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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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in Auflösung der gesellschaftlichen Bande und nicht in Zerrüttung der Eigenthums-
verhältnisse bestehe. Er setzte philosophisch die Probleme aus einander, welche die
Zeit uns zur Auflösung gegeben, und welche weder die monarchischen, noch die
Bonapartistischen Parteigänger zu desavouireu wagen; wenn sie in der Lage sind,
zum Volke zu sprechen. Er hat gezeigt, daß es in Frankreich nnr noch Repu¬
blikaner gebe, wenn es sich um das Wesen handle, und daß die Monarchie, eben
weil sie selbst von ihren Anhängern nnr als Form betrachtet wird, keine Zukunft
und keinen Boden mehr daselbst habe. Sein Vorredner, Falloux, und sein Nach¬
redner, Berryer, erhärteten die Wahrheit seiner Behauptung, indem sie dieselbe
zu bekämpfen suchten.

Wenn Michel von Bourges der Vertheidiger der Republik gewesen, oder,
wenn Sie wollen, der Secundant, so war Victor Hugo ihr Rächer an den
Schmähungen, welche sie seit ihrer Geburt von den Royalisten zu ertragen hatte.
Wenn man jeden Tag liest und hört, was sich die reactionairen Journale und
Redner gegen die Republik erlauben, bei deren Erscheinen sie doch eben so seig
und kleinlaut gewesen, als sie jetzt übermüthig und vorlaut sind, muß mau zuge¬
stehen, daß die Versuchung zu einer Nepressalie zu lockend gewesen, als daß ein
Mann von Victor Hugo's Caliber ihr widerstehen sollte. Michel von Bourges
machte der Monarchie den Krieg, Victor Hugo den monarchischen Parteien. Mit
grausamer Schadenfreude entrollte er das lange Sündenregister seiner Gegner
vor den Augen der gefesselten Versammlung -- er faßte die Feinde da, wo sie
sich am Siegreichsten glauben. Und wahrlich in Frankreich, die Zeit des großen
Ludwig, des XV. Ludwig, die Zeit Carls IX. läßt Vieles sagen, was die Vertreter
dieser Grundsätze nachsichtiger mit den Fehlern ihrer Gegner machen müßte. Die
Emeuten, Geldverschleuderungcn, Grausamkeiten und Blutvergießen aller Art,
die Annalen der Französischen Monarchie sind wahrlich nicht sparsam mit solchen
Aufzeichnungen, und wenn unsre Royalisten durch Hinweisung aus die Verirrungen
der Republik Etwas beweisen zu können glauben, muß ihnen durch einen histori¬
schen Vergleich gezeigt werden, daß auch die Monarchie in Frankreich nicht den Stein
gegen die Sünden einer ansnahms'weisen Zeit aufzuheben berechtigt sei. Und wenn die
Monarchie in Frankreich gestürzt wurde, so liegt die Schuld an ihren Anhängern
und nicht an ihren Feinden. Am Beredtsten aber war Victor Hugo in seiner
Charakteristik der Männer, welche sich heute berufen glauben, zu Gerichte zu
sitzen über die Geschichte, die sie so klein und feige gefunden, als sie ihre don¬
nernde Stimme erhoben.

Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Chef des gegenwärtigen
Cabinets, übernahm die undankbare Aufgabe, dem Redner der Linken zu ant¬
worten. Es gelang ihm, selbst die Rechte noch mehr zu erbittern, als Victor
Hugo, und das mag für die Stellung der Regierung und für das Wesen unsrer
Zustände gehörig beachtet werden. Der Minister der Republik, der Consti-


in Auflösung der gesellschaftlichen Bande und nicht in Zerrüttung der Eigenthums-
verhältnisse bestehe. Er setzte philosophisch die Probleme aus einander, welche die
Zeit uns zur Auflösung gegeben, und welche weder die monarchischen, noch die
Bonapartistischen Parteigänger zu desavouireu wagen; wenn sie in der Lage sind,
zum Volke zu sprechen. Er hat gezeigt, daß es in Frankreich nnr noch Repu¬
blikaner gebe, wenn es sich um das Wesen handle, und daß die Monarchie, eben
weil sie selbst von ihren Anhängern nnr als Form betrachtet wird, keine Zukunft
und keinen Boden mehr daselbst habe. Sein Vorredner, Falloux, und sein Nach¬
redner, Berryer, erhärteten die Wahrheit seiner Behauptung, indem sie dieselbe
zu bekämpfen suchten.

