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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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susionen entstanden, so fing man an, mündlich mit den Woyts zu verkehren, und
verwendete uicht mehr Kosaken -- die auch uicht lesen können -- im Boten¬
dienste, sondern schriftkundige Polizeiknechtc. Endlich hat man den Woyts zwei
Gehilfen aus der Gemeinde beigesellt, und läßt nun diese drei Personen, so oft
Etwas zu eröffnen ist, mit einander in das Amt kommen.

Demungeachtet haßt die Regierung den Gedanken an die Schulbildung der
untern Volksschicht. Ich erinnere mich, Augenzeuge einer kleinen Anekdote gewesen
zu sein, welche die Russische Meinung bezeichnet. In Warschau wanderte ein
Bauer durch die Massurcnstraße, welcher eine Brille trug. In der That war
dieser Mann in langem weißem Kittel mit hoher Schaspelzmütze und Brille eine
sehr komische und in Polen gewiß noch nicht dagewesene Erscheinung. Zufällig
begegnet ihm der General Tvlstvy. Er fragt: "Bauer, woher hast Dn Deine
Brille?" "Gnädigster Herr, auf dem Ablaßjahrmarkte in Czerniakow gekauft."
"Wozu?" "Weil der Händler sagte, man könne durch solche Gläser besser
sehen, ich aber habe in Folge von Krankheiten sehr trübe Augen." "So? Und was
kostet das Ding?" "Zwei Polnische Gulden." "So? Nun will ich Dir aber
sagen, daß sich ein solches Ding, von dem Du wol deu Namen nicht einmal leimst,
für einen dummen Bauer uicht schickt. Das gebührt uur Leuten, die auf Schu¬
len gewesen sind." Hiermit nahm der General dem Bauer die Brille von der
Nase und warf sie über die nahe Gartenmauer, war aber rechtschaffen genug,
Jenem die dafür ausgegebenen zwei Gulden zu erstatten. In der nächsten
Woche war der Bauer mit der Brille an den Bilderläden der Methstraße abge¬
bildet zu sehen.

Bei der Errichtung von Schulen würde das erste ernstliche Hinderniß der
Mangel an Lehrern sein. Und wenn sich anch, da das Amtöwcscn den Polen
ziemlich abgeschnitten ist, Personen genug sür das Schulwesen fänden, so würde
wieder der Mangel an Bildungsanstalten, Seminarien, ein Hinderniß sein. In
Warschau befindet sich zwar eine Schullehrerbildungsanstalt, allein sie ist die ein¬
zige des Landes und in ihrem Raume ungeheuer beschränkt. Sie enthält nie
über sechzig Zöglinge, und ist in ihrer scholarchischen Einrichtung ganz auf städ¬
tische Schulen berechnet. Sie bildet noch nicht den sechsten Theil der zum Er¬
satz der alten durch den Tod abgehenden Lehrer nöthigen Zöglinge, daher in die
Lehrerstellen immer Gerichtsschreiber und ähnliche Individuen eingeschoben werden
müssen.

Aber wären auch Individuen genug vorhanden, welche sich dem Schulwesen
zu widmen bereit fühlten, so würden diese doch natürlich die Frage zu stellen nicht
unterlassen: unter welchen Bedingungen soll der Lehrer sein Amt ausüben? Die
Regierung sagt: "Ich kann Dir keine Versprechung machen, denn der Edelmann ist
Grundherr und verpflichtet, Alles zu schaffen und in Stand zu setzen, was auf
seinem Gebiete nöthig ist. Verpflichtet ihn daher das Gesetz, eine Schule zu


susionen entstanden, so fing man an, mündlich mit den Woyts zu verkehren, und
verwendete uicht mehr Kosaken — die auch uicht lesen können — im Boten¬
dienste, sondern schriftkundige Polizeiknechtc. Endlich hat man den Woyts zwei
Gehilfen aus der Gemeinde beigesellt, und läßt nun diese drei Personen, so oft
Etwas zu eröffnen ist, mit einander in das Amt kommen.

Demungeachtet haßt die Regierung den Gedanken an die Schulbildung der
untern Volksschicht. Ich erinnere mich, Augenzeuge einer kleinen Anekdote gewesen
zu sein, welche die Russische Meinung bezeichnet. In Warschau wanderte ein
Bauer durch die Massurcnstraße, welcher eine Brille trug. In der That war
dieser Mann in langem weißem Kittel mit hoher Schaspelzmütze und Brille eine
sehr komische und in Polen gewiß noch nicht dagewesene Erscheinung. Zufällig
begegnet ihm der General Tvlstvy. Er fragt: „Bauer, woher hast Dn Deine
Brille?" „Gnädigster Herr, auf dem Ablaßjahrmarkte in Czerniakow gekauft."
„Wozu?" „Weil der Händler sagte, man könne durch solche Gläser besser
sehen, ich aber habe in Folge von Krankheiten sehr trübe Augen." „So? Und was
kostet das Ding?" „Zwei Polnische Gulden." „So? Nun will ich Dir aber
sagen, daß sich ein solches Ding, von dem Du wol deu Namen nicht einmal leimst,
für einen dummen Bauer uicht schickt. Das gebührt uur Leuten, die auf Schu¬
len gewesen sind." Hiermit nahm der General dem Bauer die Brille von der
Nase und warf sie über die nahe Gartenmauer, war aber rechtschaffen genug,
Jenem die dafür ausgegebenen zwei Gulden zu erstatten. In der nächsten
Woche war der Bauer mit der Brille an den Bilderläden der Methstraße abge¬
bildet zu sehen.

Bei der Errichtung von Schulen würde das erste ernstliche Hinderniß der
Mangel an Lehrern sein. Und wenn sich anch, da das Amtöwcscn den Polen
ziemlich abgeschnitten ist, Personen genug sür das Schulwesen fänden, so würde
wieder der Mangel an Bildungsanstalten, Seminarien, ein Hinderniß sein. In
Warschau befindet sich zwar eine Schullehrerbildungsanstalt, allein sie ist die ein¬
zige des Landes und in ihrem Raume ungeheuer beschränkt. Sie enthält nie
über sechzig Zöglinge, und ist in ihrer scholarchischen Einrichtung ganz auf städ¬
tische Schulen berechnet. Sie bildet noch nicht den sechsten Theil der zum Er¬
satz der alten durch den Tod abgehenden Lehrer nöthigen Zöglinge, daher in die
Lehrerstellen immer Gerichtsschreiber und ähnliche Individuen eingeschoben werden
müssen.

Aber wären auch Individuen genug vorhanden, welche sich dem Schulwesen
zu widmen bereit fühlten, so würden diese doch natürlich die Frage zu stellen nicht
unterlassen: unter welchen Bedingungen soll der Lehrer sein Amt ausüben? Die
Regierung sagt: „Ich kann Dir keine Versprechung machen, denn der Edelmann ist
Grundherr und verpflichtet, Alles zu schaffen und in Stand zu setzen, was auf
seinem Gebiete nöthig ist. Verpflichtet ihn daher das Gesetz, eine Schule zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/198>, abgerufen am 02.07.2024.