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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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duane von -1848, griff den Ursprung, die rechtliche Grundlage seines eigenen
Maubads an in demselben Augenblicke, wo er an den Volkswillcn appellirte, um
Frankreichs Schicksal vou Neuem zu entscheiden. Die Wirkung, welche diese un-
bezeichenbare Tactlosigkeit hervorbrachte, war so groß, daß der Minister fast die
ganze Zeit auf der Tribune damit zubrachte, diesen maßlosen Uebergriff wieder
gut zu macheu. Er versuchte die Rechte dadurch zu beschwichtige", daß er darau
erinnerte, wie des Präsidenten von Victor Hugo vergebens gesuchter Napoleon'-
scher Ruhm darin bestehe, ein Werkzeug der Reaction gewesen zu sein, was er
zugleich als Vorsprache für die Zukunft und als Empfehlung für seinen Candi-
daten hinstellte. Baroche hat sich wahrscheinlich um sein Portefeuille geredet, und
er ist heute, wie im Jahre 1848, "der Gerechtigkeit des Volkes vorausgeeilt".

Dusaure und Odilon Barrot beschlossen die Verhandlung in so ruhiger und
würdiger Weise, als sie begonnen wurde. Dusaure vertheidigte die Verfassung
und Odilon Barrot griff sie an. Jener schadete deu Nevisionöpläueu ungemein,
denn bei seiner Stellung fiel jedes seiner Worte wie ein ceutnerschwerer Stein
auf das Haupt der betäubten Rechten; was Michel von Bourges vom revolu-
tionairen Standpunkte ans gethan, dies wiederholte Dufaure vom conservativen
ans. Er sprach von Anfang bis zu Ende mit der kalten Ironie geistiger Über¬
legenheit, und blies die kleinen Intriguen der Bonapartisten wie eine Seifenblase
in die Luft. Odilon Barrot setzte die Schattenseiten der Constitution mit vielem
Scharfsinne aus einander, und die oppositionellen Journale ließen ihm nicht Ge¬
rechtigkeit genng widerfahren. Er sprach am Gewandtesten von allen Freunden
des Elysve, und hatte das Verdienst, die eigentliche Frage der Nevistou auch
keinen Augenblick zu verlasse". Er führte die Sache des Präsidenten mit großer
Geschicklichkeit, und ohne sich selber sehr zu compromittiren, was keine Kleinigkeit
gewesen. Aber er vergaß, daß die Schwächen der Constitution eben nur durch
die Politik der verfassuugSseindlichen Parteien ein so unheilvolles Gewicht erhal¬
ten, und daß die Nevisionsfrage, wie er sie auffaßte, schon von vom herein
verdammt gewesen. Er mag das Portefeuille, das Baroche's Händen entfallen
ist, immerhin aufheben, die Revision wird bei einem zweiten Versuche eben so
schwer durchzusetzen sein, und jetzt mag selbst das allgemeine Stimmrecht nicht
mehr Kraft genng besitzen, Louis Bonaparte zu retten. Doch dieses ist das
einzige Mittel, das ihm noch übrig bleibt -- nur so kaun die Linke getheilt und
schwankend gemacht werden. Jedenfalls muß es der Präsident jetzt nur aus gut
Glück versuche"; daß es gelinge" werde, kau" Niemand mehr verbürgen. Es
läßt sich auch für den Augenblick noch weniger Etwas bestimmen, als vor der
Debatte, und wir müsse" deu Eindruck abwarten, den diese ans das Land her¬
vorgebracht hat.




duane von -1848, griff den Ursprung, die rechtliche Grundlage seines eigenen
Maubads an in demselben Augenblicke, wo er an den Volkswillcn appellirte, um
Frankreichs Schicksal vou Neuem zu entscheiden. Die Wirkung, welche diese un-
bezeichenbare Tactlosigkeit hervorbrachte, war so groß, daß der Minister fast die
ganze Zeit auf der Tribune damit zubrachte, diesen maßlosen Uebergriff wieder
gut zu macheu. Er versuchte die Rechte dadurch zu beschwichtige», daß er darau
erinnerte, wie des Präsidenten von Victor Hugo vergebens gesuchter Napoleon'-
scher Ruhm darin bestehe, ein Werkzeug der Reaction gewesen zu sein, was er
zugleich als Vorsprache für die Zukunft und als Empfehlung für seinen Candi-
daten hinstellte. Baroche hat sich wahrscheinlich um sein Portefeuille geredet, und
er ist heute, wie im Jahre 1848, „der Gerechtigkeit des Volkes vorausgeeilt".

Dusaure und Odilon Barrot beschlossen die Verhandlung in so ruhiger und
würdiger Weise, als sie begonnen wurde. Dusaure vertheidigte die Verfassung
und Odilon Barrot griff sie an. Jener schadete deu Nevisionöpläueu ungemein,
denn bei seiner Stellung fiel jedes seiner Worte wie ein ceutnerschwerer Stein
auf das Haupt der betäubten Rechten; was Michel von Bourges vom revolu-
tionairen Standpunkte ans gethan, dies wiederholte Dufaure vom conservativen
ans. Er sprach von Anfang bis zu Ende mit der kalten Ironie geistiger Über¬
legenheit, und blies die kleinen Intriguen der Bonapartisten wie eine Seifenblase
in die Luft. Odilon Barrot setzte die Schattenseiten der Constitution mit vielem
Scharfsinne aus einander, und die oppositionellen Journale ließen ihm nicht Ge¬
rechtigkeit genng widerfahren. Er sprach am Gewandtesten von allen Freunden
des Elysve, und hatte das Verdienst, die eigentliche Frage der Nevistou auch
keinen Augenblick zu verlasse». Er führte die Sache des Präsidenten mit großer
Geschicklichkeit, und ohne sich selber sehr zu compromittiren, was keine Kleinigkeit
gewesen. Aber er vergaß, daß die Schwächen der Constitution eben nur durch
die Politik der verfassuugSseindlichen Parteien ein so unheilvolles Gewicht erhal¬
ten, und daß die Nevisionsfrage, wie er sie auffaßte, schon von vom herein
verdammt gewesen. Er mag das Portefeuille, das Baroche's Händen entfallen
ist, immerhin aufheben, die Revision wird bei einem zweiten Versuche eben so
schwer durchzusetzen sein, und jetzt mag selbst das allgemeine Stimmrecht nicht
mehr Kraft genng besitzen, Louis Bonaparte zu retten. Doch dieses ist das
einzige Mittel, das ihm noch übrig bleibt — nur so kaun die Linke getheilt und
schwankend gemacht werden. Jedenfalls muß es der Präsident jetzt nur aus gut
Glück versuche»; daß es gelinge» werde, kau» Niemand mehr verbürgen. Es
läßt sich auch für den Augenblick noch weniger Etwas bestimmen, als vor der
Debatte, und wir müsse» deu Eindruck abwarten, den diese ans das Land her¬
vorgebracht hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/191>, abgerufen am 23.07.2024.