Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm machen sollten. Seine Thätigkeit in Berlin, wohin er sich seiner Zeitung
wegen begab, war noch unfruchtbarer und unerquicklicher. Er kam in den October-
tagen so weit, zwischen Karbc und Lindenmüller das Volk haranguiren zu wollen,
worin ihm Jene bedeutend überlegen waren, denn eigentlich ist er Nichts weniger
als ein Vvlksführcr; er ist wol im Stande, vor einer Menge, die ungefähr seine
Richtung theilt, anmuthig darüber zu plaudern, aber er besitzt weder die Festigkeit
des Willens, ihr eine Richtung zu geben, noch anch den Muth, im entscheidenden
Augenblick rücksichtslos zu handeln, was übrigens hier nicht tadelnd gemeint sein
soll, denn es ist das ein Muth, wie er mit dem Muth des Verbrechens verwandt ist.
Wenn er später in Leipzig wahrend der Maiereignisse scheinbar eine Ausnahme
machte, aber auch nur scheinbar, denn er hat anch nnr gesprochen, so ist das
nnr aus dem eMirteu Zustand zu erklären, in den damals alle Welt versetzt war,

Rüge lebt gegenwärtig als Verbannter in England. Er hat seit der Zeit
eine Anzahl ziemlich unnützer Schriften veröffentlicht, und sich auch leider der schlechten
Gesellschaft nicht erwehren können, die sich in London als Centralcomitv der De¬
mokratie gerirt. Bei der vollständigen Einflnßlvsigkeit dieses angeblichen Aus¬
schusses müssen wir es um so mehr bedauern, daß er in ""fruchtbarer Unstätigkeit
seine schönen Talente verschleudert und vollständig corrumpirt, und nicht freiwillig;
da Deutschland es noch immer für gefährlich hält, einen harmlosen, wenn
auch radicalen Philosophen mehr in seiner Mitte zu haben. Alle seine Fehler
sind ans dem ersten hervorgegangen, den ich zu Anfang charakterisiert habe, ans'
seiner geistigen Trägheit, aus seiner Schen vor concreten Studien und aus seiner
Neigung, sich durch endliche, zufällige Beziehungen bestimmen zu lassen, und diese
Beziehungen dann in Abstractionen zu übersetzen, denen er sich nicht wieder zu
entwinden im Stande ist. Dagegen hat er ein großes Verdienst gehabt, und
dies müssen wir um so mehr hervorheben, da es die moderne Reaction mit den
alten mystischen Floskeln auss Scene in Frage stellt, nämlich das Princip des
Nationalismus, des gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Gefühls
gegen die Sophistereien angeblicher Philosophen und gegen die überschwänglichen
Capricen halbgebildeter Poeten kräftig vertheidigt zu haben. Nur in der halben,
ungenauen und ungebildeten Anwendung dieses richtigen Princips liegt seine Schuld;
er hat sie schwer genug gebüßt, und wir können hoffen, daß er in bessern Zeiten
in der Mitte seines Vaterlandes, dem er trotz seiner Anfechtungen mit Leib und
Seele angehört, zu einer halb beschämenden, halb freudigen Enttäuschung von
seinen neuesten Illusionen gebracht werden wird. Daß wir es nur hoffen können,
ist schlimm genug für uns und ein sehr wesentliches Moment, seine Verirrungen
I. S. zu entschuldigen.




ihm machen sollten. Seine Thätigkeit in Berlin, wohin er sich seiner Zeitung
wegen begab, war noch unfruchtbarer und unerquicklicher. Er kam in den October-
tagen so weit, zwischen Karbc und Lindenmüller das Volk haranguiren zu wollen,
worin ihm Jene bedeutend überlegen waren, denn eigentlich ist er Nichts weniger
als ein Vvlksführcr; er ist wol im Stande, vor einer Menge, die ungefähr seine
Richtung theilt, anmuthig darüber zu plaudern, aber er besitzt weder die Festigkeit
des Willens, ihr eine Richtung zu geben, noch anch den Muth, im entscheidenden
Augenblick rücksichtslos zu handeln, was übrigens hier nicht tadelnd gemeint sein
soll, denn es ist das ein Muth, wie er mit dem Muth des Verbrechens verwandt ist.
