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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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liehen Vertreter der Revolution von 1789 hinstellen zu müssen. Wenn man in
den Fall gesetzt ist, der Geschichte und der Wahrheit auf eine so ostensible Weise
ins Gesicht schlagen zu müssen, dann kann man es wol zu einem erklecklichen Stück
Beredtsamkeit bringen, aber eine so wichtige Frage endgiltig zu entscheide", ist auch
dem gewaltigsten Talente nicht möglich. Berryer's Rede hatte auch in der That
Blitze einer großen Beredtsamkeit, aber diese verlöschten nur zu bald, und man
sah im Allgemeinen den künstlichen Faden an dem sein-mühsam zusammengebrachten
Argumente nur zu deutlich durch. Die Zugeständnisse, welche er dem Geiste der
Zeit machen mußte, und die Allein zuwider waren, was seine Partei bisher in
ihren Journalen und Frohsdorfer oder Wicsbadner Kreisschreiber als ihre obersten
Grundsätze aufgestellt hatten, hingen wie schweres Bleigewicht an seiner Rede und
hinderten jeden Schwung. Wie ein zu Tode verwundeter Aar versuchte er noch¬
mals den gewohnten Flug nach oben, aber die Flügel versagten den Dienst, und
er schleppte sich mühsam auf dem Boden des si^tus Pio hin. Die Maske war
legitimistisch, aber der Bonapartist blickte durch, und Niemand war getäuscht.
Victor Hugo konnte daher mit Recht ausrufen: ^ no sais Ms s'U ^ ^ nes
masMes lei, mais sais ein'it n,'^ aurg, pas as üupes.

Es konnte der Opposition darum auch leichter werden, ihrem Vorsatze getreu
die Gegner ruhig über die Republik den Stab brechen zu hören. Diese sprachen
ihr eigenes Todesurtheil aus. Die Legitimisten mußten es von Belgravesquare
her wissen, daß sie unter der Jnlimonarchie mit dem bestehenden Regime nicht
so umgehen durften; die Orleanistcn haben Carl's X. Zeiten noch nicht vergessen,
und alle Royalisten zusammengenommen müssen es im Gedächtniß haben, was im
Kaiserreiche das Schicksal solcher Redner gewesen wäre. Je hastiger sie waren,
um so größer machten sie die Republik, abgesehen davon, daß sie die große
Revolution adoptirten, wie Heinrich V. den Grasen von Paris an Kindesstatt an¬
zunehmen bereit wäre, und sie nahmen sich albern genng ans, indem sie die Re¬
publik verdammten, während sie ihren Grundsätzen eme Apologie hielten.

Aber auch in der Verhandlung war die Republik diesmal Siegerin, und die
Negierung fühlte dies nur zu gut, als sie durchzusetzen suchte, daß nach Odilon
Barrot Niemand mehr die Tribüne besteigen dürfe. Sie konnte nicht das beste,
so wollte sie wenigstens das letzte Wort erhalten.

Michel von Bourges wußte das Banner der Republik hoch empor zu halten,
und es gelang ihm, was die Gegner nur versuchten. Er nahm den Handschuh
auf, welchen die Reaction der Republik hingeworfen, er stellte sich zum Zwei¬
kampf, bei dem Argumente und viele leidenschaftliche Phrasen als Waffen dienten.
Seine Rede war von einem Geiste der Versöhnung durchweht, welcher darthat, daß die
Demokratie nicht in der Guillotine und nicht in Alles über den Haufen werfenden
Utopien ihren Ausdruck finde. Er betrachtete die sociale Seite der letzten Um¬
wälzung, wie sie ein Staatsmann betrachten muß, und wies nach, daß diese nicht


liehen Vertreter der Revolution von 1789 hinstellen zu müssen. Wenn man in
den Fall gesetzt ist, der Geschichte und der Wahrheit auf eine so ostensible Weise
ins Gesicht schlagen zu müssen, dann kann man es wol zu einem erklecklichen Stück
Beredtsamkeit bringen, aber eine so wichtige Frage endgiltig zu entscheide», ist auch
dem gewaltigsten Talente nicht möglich. Berryer's Rede hatte auch in der That
Blitze einer großen Beredtsamkeit, aber diese verlöschten nur zu bald, und man
sah im Allgemeinen den künstlichen Faden an dem sein-mühsam zusammengebrachten
Argumente nur zu deutlich durch. Die Zugeständnisse, welche er dem Geiste der
Zeit machen mußte, und die Allein zuwider waren, was seine Partei bisher in
ihren Journalen und Frohsdorfer oder Wicsbadner Kreisschreiber als ihre obersten
Grundsätze aufgestellt hatten, hingen wie schweres Bleigewicht an seiner Rede und
hinderten jeden Schwung. Wie ein zu Tode verwundeter Aar versuchte er noch¬
mals den gewohnten Flug nach oben, aber die Flügel versagten den Dienst, und
er schleppte sich mühsam auf dem Boden des si^tus Pio hin. Die Maske war
legitimistisch, aber der Bonapartist blickte durch, und Niemand war getäuscht.
Victor Hugo konnte daher mit Recht ausrufen: ^ no sais Ms s'U ^ ^ nes
masMes lei, mais sais ein'it n,'^ aurg, pas as üupes.

Es konnte der Opposition darum auch leichter werden, ihrem Vorsatze getreu
die Gegner ruhig über die Republik den Stab brechen zu hören. Diese sprachen
ihr eigenes Todesurtheil aus. Die Legitimisten mußten es von Belgravesquare
her wissen, daß sie unter der Jnlimonarchie mit dem bestehenden Regime nicht
so umgehen durften; die Orleanistcn haben Carl's X. Zeiten noch nicht vergessen,
und alle Royalisten zusammengenommen müssen es im Gedächtniß haben, was im
Kaiserreiche das Schicksal solcher Redner gewesen wäre. Je hastiger sie waren,
um so größer machten sie die Republik, abgesehen davon, daß sie die große
Revolution adoptirten, wie Heinrich V. den Grasen von Paris an Kindesstatt an¬
zunehmen bereit wäre, und sie nahmen sich albern genng ans, indem sie die Re¬
publik verdammten, während sie ihren Grundsätzen eme Apologie hielten.

Aber auch in der Verhandlung war die Republik diesmal Siegerin, und die
Negierung fühlte dies nur zu gut, als sie durchzusetzen suchte, daß nach Odilon
Barrot Niemand mehr die Tribüne besteigen dürfe. Sie konnte nicht das beste,
so wollte sie wenigstens das letzte Wort erhalten.

Michel von Bourges wußte das Banner der Republik hoch empor zu halten,
und es gelang ihm, was die Gegner nur versuchten. Er nahm den Handschuh
auf, welchen die Reaction der Republik hingeworfen, er stellte sich zum Zwei¬
kampf, bei dem Argumente und viele leidenschaftliche Phrasen als Waffen dienten.
Seine Rede war von einem Geiste der Versöhnung durchweht, welcher darthat, daß die
Demokratie nicht in der Guillotine und nicht in Alles über den Haufen werfenden
Utopien ihren Ausdruck finde. Er betrachtete die sociale Seite der letzten Um¬
wälzung, wie sie ein Staatsmann betrachten muß, und wies nach, daß diese nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/189>, abgerufen am 02.07.2024.