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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Die Theorie vom göttlichen Recht gehörte den protestantischen Theologen an,
und hatte zur Theil, wie alle Theorien, eine sehr äußerliche Begründung. Sie
bezog sich nicht allein auf Kaiser und Könige, sondern auf die Obrigkeit über¬
haupt, auf die Magistrate der Reichsstädte u. s. w., "ud sie war nicht sowol gegen
die Unterthanen, als gegen die Kirchengewalt gerichtet.

Wenn aber die Monarchie in Frankreich diesen mystischen Nimbus jetzt ver¬
loren hat, so kann man deshalb doch nicht sagen, daß der Glaube an sie ge¬
schwunden ist; der Glaube tritt in einer andern Form aus, in der Idee von der
Nothwendigkeit des Königthums zur Herstellung eines geordneten Staatslebens.
Dieser Gedanke, der den bei Weitem größten Theil der Bourgeoisie beherrscht,
ist darum nicht weniger mächtig, weil er ein blos negativer ist. Man hat gesehen,
daß selbst die Herstellung der hierarchischen Einrichtungen, für die sich wahrlich
weder in dem Herzen noch in dem Verstände des bei Weitem größten Theils der
Franzosen die geringste Sympathie erheben würde, durch diese" Glauben der
Furcht ins Werk gesetzt ist. Zwar hat die Monarchie in Frankreich noch andere
Grundlagen. Ein großer Theil der alten Familien, hin und wieder auch vielleicht
noch die Bauern hängen persönlich an dem alten Herrscherhaus; ein Theil der
clericalischen Partei findet in der Legitimität den besten Verbündeten für seine
Bestrebungen; ein Theil des Heeres und des Landvolkes schwelgt in den Erin¬
nerungen der Napoleonischen Lorbeeren, und auch die Orleans sind nicht ohne
Freunde. Indessen dieser positive Royalismus ist einerseits zu sehr in wider¬
sprechende Tendenzen verstrickt, andererseits so wenig durch die Gewohnheit der
Treue getragen, daß er allein nicht ausreichen würde, eine monarchische Organi¬
sation möglich zu macheu; er kann zu Emeuten führen , aber nicht zu einer ge¬
setzlichen Revision der bestehenden Staatsform. Die specifischen Royalisten und die
Monarchisten aus Reflexion gehen daher keineswegs aus das nämliche Ziel ans,
obgleich die Abneigung gegen die Republik beiden gemein ist.

Die Bourgeoisie, welche die Wiederherstellung der Monarchie um ihrer
Selbsterhaltung willen erstrebt, muß sich überzeugen, daß für deu gegenwärtigen
Augenblick eine Restauration ihrem Hauptzweck widersprechen müßte. Selbst wenn
es möglich wäre, daß es zwischen deu verschiedenen realistischen Fractionen, so
wie zwischen den Familien, deren Interesse sie vertreten, zu einer Fusion aus der
Basis der Legitimität käme (eine andere ist nicht möglich), so bliebe noch die
Abneigung der gesammten Mittelklasse gegen das von der Restauration unzertrenn¬
liche Gefolge vou Priestern und Aristokraten zu überwinden, und das ist eine
Ausgabe, die nicht gelöst werden kann. In dem Interesse der reflectirten Mon¬
archisten liegt es daher, die endliche Erledigung der Frage zwischen Republik
und Königthum zu vertagen und vorläufig die Republik zu erhalte", bis die
Monarchie eine bessere Basis gewonnen hat. Wenn diese also eine Revision der
Verfassung verlangen, so ist nicht die Monarchie ihr nächster Zweck, sondern die


Grenzboten. III.

Die Theorie vom göttlichen Recht gehörte den protestantischen Theologen an,
und hatte zur Theil, wie alle Theorien, eine sehr äußerliche Begründung. Sie
bezog sich nicht allein auf Kaiser und Könige, sondern auf die Obrigkeit über¬
haupt, auf die Magistrate der Reichsstädte u. s. w., »ud sie war nicht sowol gegen
die Unterthanen, als gegen die Kirchengewalt gerichtet.

Wenn aber die Monarchie in Frankreich diesen mystischen Nimbus jetzt ver¬
loren hat, so kann man deshalb doch nicht sagen, daß der Glaube an sie ge¬
schwunden ist; der Glaube tritt in einer andern Form aus, in der Idee von der
Nothwendigkeit des Königthums zur Herstellung eines geordneten Staatslebens.
Dieser Gedanke, der den bei Weitem größten Theil der Bourgeoisie beherrscht,
ist darum nicht weniger mächtig, weil er ein blos negativer ist. Man hat gesehen,
daß selbst die Herstellung der hierarchischen Einrichtungen, für die sich wahrlich
weder in dem Herzen noch in dem Verstände des bei Weitem größten Theils der
Franzosen die geringste Sympathie erheben würde, durch diese» Glauben der
Furcht ins Werk gesetzt ist. Zwar hat die Monarchie in Frankreich noch andere
Grundlagen. Ein großer Theil der alten Familien, hin und wieder auch vielleicht
noch die Bauern hängen persönlich an dem alten Herrscherhaus; ein Theil der
clericalischen Partei findet in der Legitimität den besten Verbündeten für seine
Bestrebungen; ein Theil des Heeres und des Landvolkes schwelgt in den Erin¬
nerungen der Napoleonischen Lorbeeren, und auch die Orleans sind nicht ohne
Freunde. Indessen dieser positive Royalismus ist einerseits zu sehr in wider¬
sprechende Tendenzen verstrickt, andererseits so wenig durch die Gewohnheit der
Treue getragen, daß er allein nicht ausreichen würde, eine monarchische Organi¬
sation möglich zu macheu; er kann zu Emeuten führen , aber nicht zu einer ge¬
setzlichen Revision der bestehenden Staatsform. Die specifischen Royalisten und die
Monarchisten aus Reflexion gehen daher keineswegs aus das nämliche Ziel ans,
obgleich die Abneigung gegen die Republik beiden gemein ist.

