Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Feststellung der Herrschaft der Mittelklasse in dem parlamentarischen Wesen, wie
in der Verwaltung und den Communalangelegcnheiten, und zugleich die Sicher¬
stellung gegen Kollisionen mit der ausübenden Staatsgewalt.

Warum sind die gemäßigten, die sogenannten hvnnetten Republikaner gegen
diese Revision? Wie mir scheint, nicht aus übertriebener Vorliebe für die Massen¬
herrschaft und deren Ausdruck, das allgemeine Stimmrecht, denn diese wären bei
Männern wie Cavaignac und selbst Lamartine eine etwas junge Ueberzeugung, son¬
dern ans der Unsicherheit in ihrem Glauben an die Republik. Sie trauen der Re¬
vision nicht, weil sie dem Volk nicht trauen: dem Volk, welches sowol in der
Präsidentenwahl, wie in den Wahlen zur letzten Nationalversammlung, nicht
übertrieben demokratische Ansichten an den Tag gelegt hat. So lange man noch
eines Prinzen zum Präsidenten bedarf, um der Menge zu imponiren, und so
lange man den persönlichen Abstchtcu dieses Prinzen mißtrauen muß, weil dieselben
mit andern persönlichen Absichten collidiren, so lange wird von einem reinen
Glauben weder an die Monarchie, noch an die Republik die Rede sein können.

Wol aber könnte es geschehen, daß bei einer mehrmaligen Verlängerung
des Provisoriums die Bourgeoisie zu der Einsicht gelangte, sie konnte die Massen-
Herrschaft und den persönlichen Ehrgeiz innerhalb der Republik auch auf die
Dauer mit dem nämlichen Erfolg bekämpfen, -wie in der Monarchie; es könnte
geschehen, daß die Nothwendigkeit einer unausgesetzten thätigen Aufmerksamkeit
auf die öffentlichen Angelegenheiten, die ihr bis jetzt noch im höchsten Grade un¬
bequem und schrecklich ist, ihr endlich zur Gewohnheit und zur Lust würde. Es
könnte geschehn, obgleich ich stark daran zweifle, denn das Französische Naturell
stimmt zu wenig zu der Zähigkeit und Ausdauer, die eine solche Aufmerksam¬
keit verlangt.

Wenn das möglich wäre, so wäre das für uns Deutsche das glücklichste
Ereigniß. Die Existenz einer mächtigen und conservativen Republik neben uns,
einer Republik, in der die Bourgeoisie herrschte, würde unsern Regierungen ein
beliebtes und bequemes Vehikel entziehen, auf die Furcht des Volkes zu spe-
culiren; sie würden sich genöthigt sehen, dem Liberalismus Concessionen zu machen,
um nicht den republikanischen Hoffnungen die Thüre zu offnen. Für uns Liberale
ist also eine Vertagung der Krisis in Frankreich ein unberechenbarer Gewinn.

In unsern Reihen ist in der letzten Zeit eine sehr starke Wendung nach
links hin eingetreten. Dem Anschein nach hat es sich zwar überall nur um ein¬
zelne Fragen gehandelt, in der That aber gilt es ein Aussprechen der allgemeinen
Principien. In dem Bemühen, sich der Demokratie zu nähern, liegt nicht eine
Hinneigung zu den Ideen der Massenherrschaft, sondern zu den Ideen der Re¬
publik, und es ist gut, wenn wir dies scharf von einander scheiden.

Eine nicht geringe Zahl der Mitglieder unsrer bisherigen P<ulei ging ur¬
sprünglich von dem Gedanken aus, daß die Republik die beste Regierungsform


Feststellung der Herrschaft der Mittelklasse in dem parlamentarischen Wesen, wie
in der Verwaltung und den Communalangelegcnheiten, und zugleich die Sicher¬
stellung gegen Kollisionen mit der ausübenden Staatsgewalt.

Warum sind die gemäßigten, die sogenannten hvnnetten Republikaner gegen
diese Revision? Wie mir scheint, nicht aus übertriebener Vorliebe für die Massen¬
herrschaft und deren Ausdruck, das allgemeine Stimmrecht, denn diese wären bei
Männern wie Cavaignac und selbst Lamartine eine etwas junge Ueberzeugung, son¬
dern ans der Unsicherheit in ihrem Glauben an die Republik. Sie trauen der Re¬
vision nicht, weil sie dem Volk nicht trauen: dem Volk, welches sowol in der
Präsidentenwahl, wie in den Wahlen zur letzten Nationalversammlung, nicht
übertrieben demokratische Ansichten an den Tag gelegt hat. So lange man noch
eines Prinzen zum Präsidenten bedarf, um der Menge zu imponiren, und so
lange man den persönlichen Abstchtcu dieses Prinzen mißtrauen muß, weil dieselben
mit andern persönlichen Absichten collidiren, so lange wird von einem reinen
Glauben weder an die Monarchie, noch an die Republik die Rede sein können.

