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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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weil ferner die erkannten sittlichen Ideen erst dann fruchtbar werden, wenn
wir sie ins Herz, ins Gemüth aufnehmen, wenn wir mit Liebe hegen, was wir
begriffen haben. In dieser Beziehung sagt Büchner ganz mit Recht: "Das
Volk wird sich erheben, wenn man ihm ein Kreuz giebt". -- Sobald der Glaube
sich aber auf empirische Thatsachen bezieht, wird er zum Fanatismus, macht den
Verstand blind gegen alles Wirkliche, und verleitet eben so zum Haß, als der
düstere Glaube des Mittelalters.

Rüge war auf dem besten Wege, sich durch allmähliches beiläufiges Studium
in die Verhältnisse der Wirklichkeit einzuleben; wir hatten ihn so weit gebracht,
daß er dem Preußischen Landtag eine feurige Lobrede hielt, was seine radicalen
Glaubensbrüder mit Entsetzen erfüllte -- als die Nachricht vou der Februarrevolution
kam. Man ist heut zu Tage viel klüger geworden, als damals, aber die Be¬
rechtigung des Gefühls, das uus damals ziemlich Alle ergriff, wird doch dadurch
nicht widerlegt. Es war das erste freie Aufathmen einer vou unerträglicher
Schwüle beklemmten Brust uach dem ersten furchtbaren Gewitterschlag. In Ruge's
Entzücken war nichts Gemachtes, es war durchaus spontan; er liebte alle Men¬
schen, nahm seine Injurien gegen das Deutsche Volk zurück, und umarmte seine
bisherigen Feinde, wo er sie auf der Straße fand; außerdem behielt er immer
noch so viel Besonnenheit, für Deutschland weiter Nichts zu verlangen, als den
Schritt ins wahrhaft constitutionelle Leben. Er wollte sein Augenmerk vor allen
Dingen auf Preußen richten, und kämpfte lebhaft gegen die Vorschläge der Ra¬
dicalen , durch ein Natioualparlamcnt, welches über den Königen stehen sollte,
die Sache ins Unbestimmte und Romantische zu ziehen, ja, bei dem Rcformbankett,
welches er veranlaßt hatte und dem er präsidirte, suchte er vor Allem die Bour¬
geoisie zu gewinnen, und ließ einen jungen Doctor herauswerfen, der socialistische
Ideen vortragen wollte.

Indessen bald änderte sich die Sache. Es wurden damals große Versamm¬
lungen gehalten, von denen sich leider gleich von Anfang an die Verständigem
ausschlossen. In diesen Versammlungen wurde Rüge bald ein Gott. Seine
drolligen Einfälle amusirten das Publicum, und die eingestreuten philosophischen
Floskeln erregten in ihm das Gefühl einer geheimnißvollen Inspiration. Rüge
kam auf das beliebte Thema seiner neuen Religion; er setzte dem Publicum aus
einander, daß Louis Philipp uur darum gestürzt sei, weil er als Atheist keinen
Glauben gehabt habe, und meinte dann mit vieler Bonhommie, Metternich und
die Andern hätten gezeigt, daß sie das Regieren nicht verständen, man wolle
daher die Regierung selber in die Hand nehmen. Das Publicum war natürlich
mit diesem Antrag vollkommen einverstanden, und Ruge war überzeugt, die Ge¬
schicke Deutschlands ruhten in seiner Hand. Die Radicalen benutzten ihn, weil
sie konst keinen bedeutenden Namen unter ihren Reihen zählten, und obgleich er
sie im Stillen sehr gering schätzte, verstanden sie ihn doch zu leiten, denn sie


weil ferner die erkannten sittlichen Ideen erst dann fruchtbar werden, wenn
wir sie ins Herz, ins Gemüth aufnehmen, wenn wir mit Liebe hegen, was wir
begriffen haben. In dieser Beziehung sagt Büchner ganz mit Recht: „Das
Volk wird sich erheben, wenn man ihm ein Kreuz giebt". — Sobald der Glaube
sich aber auf empirische Thatsachen bezieht, wird er zum Fanatismus, macht den
Verstand blind gegen alles Wirkliche, und verleitet eben so zum Haß, als der
düstere Glaube des Mittelalters.

Rüge war auf dem besten Wege, sich durch allmähliches beiläufiges Studium
in die Verhältnisse der Wirklichkeit einzuleben; wir hatten ihn so weit gebracht,
daß er dem Preußischen Landtag eine feurige Lobrede hielt, was seine radicalen
Glaubensbrüder mit Entsetzen erfüllte — als die Nachricht vou der Februarrevolution
kam. Man ist heut zu Tage viel klüger geworden, als damals, aber die Be¬
rechtigung des Gefühls, das uus damals ziemlich Alle ergriff, wird doch dadurch
nicht widerlegt. Es war das erste freie Aufathmen einer vou unerträglicher
Schwüle beklemmten Brust uach dem ersten furchtbaren Gewitterschlag. In Ruge's
Entzücken war nichts Gemachtes, es war durchaus spontan; er liebte alle Men¬
schen, nahm seine Injurien gegen das Deutsche Volk zurück, und umarmte seine
bisherigen Feinde, wo er sie auf der Straße fand; außerdem behielt er immer
noch so viel Besonnenheit, für Deutschland weiter Nichts zu verlangen, als den
Schritt ins wahrhaft constitutionelle Leben. Er wollte sein Augenmerk vor allen
Dingen auf Preußen richten, und kämpfte lebhaft gegen die Vorschläge der Ra¬
dicalen , durch ein Natioualparlamcnt, welches über den Königen stehen sollte,
die Sache ins Unbestimmte und Romantische zu ziehen, ja, bei dem Rcformbankett,
welches er veranlaßt hatte und dem er präsidirte, suchte er vor Allem die Bour¬
geoisie zu gewinnen, und ließ einen jungen Doctor herauswerfen, der socialistische
Ideen vortragen wollte.