Wenn er später in Leipzig wahrend der Maiereignisse scheinbar eine Ausnahme
machte, aber auch nur scheinbar, denn er hat anch nnr gesprochen, so ist das
nnr aus dem eMirteu Zustand zu erklären, in den damals alle Welt versetzt war,

Rüge lebt gegenwärtig als Verbannter in England. Er hat seit der Zeit
eine Anzahl ziemlich unnützer Schriften veröffentlicht, und sich auch leider der schlechten
Gesellschaft nicht erwehren können, die sich in London als Centralcomitv der De¬
mokratie gerirt. Bei der vollständigen Einflnßlvsigkeit dieses angeblichen Aus¬
schusses müssen wir es um so mehr bedauern, daß er in »»fruchtbarer Unstätigkeit
seine schönen Talente verschleudert und vollständig corrumpirt, und nicht freiwillig;
da Deutschland es noch immer für gefährlich hält, einen harmlosen, wenn
auch radicalen Philosophen mehr in seiner Mitte zu haben. Alle seine Fehler
sind ans dem ersten hervorgegangen, den ich zu Anfang charakterisiert habe, ans'
seiner geistigen Trägheit, aus seiner Schen vor concreten Studien und aus seiner
Neigung, sich durch endliche, zufällige Beziehungen bestimmen zu lassen, und diese
Beziehungen dann in Abstractionen zu übersetzen, denen er sich nicht wieder zu
entwinden im Stande ist. Dagegen hat er ein großes Verdienst gehabt, und
dies müssen wir um so mehr hervorheben, da es die moderne Reaction mit den
alten mystischen Floskeln auss Scene in Frage stellt, nämlich das Princip des
Nationalismus, des gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Gefühls
gegen die Sophistereien angeblicher Philosophen und gegen die überschwänglichen
Capricen halbgebildeter Poeten kräftig vertheidigt zu haben. Nur in der halben,
ungenauen und ungebildeten Anwendung dieses richtigen Princips liegt seine Schuld;
er hat sie schwer genug gebüßt, und wir können hoffen, daß er in bessern Zeiten
in der Mitte seines Vaterlandes, dem er trotz seiner Anfechtungen mit Leib und
Seele angehört, zu einer halb beschämenden, halb freudigen Enttäuschung von
seinen neuesten Illusionen gebracht werden wird. Daß wir es nur hoffen können,
ist schlimm genug für uns und ein sehr wesentliches Moment, seine Verirrungen
I. S. zu entschuldigen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280273"/>
          <p xml:id="ID_489" prev="#ID_488"> ihm machen sollten. Seine Thätigkeit in Berlin, wohin er sich seiner Zeitung<lb/>
wegen begab, war noch unfruchtbarer und unerquicklicher. Er kam in den October-<lb/>
tagen so weit, zwischen Karbc und Lindenmüller das Volk haranguiren zu wollen,<lb/>
worin ihm Jene bedeutend überlegen waren, denn eigentlich ist er Nichts weniger<lb/>
als ein Vvlksführcr; er ist wol im Stande, vor einer Menge, die ungefähr seine<lb/>
Richtung theilt, anmuthig darüber zu plaudern, aber er besitzt weder die Festigkeit<lb/>
des Willens, ihr eine Richtung zu geben, noch anch den Muth, im entscheidenden<lb/>
Augenblick rücksichtslos zu handeln, was übrigens hier nicht tadelnd gemeint sein<lb/>
soll, denn es ist das ein Muth, wie er mit dem Muth des Verbrechens verwandt ist.<lb/>
Wenn er später in Leipzig wahrend der Maiereignisse scheinbar eine Ausnahme<lb/>
machte, aber auch nur scheinbar, denn er hat anch nnr gesprochen, so ist das<lb/>
nnr aus dem eMirteu Zustand zu erklären, in den damals alle Welt versetzt war,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_490"> Rüge lebt gegenwärtig als Verbannter in England. Er hat seit der Zeit<lb/>
eine Anzahl ziemlich unnützer Schriften veröffentlicht, und sich auch leider der schlechten<lb/>
Gesellschaft nicht erwehren können, die sich in London als Centralcomitv der De¬<lb/>
mokratie gerirt. Bei der vollständigen Einflnßlvsigkeit dieses angeblichen Aus¬<lb/>
schusses müssen wir es um so mehr bedauern, daß er in »»fruchtbarer Unstätigkeit<lb/>
seine schönen Talente verschleudert und vollständig corrumpirt, und nicht freiwillig;<lb/>
da Deutschland es noch immer für gefährlich hält, einen harmlosen, wenn<lb/>
auch radicalen Philosophen mehr in seiner Mitte zu haben. Alle seine Fehler<lb/>
sind ans dem ersten hervorgegangen, den ich zu Anfang charakterisiert habe, ans'<lb/>
seiner geistigen Trägheit, aus seiner Schen vor concreten Studien und aus seiner<lb/>