Wol aber könnte es geschehen, daß bei einer mehrmaligen Verlängerung
des Provisoriums die Bourgeoisie zu der Einsicht gelangte, sie konnte die Massen-
Herrschaft und den persönlichen Ehrgeiz innerhalb der Republik auch auf die
Dauer mit dem nämlichen Erfolg bekämpfen, -wie in der Monarchie; es könnte
geschehen, daß die Nothwendigkeit einer unausgesetzten thätigen Aufmerksamkeit
auf die öffentlichen Angelegenheiten, die ihr bis jetzt noch im höchsten Grade un¬
bequem und schrecklich ist, ihr endlich zur Gewohnheit und zur Lust würde. Es
könnte geschehn, obgleich ich stark daran zweifle, denn das Französische Naturell
stimmt zu wenig zu der Zähigkeit und Ausdauer, die eine solche Aufmerksam¬
keit verlangt.

Wenn das möglich wäre, so wäre das für uns Deutsche das glücklichste
Ereigniß. Die Existenz einer mächtigen und conservativen Republik neben uns,
einer Republik, in der die Bourgeoisie herrschte, würde unsern Regierungen ein
beliebtes und bequemes Vehikel entziehen, auf die Furcht des Volkes zu spe-
culiren; sie würden sich genöthigt sehen, dem Liberalismus Concessionen zu machen,
um nicht den republikanischen Hoffnungen die Thüre zu offnen. Für uns Liberale
ist also eine Vertagung der Krisis in Frankreich ein unberechenbarer Gewinn.

In unsern Reihen ist in der letzten Zeit eine sehr starke Wendung nach
links hin eingetreten. Dem Anschein nach hat es sich zwar überall nur um ein¬
zelne Fragen gehandelt, in der That aber gilt es ein Aussprechen der allgemeinen
Principien. In dem Bemühen, sich der Demokratie zu nähern, liegt nicht eine
Hinneigung zu den Ideen der Massenherrschaft, sondern zu den Ideen der Re¬
publik, und es ist gut, wenn wir dies scharf von einander scheiden.

Eine nicht geringe Zahl der Mitglieder unsrer bisherigen P<ulei ging ur¬
sprünglich von dem Gedanken aus, daß die Republik die beste Regierungsform