Die Bourgeoisie, welche die Wiederherstellung der Monarchie um ihrer
Selbsterhaltung willen erstrebt, muß sich überzeugen, daß für deu gegenwärtigen
Augenblick eine Restauration ihrem Hauptzweck widersprechen müßte. Selbst wenn
es möglich wäre, daß es zwischen deu verschiedenen realistischen Fractionen, so
wie zwischen den Familien, deren Interesse sie vertreten, zu einer Fusion aus der
Basis der Legitimität käme (eine andere ist nicht möglich), so bliebe noch die
Abneigung der gesammten Mittelklasse gegen das von der Restauration unzertrenn¬
liche Gefolge vou Priestern und Aristokraten zu überwinden, und das ist eine
Ausgabe, die nicht gelöst werden kann. In dem Interesse der reflectirten Mon¬
archisten liegt es daher, die endliche Erledigung der Frage zwischen Republik
und Königthum zu vertagen und vorläufig die Republik zu erhalte«, bis die
Monarchie eine bessere Basis gewonnen hat. Wenn diese also eine Revision der
Verfassung verlangen, so ist nicht die Monarchie ihr nächster Zweck, sondern die


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[0193] Die Theorie vom göttlichen Recht gehörte den protestantischen Theologen an, und hatte zur Theil, wie alle Theorien, eine sehr äußerliche Begründung. Sie bezog sich nicht allein auf Kaiser und Könige, sondern auf die Obrigkeit über¬ haupt, auf die Magistrate der Reichsstädte u. s. w., »ud sie war nicht sowol gegen die Unterthanen, als gegen die Kirchengewalt gerichtet. Wenn aber die Monarchie in Frankreich diesen mystischen Nimbus jetzt ver¬ loren hat, so kann man deshalb doch nicht sagen, daß der Glaube an sie ge¬ schwunden ist; der Glaube tritt in einer andern Form aus, in der Idee von der Nothwendigkeit des Königthums zur Herstellung eines geordneten Staatslebens. Dieser Gedanke, der den bei Weitem größten Theil der Bourgeoisie beherrscht, ist darum nicht weniger mächtig, weil er ein blos negativer ist. Man hat gesehen, daß selbst die Herstellung der hierarchischen Einrichtungen, für die sich wahrlich weder in dem Herzen noch in dem Verstände des bei Weitem größten Theils der Franzosen die geringste Sympathie erheben würde, durch diese» Glauben der Furcht ins Werk gesetzt ist. Zwar hat die Monarchie in Frankreich noch andere Grundlagen. Ein großer Theil der alten Familien, hin und wieder auch vielleicht noch die Bauern hängen persönlich an dem alten Herrscherhaus; ein Theil der clericalischen Partei findet in der Legitimität den besten Verbündeten für seine Bestrebungen; ein Theil des Heeres und des Landvolkes schwelgt in den Erin¬ nerungen der Napoleonischen Lorbeeren, und auch die Orleans sind nicht ohne Freunde. Indessen dieser positive Royalismus ist einerseits zu sehr in wider¬ sprechende Tendenzen verstrickt, andererseits so wenig durch die Gewohnheit der Treue getragen, daß er allein nicht ausreichen würde, eine monarchische Organi¬ sation möglich zu macheu; er kann zu Emeuten führen , aber nicht zu einer ge¬ setzlichen Revision der bestehenden Staatsform. Die specifischen Royalisten und die Monarchisten aus Reflexion gehen daher keineswegs aus das nämliche Ziel ans, obgleich die Abneigung gegen die Republik beiden gemein ist. Die Bourgeoisie, welche die Wiederherstellung der Monarchie um ihrer Selbsterhaltung willen erstrebt, muß sich überzeugen, daß für deu gegenwärtigen Augenblick eine Restauration ihrem Hauptzweck widersprechen müßte. Selbst wenn es möglich wäre, daß es zwischen deu verschiedenen realistischen Fractionen, so wie zwischen den Familien, deren Interesse sie vertreten, zu einer Fusion aus der Basis der Legitimität käme (eine andere ist nicht möglich), so bliebe noch die Abneigung der gesammten Mittelklasse gegen das von der Restauration unzertrenn¬ liche Gefolge vou Priestern und Aristokraten zu überwinden, und das ist eine Ausgabe, die nicht gelöst werden kann. In dem Interesse der reflectirten Mon¬ archisten liegt es daher, die endliche Erledigung der Frage zwischen Republik und Königthum zu vertagen und vorläufig die Republik zu erhalte«, bis die Monarchie eine bessere Basis gewonnen hat. Wenn diese also eine Revision der Verfassung verlangen, so ist nicht die Monarchie ihr nächster Zweck, sondern die Grenzboten. III.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/193>, abgerufen am 02.07.2024.