Indessen bald änderte sich die Sache. Es wurden damals große Versamm¬
lungen gehalten, von denen sich leider gleich von Anfang an die Verständigem
ausschlossen. In diesen Versammlungen wurde Rüge bald ein Gott. Seine
drolligen Einfälle amusirten das Publicum, und die eingestreuten philosophischen
Floskeln erregten in ihm das Gefühl einer geheimnißvollen Inspiration. Rüge
kam auf das beliebte Thema seiner neuen Religion; er setzte dem Publicum aus
einander, daß Louis Philipp uur darum gestürzt sei, weil er als Atheist keinen
Glauben gehabt habe, und meinte dann mit vieler Bonhommie, Metternich und
die Andern hätten gezeigt, daß sie das Regieren nicht verständen, man wolle
daher die Regierung selber in die Hand nehmen. Das Publicum war natürlich
mit diesem Antrag vollkommen einverstanden, und Ruge war überzeugt, die Ge¬
schicke Deutschlands ruhten in seiner Hand. Die Radicalen benutzten ihn, weil
sie konst keinen bedeutenden Namen unter ihren Reihen zählten, und obgleich er
sie im Stillen sehr gering schätzte, verstanden sie ihn doch zu leiten, denn sie


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[0184] weil ferner die erkannten sittlichen Ideen erst dann fruchtbar werden, wenn wir sie ins Herz, ins Gemüth aufnehmen, wenn wir mit Liebe hegen, was wir begriffen haben. In dieser Beziehung sagt Büchner ganz mit Recht: „Das Volk wird sich erheben, wenn man ihm ein Kreuz giebt". — Sobald der Glaube sich aber auf empirische Thatsachen bezieht, wird er zum Fanatismus, macht den Verstand blind gegen alles Wirkliche, und verleitet eben so zum Haß, als der düstere Glaube des Mittelalters. Rüge war auf dem besten Wege, sich durch allmähliches beiläufiges Studium in die Verhältnisse der Wirklichkeit einzuleben; wir hatten ihn so weit gebracht, daß er dem Preußischen Landtag eine feurige Lobrede hielt, was seine radicalen Glaubensbrüder mit Entsetzen erfüllte — als die Nachricht vou der Februarrevolution kam. Man ist heut zu Tage viel klüger geworden, als damals, aber die Be¬ rechtigung des Gefühls, das uus damals ziemlich Alle ergriff, wird doch dadurch nicht widerlegt. Es war das erste freie Aufathmen einer vou unerträglicher Schwüle beklemmten Brust uach dem ersten furchtbaren Gewitterschlag. In Ruge's Entzücken war nichts Gemachtes, es war durchaus spontan; er liebte alle Men¬ schen, nahm seine Injurien gegen das Deutsche Volk zurück, und umarmte seine bisherigen Feinde, wo er sie auf der Straße fand; außerdem behielt er immer noch so viel Besonnenheit, für Deutschland weiter Nichts zu verlangen, als den Schritt ins wahrhaft constitutionelle Leben. Er wollte sein Augenmerk vor allen Dingen auf Preußen richten, und kämpfte lebhaft gegen die Vorschläge der Ra¬ dicalen , durch ein Natioualparlamcnt, welches über den Königen stehen sollte, die Sache ins Unbestimmte und Romantische zu ziehen, ja, bei dem Rcformbankett, welches er veranlaßt hatte und dem er präsidirte, suchte er vor Allem die Bour¬ geoisie zu gewinnen, und ließ einen jungen Doctor herauswerfen, der socialistische Ideen vortragen wollte. Indessen bald änderte sich die Sache. Es wurden damals große Versamm¬ lungen gehalten, von denen sich leider gleich von Anfang an die Verständigem ausschlossen. In diesen Versammlungen wurde Rüge bald ein Gott. Seine drolligen Einfälle amusirten das Publicum, und die eingestreuten philosophischen Floskeln erregten in ihm das Gefühl einer geheimnißvollen Inspiration. Rüge kam auf das beliebte Thema seiner neuen Religion; er setzte dem Publicum aus einander, daß Louis Philipp uur darum gestürzt sei, weil er als Atheist keinen Glauben gehabt habe, und meinte dann mit vieler Bonhommie, Metternich und die Andern hätten gezeigt, daß sie das Regieren nicht verständen, man wolle daher die Regierung selber in die Hand nehmen. Das Publicum war natürlich mit diesem Antrag vollkommen einverstanden, und Ruge war überzeugt, die Ge¬ schicke Deutschlands ruhten in seiner Hand. Die Radicalen benutzten ihn, weil sie konst keinen bedeutenden Namen unter ihren Reihen zählten, und obgleich er sie im Stillen sehr gering schätzte, verstanden sie ihn doch zu leiten, denn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/184>, abgerufen am 02.07.2024.