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280281"/>
          <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> Feststellung der Herrschaft der Mittelklasse in dem parlamentarischen Wesen, wie<lb/>
in der Verwaltung und den Communalangelegcnheiten, und zugleich die Sicher¬<lb/>
stellung gegen Kollisionen mit der ausübenden Staatsgewalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_511"> Warum sind die gemäßigten, die sogenannten hvnnetten Republikaner gegen<lb/>
diese Revision? Wie mir scheint, nicht aus übertriebener Vorliebe für die Massen¬<lb/>
herrschaft und deren Ausdruck, das allgemeine Stimmrecht, denn diese wären bei<lb/>
Männern wie Cavaignac und selbst Lamartine eine etwas junge Ueberzeugung, son¬<lb/>
dern ans der Unsicherheit in ihrem Glauben an die Republik. Sie trauen der Re¬<lb/>
vision nicht, weil sie dem Volk nicht trauen: dem Volk, welches sowol in der<lb/>
Präsidentenwahl, wie in den Wahlen zur letzten Nationalversammlung, nicht<lb/>
übertrieben demokratische Ansichten an den Tag gelegt hat. So lange man noch<lb/>
eines Prinzen zum Präsidenten bedarf, um der Menge zu imponiren, und so<lb/>
lange man den persönlichen Abstchtcu dieses Prinzen mißtrauen muß, weil dieselben<lb/>
mit andern persönlichen Absichten collidiren, so lange wird von einem reinen<lb/>
Glauben weder an die Monarchie, noch an die Republik die Rede sein können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_512"> Wol aber könnte es geschehen, daß bei einer mehrmaligen Verlängerung<lb/>
des Provisoriums die Bourgeoisie zu der Einsicht gelangte, sie konnte die Massen-<lb/>
Herrschaft und den persönlichen Ehrgeiz innerhalb der Republik auch auf die<lb/>
Dauer mit dem nämlichen Erfolg bekämpfen, -wie in der Monarchie; es könnte<lb/>
geschehen, daß die Nothwendigkeit einer unausgesetzten thätigen Aufmerksamkeit<lb/>
auf die öffentlichen Angelegenheiten, die ihr bis jetzt noch im höchsten Grade un¬<lb/>
bequem und schrecklich ist, ihr endlich zur Gewohnheit und zur Lust würde. Es<lb/>
könnte geschehn, obgleich ich stark daran zweifle, denn das Französische Naturell<lb/>
stimmt zu wenig zu der Zähigkeit und Ausdauer, die eine solche Aufmerksam¬<lb/>
keit verlangt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_513"> Wenn das möglich wäre, so wäre das für uns Deutsche das glücklichste<lb/>
Ereigniß. Die Existenz einer mächtigen und conservativen Republik neben uns,<lb/>
einer Republik, in der die Bourgeoisie herrschte, würde unsern Regierungen ein<lb/>
beliebtes und bequemes Vehikel entziehen, auf die Furcht des Volkes zu spe-<lb/>
culiren; sie würden sich genöthigt sehen, dem Liberalismus Concessionen zu machen,<lb/>
um nicht den republikanischen Hoffnungen die Thüre zu offnen. Für uns Liberale<lb/>
ist also eine Vertagung der Krisis in Frankreich ein unberechenbarer Gewinn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> In unsern Reihen ist in der letzten Zeit eine sehr starke Wendung nach<lb/>
links hin eingetreten. Dem Anschein nach hat es sich zwar überall nur um ein¬<lb/>
zelne Fragen gehandelt, in der That aber gilt es ein Aussprechen der allgemeinen<lb/>
Principien. In dem Bemühen, sich der Demokratie zu nähern, liegt nicht eine<lb/>
Hinneigung zu den Ideen der Massenherrschaft, sondern zu den Ideen der Re¬<lb/>
publik, und es ist gut, wenn wir dies scharf von einander scheiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Eine nicht geringe Zahl der Mitglieder unsrer bisherigen P&lt;ulei ging ur¬<lb/>
sprünglich von dem Gedanken aus, daß die Republik die beste Regierungsform</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Feststellung der Herrschaft der Mittelklasse in dem parlamentarischen Wesen, wie in der Verwaltung und den Communalangelegcnheiten, und zugleich die Sicher¬ stellung gegen Kollisionen mit der ausübenden Staatsgewalt. Warum sind die gemäßigten, die sogenannten hvnnetten Republikaner gegen diese Revision? Wie mir scheint, nicht aus übertriebener Vorliebe für die Massen¬ herrschaft und deren Ausdruck, das allgemeine Stimmrecht, denn diese wären bei Männern wie Cavaignac und selbst Lamartine eine etwas junge Ueberzeugung, son¬ dern ans der Unsicherheit in ihrem Glauben an die Republik. Sie trauen der Re¬ vision nicht, weil sie dem Volk nicht trauen: dem Volk, welches sowol in der Präsidentenwahl, wie in den Wahlen zur letzten Nationalversammlung, nicht übertrieben demokratische Ansichten an den Tag gelegt hat. So lange man noch eines Prinzen zum Präsidenten bedarf, um der Menge zu imponiren, und so lange man den persönlichen Abstchtcu dieses Prinzen mißtrauen muß, weil dieselben mit andern persönlichen Absichten collidiren, so lange wird von einem reinen Glauben weder an die Monarchie, noch an die Republik die Rede sein können. Wol aber könnte es geschehen, daß bei einer mehrmaligen Verlängerung des Provisoriums die Bourgeoisie zu der Einsicht gelangte, sie konnte die Massen- Herrschaft und den persönlichen Ehrgeiz innerhalb der Republik auch auf die Dauer mit dem nämlichen Erfolg bekämpfen, -wie in der Monarchie; es könnte geschehen, daß die Nothwendigkeit einer unausgesetzten thätigen Aufmerksamkeit auf die öffentlichen Angelegenheiten, die ihr bis jetzt noch im höchsten Grade un¬ bequem und schrecklich ist, ihr endlich zur Gewohnheit und zur Lust würde. Es könnte geschehn, obgleich ich stark daran zweifle, denn das Französische Naturell stimmt zu wenig zu der Zähigkeit und Ausdauer, die eine solche Aufmerksam¬ keit verlangt. Wenn das möglich wäre, so wäre das für uns Deutsche das glücklichste Ereigniß. Die Existenz einer mächtigen und conservativen Republik neben uns, einer Republik, in der die Bourgeoisie herrschte, würde unsern Regierungen ein beliebtes und bequemes Vehikel entziehen, auf die Furcht des Volkes zu spe- culiren; sie würden sich genöthigt sehen, dem Liberalismus Concessionen zu machen, um nicht den republikanischen Hoffnungen die Thüre zu offnen. Für uns Liberale ist also eine Vertagung der Krisis in Frankreich ein unberechenbarer Gewinn. In unsern Reihen ist in der letzten Zeit eine sehr starke Wendung nach links hin eingetreten. Dem Anschein nach hat es sich zwar überall nur um ein¬ zelne Fragen gehandelt, in der That aber gilt es ein Aussprechen der allgemeinen Principien. In dem Bemühen, sich der Demokratie zu nähern, liegt nicht eine Hinneigung zu den Ideen der Massenherrschaft, sondern zu den Ideen der Re¬ publik, und es ist gut, wenn wir dies scharf von einander scheiden. Eine nicht geringe Zahl der Mitglieder unsrer bisherigen P<ulei ging ur¬ sprünglich von dem Gedanken aus, daß die Republik die beste Regierungsform

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/194>, abgerufen am 02.07.2024.