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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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hatten doch immer mehr politischen Inhalt, als der Philosoph der uneingeschränkten
Vernunft. Außerdem hatte er eine Zeitung gegründet, die das Organ der ab¬
soluten Freiheit werden sollte, die er durch einige sehr hübsch geschriebene, aber
inhaltlose Manifeste im alten Style eröffnete, deren Richtung zu bestimmen er
aber dann den Ersten Besten überließ, wenn sie sich nur durch Barricaden oder
eine ähnliche Symbolik als Männer der Freiheit lcgitimirten: den Polen, den
Czechen, oder wer es sonst war. Jetzt hätte er die beste Gelegenheit gehabt,
sein früher nur abstract gehaltenes Princip von der Nichtigkeit der bloßen Na¬
tionalität auf concrete Fälle fruchtbar anzuwenden, denn fast der ganze Schwindel
der damaligen Zeit drehte sich um diesen einseitigen Begriff; aber das war ihm
theils zu unbequem, theils hätte er dadurch den Beifall der Menge eingebüßt,
von dem er im strengsten Sinne des Worts berauscht war, und den er nicht mehr
entbehren konnte. Sein Blatt wurde daher eine radicale Posaune wie die andern.

Außerdem verblendet der Fanatismus uicht nur den Verstand, er corrumpirt
auch das Herz. Ruge erklärte zu wiederholten Malen: wer nicht daran glaubt,
daß jetzt die Idee der Freiheit sich erfüllt, der glaubt überhaupt an die Freiheit
nicht, der ist ein Atheist und ein Verräther und -- it nul tÄire pmrr eux Irmtros.
Die Phrase verträgt kein weiteres Raisonnement. Wie das Ideal beschaffen ist,
darauf kommt es gar nicht an. Niemand hat sich sein Reich Gottes liebenswür¬
diger, heiterer, humaner, unschuldiger, engelhafter, kindlicher, rosenfarbener ausgemalt,
als Se. Just und Robespierre. Diese Kindlichkeit wird aber sehr böse, wenn sie
nicht befriedigt wird. Wer sollte an dieses schöne Reich nicht glauben, als die
Gottlosen! Weg mit ihnen, und wir haben den Himmel aus Erden, und nun
rasch die Guillotine aufgezogen, und so lange damit gespielt, bis die Wirklichkeit
wieder Glauben an sich selbst gewinnt, sich empört und den ungeduldigen Idea¬
listen mit sammt seinem Spielzeuge zerbricht. Die eigenen Anhänger empören
sich zuerst gegen den Propheten, wenn aus dem Straßenpflaster nicht Milch und
Honig fließt, wie er es verheißen.

So weit ist es mit Ruge nicht gekommen. Die Reaction trat diesmal früher
ein, als sonst gewöhnlich, weil sie vom alten Liberalismus gestützt wurde. Ruge's
parlamentarische Laufbahn hat nicht lange gedauert, und er hat dort keinen Ein¬
fluß ausgeübt. Selbst Robert Blum und Aehnliche waren ihm weit überlegen.
Sie hielten sich mit einem gewissen Jnstinct ans Concrete, während sich Rüge
lediglich in Abstractionen und Antithesen bewegte. Obgleich er sich als Chef der
äußersten Linken gcrirte, hat er bei den Conservativen lange nicht den Haß erregt,
den die eigentliche Linke hervorrief, weil seine Anträge zu allgemein gehalten und
zu weitausseheud waren, um für Ernst genommen zu werden. Die Radicalen
selbst konnten ihn nicht leiden, sie intriguirten sogar zum Theil gegen ihn, wie
sich das aus den Enthüllungen der Freimüthigen Sachsenzeitung ergiebt, angeblich,
weil er sie compromittirte, eigentlich aber, weil sie nie recht wußten, was sie aus


Grenzboten. III. -IW-I. 23

hatten doch immer mehr politischen Inhalt, als der Philosoph der uneingeschränkten
Vernunft. Außerdem hatte er eine Zeitung gegründet, die das Organ der ab¬
soluten Freiheit werden sollte, die er durch einige sehr hübsch geschriebene, aber
inhaltlose Manifeste im alten Style eröffnete, deren Richtung zu bestimmen er
aber dann den Ersten Besten überließ, wenn sie sich nur durch Barricaden oder
eine ähnliche Symbolik als Männer der Freiheit lcgitimirten: den Polen, den
Czechen, oder wer es sonst war. Jetzt hätte er die beste Gelegenheit gehabt,
sein früher nur abstract gehaltenes Princip von der Nichtigkeit der bloßen Na¬
tionalität auf concrete Fälle fruchtbar anzuwenden, denn fast der ganze Schwindel
der damaligen Zeit drehte sich um diesen einseitigen Begriff; aber das war ihm
theils zu unbequem, theils hätte er dadurch den Beifall der Menge eingebüßt,
von dem er im strengsten Sinne des Worts berauscht war, und den er nicht mehr
entbehren konnte. Sein Blatt wurde daher eine radicale Posaune wie die andern.