Neigung, sich durch endliche, zufällige Beziehungen bestimmen zu lassen, und diese<lb/>
Beziehungen dann in Abstractionen zu übersetzen, denen er sich nicht wieder zu<lb/>
entwinden im Stande ist. Dagegen hat er ein großes Verdienst gehabt, und<lb/>
dies müssen wir um so mehr hervorheben, da es die moderne Reaction mit den<lb/>
alten mystischen Floskeln auss Scene in Frage stellt, nämlich das Princip des<lb/>
Nationalismus, des gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Gefühls<lb/>
gegen die Sophistereien angeblicher Philosophen und gegen die überschwänglichen<lb/>
Capricen halbgebildeter Poeten kräftig vertheidigt zu haben. Nur in der halben,<lb/>
ungenauen und ungebildeten Anwendung dieses richtigen Princips liegt seine Schuld;<lb/>
er hat sie schwer genug gebüßt, und wir können hoffen, daß er in bessern Zeiten<lb/>
in der Mitte seines Vaterlandes, dem er trotz seiner Anfechtungen mit Leib und<lb/>
Seele angehört, zu einer halb beschämenden, halb freudigen Enttäuschung von<lb/>
seinen neuesten Illusionen gebracht werden wird. Daß wir es nur hoffen können,<lb/>
ist schlimm genug für uns und ein sehr wesentliches Moment, seine Verirrungen<lb/><note type="byline"> I. S.</note> zu entschuldigen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] ihm machen sollten. Seine Thätigkeit in Berlin, wohin er sich seiner Zeitung wegen begab, war noch unfruchtbarer und unerquicklicher. Er kam in den October- tagen so weit, zwischen Karbc und Lindenmüller das Volk haranguiren zu wollen, worin ihm Jene bedeutend überlegen waren, denn eigentlich ist er Nichts weniger als ein Vvlksführcr; er ist wol im Stande, vor einer Menge, die ungefähr seine Richtung theilt, anmuthig darüber zu plaudern, aber er besitzt weder die Festigkeit des Willens, ihr eine Richtung zu geben, noch anch den Muth, im entscheidenden Augenblick rücksichtslos zu handeln, was übrigens hier nicht tadelnd gemeint sein soll, denn es ist das ein Muth, wie er mit dem Muth des Verbrechens verwandt ist. Wenn er später in Leipzig wahrend der Maiereignisse scheinbar eine Ausnahme machte, aber auch nur scheinbar, denn er hat anch nnr gesprochen, so ist das nnr aus dem eMirteu Zustand zu erklären, in den damals alle Welt versetzt war, Rüge lebt gegenwärtig als Verbannter in England. Er hat seit der Zeit eine Anzahl ziemlich unnützer Schriften veröffentlicht, und sich auch leider der schlechten Gesellschaft nicht erwehren können, die sich in London als Centralcomitv der De¬ mokratie gerirt. Bei der vollständigen Einflnßlvsigkeit dieses angeblichen Aus¬ schusses müssen wir es um so mehr bedauern, daß er in »»fruchtbarer Unstätigkeit seine schönen Talente verschleudert und vollständig corrumpirt, und nicht freiwillig; da Deutschland es noch immer für gefährlich hält, einen harmlosen, wenn auch radicalen Philosophen mehr in seiner Mitte zu haben. Alle seine Fehler sind ans dem ersten hervorgegangen, den ich zu Anfang charakterisiert habe, ans' seiner geistigen Trägheit, aus seiner Schen vor concreten Studien und aus seiner Neigung, sich durch endliche, zufällige Beziehungen bestimmen zu lassen, und diese Beziehungen dann in Abstractionen zu übersetzen, denen er sich nicht wieder zu entwinden im Stande ist. Dagegen hat er ein großes Verdienst gehabt, und dies müssen wir um so mehr hervorheben, da es die moderne Reaction mit den alten mystischen Floskeln auss Scene in Frage stellt, nämlich das Princip des Nationalismus, des gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Gefühls gegen die Sophistereien angeblicher Philosophen und gegen die überschwänglichen Capricen halbgebildeter Poeten kräftig vertheidigt zu haben. Nur in der halben, ungenauen und ungebildeten Anwendung dieses richtigen Princips liegt seine Schuld; er hat sie schwer genug gebüßt, und wir können hoffen, daß er in bessern Zeiten in der Mitte seines Vaterlandes, dem er trotz seiner Anfechtungen mit Leib und Seele angehört, zu einer halb beschämenden, halb freudigen Enttäuschung von seinen neuesten Illusionen gebracht werden wird. Daß wir es nur hoffen können, ist schlimm genug für uns und ein sehr wesentliches Moment, seine Verirrungen I. S. zu entschuldigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/186>, abgerufen am 02.07.2024.