Wenn Michel von Bourges der Vertheidiger der Republik gewesen, oder,
wenn Sie wollen, der Secundant, so war Victor Hugo ihr Rächer an den
Schmähungen, welche sie seit ihrer Geburt von den Royalisten zu ertragen hatte.
Wenn man jeden Tag liest und hört, was sich die reactionairen Journale und
Redner gegen die Republik erlauben, bei deren Erscheinen sie doch eben so seig
und kleinlaut gewesen, als sie jetzt übermüthig und vorlaut sind, muß mau zuge¬
stehen, daß die Versuchung zu einer Nepressalie zu lockend gewesen, als daß ein
Mann von Victor Hugo's Caliber ihr widerstehen sollte. Michel von Bourges
machte der Monarchie den Krieg, Victor Hugo den monarchischen Parteien. Mit
grausamer Schadenfreude entrollte er das lange Sündenregister seiner Gegner
vor den Augen der gefesselten Versammlung — er faßte die Feinde da, wo sie
sich am Siegreichsten glauben. Und wahrlich in Frankreich, die Zeit des großen
Ludwig, des XV. Ludwig, die Zeit Carls IX. läßt Vieles sagen, was die Vertreter
dieser Grundsätze nachsichtiger mit den Fehlern ihrer Gegner machen müßte. Die
Emeuten, Geldverschleuderungcn, Grausamkeiten und Blutvergießen aller Art,
die Annalen der Französischen Monarchie sind wahrlich nicht sparsam mit solchen
Aufzeichnungen, und wenn unsre Royalisten durch Hinweisung aus die Verirrungen
der Republik Etwas beweisen zu können glauben, muß ihnen durch einen histori¬
schen Vergleich gezeigt werden, daß auch die Monarchie in Frankreich nicht den Stein
gegen die Sünden einer ansnahms'weisen Zeit aufzuheben berechtigt sei. Und wenn die
Monarchie in Frankreich gestürzt wurde, so liegt die Schuld an ihren Anhängern
und nicht an ihren Feinden. Am Beredtsten aber war Victor Hugo in seiner
Charakteristik der Männer, welche sich heute berufen glauben, zu Gerichte zu
sitzen über die Geschichte, die sie so klein und feige gefunden, als sie ihre don¬
nernde Stimme erhoben.

Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Chef des gegenwärtigen
Cabinets, übernahm die undankbare Aufgabe, dem Redner der Linken zu ant¬
worten. Es gelang ihm, selbst die Rechte noch mehr zu erbittern, als Victor
Hugo, und das mag für die Stellung der Regierung und für das Wesen unsrer
Zustände gehörig beachtet werden. Der Minister der Republik, der Consti-


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[0190] in Auflösung der gesellschaftlichen Bande und nicht in Zerrüttung der Eigenthums- verhältnisse bestehe. Er setzte philosophisch die Probleme aus einander, welche die Zeit uns zur Auflösung gegeben, und welche weder die monarchischen, noch die Bonapartistischen Parteigänger zu desavouireu wagen; wenn sie in der Lage sind, zum Volke zu sprechen. Er hat gezeigt, daß es in Frankreich nnr noch Repu¬ blikaner gebe, wenn es sich um das Wesen handle, und daß die Monarchie, eben weil sie selbst von ihren Anhängern nnr als Form betrachtet wird, keine Zukunft und keinen Boden mehr daselbst habe. Sein Vorredner, Falloux, und sein Nach¬ redner, Berryer, erhärteten die Wahrheit seiner Behauptung, indem sie dieselbe zu bekämpfen suchten. Wenn Michel von Bourges der Vertheidiger der Republik gewesen, oder, wenn Sie wollen, der Secundant, so war Victor Hugo ihr Rächer an den Schmähungen, welche sie seit ihrer Geburt von den Royalisten zu ertragen hatte. Wenn man jeden Tag liest und hört, was sich die reactionairen Journale und Redner gegen die Republik erlauben, bei deren Erscheinen sie doch eben so seig und kleinlaut gewesen, als sie jetzt übermüthig und vorlaut sind, muß mau zuge¬ stehen, daß die Versuchung zu einer Nepressalie zu lockend gewesen, als daß ein Mann von Victor Hugo's Caliber ihr widerstehen sollte. Michel von Bourges machte der Monarchie den Krieg, Victor Hugo den monarchischen Parteien. Mit grausamer Schadenfreude entrollte er das lange Sündenregister seiner Gegner vor den Augen der gefesselten Versammlung — er faßte die Feinde da, wo sie sich am Siegreichsten glauben. Und wahrlich in Frankreich, die Zeit des großen Ludwig, des XV. Ludwig, die Zeit Carls IX. läßt Vieles sagen, was die Vertreter dieser Grundsätze nachsichtiger mit den Fehlern ihrer Gegner machen müßte. Die Emeuten, Geldverschleuderungcn, Grausamkeiten und Blutvergießen aller Art, die Annalen der Französischen Monarchie sind wahrlich nicht sparsam mit solchen Aufzeichnungen, und wenn unsre Royalisten durch Hinweisung aus die Verirrungen der Republik Etwas beweisen zu können glauben, muß ihnen durch einen histori¬ schen Vergleich gezeigt werden, daß auch die Monarchie in Frankreich nicht den Stein gegen die Sünden einer ansnahms'weisen Zeit aufzuheben berechtigt sei. Und wenn die Monarchie in Frankreich gestürzt wurde, so liegt die Schuld an ihren Anhängern und nicht an ihren Feinden. Am Beredtsten aber war Victor Hugo in seiner Charakteristik der Männer, welche sich heute berufen glauben, zu Gerichte zu sitzen über die Geschichte, die sie so klein und feige gefunden, als sie ihre don¬ nernde Stimme erhoben. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Chef des gegenwärtigen Cabinets, übernahm die undankbare Aufgabe, dem Redner der Linken zu ant¬ worten. Es gelang ihm, selbst die Rechte noch mehr zu erbittern, als Victor Hugo, und das mag für die Stellung der Regierung und für das Wesen unsrer Zustände gehörig beachtet werden. Der Minister der Republik, der Consti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/190>, abgerufen am 02.07.2024.