Schulmann auf den Segen eines Stückleins Landwirthschaft angewiesen ist. Der Gottesdienst auf dem Lande ist das wunderlichste Ding, was es nur geben kaun. Er besteht aus Altargebeteu in Lateinischer Sprache, Predigt und Gesang mit Orgelbegleitung. Die Lateinischen Gebete hält der Bauer für Zauber¬ formeln gegen schlimme Schicksale, die er, sein Vieh und seine Felder zu fürchten haben. Die Predigt besteht in kirchlichen Befehlen, meist das Fasten betreffend,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/199
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/199>, abgerufen am 02.07.2024.