Außerdem verblendet der Fanatismus uicht nur den Verstand, er corrumpirt
auch das Herz. Ruge erklärte zu wiederholten Malen: wer nicht daran glaubt,
daß jetzt die Idee der Freiheit sich erfüllt, der glaubt überhaupt an die Freiheit
nicht, der ist ein Atheist und ein Verräther und — it nul tÄire pmrr eux Irmtros.
Die Phrase verträgt kein weiteres Raisonnement. Wie das Ideal beschaffen ist,
darauf kommt es gar nicht an. Niemand hat sich sein Reich Gottes liebenswür¬
diger, heiterer, humaner, unschuldiger, engelhafter, kindlicher, rosenfarbener ausgemalt,
als Se. Just und Robespierre. Diese Kindlichkeit wird aber sehr böse, wenn sie
nicht befriedigt wird. Wer sollte an dieses schöne Reich nicht glauben, als die
Gottlosen! Weg mit ihnen, und wir haben den Himmel aus Erden, und nun
rasch die Guillotine aufgezogen, und so lange damit gespielt, bis die Wirklichkeit
wieder Glauben an sich selbst gewinnt, sich empört und den ungeduldigen Idea¬
listen mit sammt seinem Spielzeuge zerbricht. Die eigenen Anhänger empören
sich zuerst gegen den Propheten, wenn aus dem Straßenpflaster nicht Milch und
Honig fließt, wie er es verheißen.

So weit ist es mit Ruge nicht gekommen. Die Reaction trat diesmal früher
ein, als sonst gewöhnlich, weil sie vom alten Liberalismus gestützt wurde. Ruge's
parlamentarische Laufbahn hat nicht lange gedauert, und er hat dort keinen Ein¬
fluß ausgeübt. Selbst Robert Blum und Aehnliche waren ihm weit überlegen.
Sie hielten sich mit einem gewissen Jnstinct ans Concrete, während sich Rüge
lediglich in Abstractionen und Antithesen bewegte. Obgleich er sich als Chef der
äußersten Linken gcrirte, hat er bei den Conservativen lange nicht den Haß erregt,
den die eigentliche Linke hervorrief, weil seine Anträge zu allgemein gehalten und
zu weitausseheud waren, um für Ernst genommen zu werden. Die Radicalen
selbst konnten ihn nicht leiden, sie intriguirten sogar zum Theil gegen ihn, wie
sich das aus den Enthüllungen der Freimüthigen Sachsenzeitung ergiebt, angeblich,
weil er sie compromittirte, eigentlich aber, weil sie nie recht wußten, was sie aus


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[0185] hatten doch immer mehr politischen Inhalt, als der Philosoph der uneingeschränkten Vernunft. Außerdem hatte er eine Zeitung gegründet, die das Organ der ab¬ soluten Freiheit werden sollte, die er durch einige sehr hübsch geschriebene, aber inhaltlose Manifeste im alten Style eröffnete, deren Richtung zu bestimmen er aber dann den Ersten Besten überließ, wenn sie sich nur durch Barricaden oder eine ähnliche Symbolik als Männer der Freiheit lcgitimirten: den Polen, den Czechen, oder wer es sonst war. Jetzt hätte er die beste Gelegenheit gehabt, sein früher nur abstract gehaltenes Princip von der Nichtigkeit der bloßen Na¬ tionalität auf concrete Fälle fruchtbar anzuwenden, denn fast der ganze Schwindel der damaligen Zeit drehte sich um diesen einseitigen Begriff; aber das war ihm theils zu unbequem, theils hätte er dadurch den Beifall der Menge eingebüßt, von dem er im strengsten Sinne des Worts berauscht war, und den er nicht mehr entbehren konnte. Sein Blatt wurde daher eine radicale Posaune wie die andern. Außerdem verblendet der Fanatismus uicht nur den Verstand, er corrumpirt auch das Herz. Ruge erklärte zu wiederholten Malen: wer nicht daran glaubt, daß jetzt die Idee der Freiheit sich erfüllt, der glaubt überhaupt an die Freiheit nicht, der ist ein Atheist und ein Verräther und — it nul tÄire pmrr eux Irmtros. Die Phrase verträgt kein weiteres Raisonnement. Wie das Ideal beschaffen ist, darauf kommt es gar nicht an. Niemand hat sich sein Reich Gottes liebenswür¬ diger, heiterer, humaner, unschuldiger, engelhafter, kindlicher, rosenfarbener ausgemalt, als Se. Just und Robespierre. Diese Kindlichkeit wird aber sehr böse, wenn sie nicht befriedigt wird. Wer sollte an dieses schöne Reich nicht glauben, als die Gottlosen! Weg mit ihnen, und wir haben den Himmel aus Erden, und nun rasch die Guillotine aufgezogen, und so lange damit gespielt, bis die Wirklichkeit wieder Glauben an sich selbst gewinnt, sich empört und den ungeduldigen Idea¬ listen mit sammt seinem Spielzeuge zerbricht. Die eigenen Anhänger empören sich zuerst gegen den Propheten, wenn aus dem Straßenpflaster nicht Milch und Honig fließt, wie er es verheißen. So weit ist es mit Ruge nicht gekommen. Die Reaction trat diesmal früher ein, als sonst gewöhnlich, weil sie vom alten Liberalismus gestützt wurde. Ruge's parlamentarische Laufbahn hat nicht lange gedauert, und er hat dort keinen Ein¬ fluß ausgeübt. Selbst Robert Blum und Aehnliche waren ihm weit überlegen. Sie hielten sich mit einem gewissen Jnstinct ans Concrete, während sich Rüge lediglich in Abstractionen und Antithesen bewegte. Obgleich er sich als Chef der äußersten Linken gcrirte, hat er bei den Conservativen lange nicht den Haß erregt, den die eigentliche Linke hervorrief, weil seine Anträge zu allgemein gehalten und zu weitausseheud waren, um für Ernst genommen zu werden. Die Radicalen selbst konnten ihn nicht leiden, sie intriguirten sogar zum Theil gegen ihn, wie sich das aus den Enthüllungen der Freimüthigen Sachsenzeitung ergiebt, angeblich, weil er sie compromittirte, eigentlich aber, weil sie nie recht wußten, was sie aus Grenzboten. III. -IW-I. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/185>, abgerufen am 02.07.2024.