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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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und waren in ihrer sophistischen Dialektik zu einer Art Blasirtheit gekommen, die
schon durch den Titel ihrer Zeitschrift: "Epigonen" treffend bezeichnet wurde. Sie
verhielten sich zu den Radicalen von 18i2, wie Immermann's Epigonen zu Goethe's
Wilhelm Meister. Avr den eigentlich politischen Parteien hatte er mit den Ra¬
dicalen gar zu wenig Anknüpfungspunkte, die Honoratioren traten ihm mit Mi߬
trauen entgegen; dagegen sammelte sich eine Schaar jüngerer strebsamer Geister
um ihn, die ihn mit deu Neuigkeiten der literarischen und politische" Welt in Verbindung
erhielten. Abgesehen von seiner buchhändlerischen Thätigkeit, und was damit zu¬
sammenhing, z. B. der Uebersetzung der Jnniusbriese, die ihm eine vollkommen
neue Welt eröffneten, und deren Einfluß ans die Gegenwart er überschätzte, da
er sich beinahe einredete, er hätte sie entdeckt, seinen Nevolutivnsnovellen, die ziem¬
lich mittelmäßig waren, u. s. w., trat er mit einzelnen Aufsätzen hervor, die
meistens eine sehr endliche Beziehung und zuweilen eine ganz zufällige Veranlas-
sung hatten. Seine Polemik gegen die Berliner Sophisten, seine frühern Freunde,
war höchst lobenswert!). Unter andern Umständen griff er wieder fehl, weil ihm
alles Neue imponirte. So legte er auf die Bewegung der Deutschkatholiken und
der Lichtfreunde ein großes Gewicht, und wenn ihm ein Windbeutel wie Dvwiat
mit einzelnen Phrasen von Transcendenz und Immanenz entgegenkam, so war er
überzeugt, der Deutschkatholicismus sei die volle Erfüllung der in der humanen
Philosophie ausgesprochenen Principien. Er hörte, wie auch später zur Zeit
der Revolution, nur auf die Stichwörter, uur auf die Symbole. Namentlich
aber in den freien Gemeinden erkannte er die Grundlage des neuen Staats,
wie sie ihm Fröbel vorgeträumt hatte. Die Gemeinde sollte in demselben Local
ihre Erbaunugsstuuden halten, die von ihr selbst gedichteten Stücke aufführen,
die gleichfalls von der Gemeinde verfertigten plastischen Kunstwerke aufstellen,
über ihre politischen Angelegenheiten debattircn u. s. w. Es war das eine Ge¬
dankenlosigkeit, die eigentlich dadurch nicht besonders gebessert wird, daß man sie
als eine unschädliche bezeichnen muß. An sich war das beständige Hervorheben
von der Nothwendigkeit eines neuen Glaubens, einer neuen purificirter, auf
menschliche Verhältnisse zurückgeführten Religion, namentlich im Gegensatz zu den
Sophisten, welche die Gesinnungslosigkeit und den Unglauben als das erste Er-
forderniß eines freien Menschen aufstellten, vollkommen berechtigt; es war
theoretisch zu billige", wenn man nnr an dem Grundsatz festgehalten hätte, daß
der Glaube erst da anfangen darf, wo das Wissen aufhört, daß er sich also nie
auf speculative oder empirische Wahrheiten, sondern nnr ans sittliche beziehen
kann; es war zu billigen, in sofern die ethischen Ueberzeugungen, wenn man
sie auch mit Hilfe der Reflexion und des Zweifels begründet, erweitert u. f. w.,
doch endlich zu einem Abschluß im Geist, zu einem Ruhepunkt kommen müssen,
möge man diesen Gesinnung, oder Grundsatz oder Religion nennen, wenn über¬
haupt vou einem sittlichen Charakter, einem sittlichen Handeln die Rede sein soll;


und waren in ihrer sophistischen Dialektik zu einer Art Blasirtheit gekommen, die
schon durch den Titel ihrer Zeitschrift: „Epigonen" treffend bezeichnet wurde. Sie
verhielten sich zu den Radicalen von 18i2, wie Immermann's Epigonen zu Goethe's
Wilhelm Meister. Avr den eigentlich politischen Parteien hatte er mit den Ra¬
dicalen gar zu wenig Anknüpfungspunkte, die Honoratioren traten ihm mit Mi߬
trauen entgegen; dagegen sammelte sich eine Schaar jüngerer strebsamer Geister
um ihn, die ihn mit deu Neuigkeiten der literarischen und politische» Welt in Verbindung
erhielten. Abgesehen von seiner buchhändlerischen Thätigkeit, und was damit zu¬
sammenhing, z. B. der Uebersetzung der Jnniusbriese, die ihm eine vollkommen
neue Welt eröffneten, und deren Einfluß ans die Gegenwart er überschätzte, da
er sich beinahe einredete, er hätte sie entdeckt, seinen Nevolutivnsnovellen, die ziem¬
lich mittelmäßig waren, u. s. w., trat er mit einzelnen Aufsätzen hervor, die
meistens eine sehr endliche Beziehung und zuweilen eine ganz zufällige Veranlas-
sung hatten. Seine Polemik gegen die Berliner Sophisten, seine frühern Freunde,
war höchst lobenswert!). Unter andern Umständen griff er wieder fehl, weil ihm
alles Neue imponirte. So legte er auf die Bewegung der Deutschkatholiken und
der Lichtfreunde ein großes Gewicht, und wenn ihm ein Windbeutel wie Dvwiat
mit einzelnen Phrasen von Transcendenz und Immanenz entgegenkam, so war er
überzeugt, der Deutschkatholicismus sei die volle Erfüllung der in der humanen
Philosophie ausgesprochenen Principien. Er hörte, wie auch später zur Zeit
der Revolution, nur auf die Stichwörter, uur auf die Symbole. Namentlich
aber in den freien Gemeinden erkannte er die Grundlage des neuen Staats,
wie sie ihm Fröbel vorgeträumt hatte. Die Gemeinde sollte in demselben Local
ihre Erbaunugsstuuden halten, die von ihr selbst gedichteten Stücke aufführen,
die gleichfalls von der Gemeinde verfertigten plastischen Kunstwerke aufstellen,
über ihre politischen Angelegenheiten debattircn u. s. w. Es war das eine Ge¬
dankenlosigkeit, die eigentlich dadurch nicht besonders gebessert wird, daß man sie
als eine unschädliche bezeichnen muß. An sich war das beständige Hervorheben
von der Nothwendigkeit eines neuen Glaubens, einer neuen purificirter, auf
menschliche Verhältnisse zurückgeführten Religion, namentlich im Gegensatz zu den
Sophisten, welche die Gesinnungslosigkeit und den Unglauben als das erste Er-
forderniß eines freien Menschen aufstellten, vollkommen berechtigt; es war
theoretisch zu billige», wenn man nnr an dem Grundsatz festgehalten hätte, daß
der Glaube erst da anfangen darf, wo das Wissen aufhört, daß er sich also nie
auf speculative oder empirische Wahrheiten, sondern nnr ans sittliche beziehen
kann; es war zu billigen, in sofern die ethischen Ueberzeugungen, wenn man
sie auch mit Hilfe der Reflexion und des Zweifels begründet, erweitert u. f. w.,
doch endlich zu einem Abschluß im Geist, zu einem Ruhepunkt kommen müssen,
möge man diesen Gesinnung, oder Grundsatz oder Religion nennen, wenn über¬
haupt vou einem sittlichen Charakter, einem sittlichen Handeln die Rede sein soll;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/183>, abgerufen am 02.07.2024.