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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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gewann die Ueberzeugung, daß anch in dem Styl der Humanismus, d. h. die
Eleganz, das allem maßgebende Princip sein dürfe. Eigentlich war ihm die
philosophische Sprache immer nnr etwas Aeußerliches gewesen, und seine Neigung
zu Antithesen, zu Pointen, zu überraschenden Parallelen n. s. w. fand er in der
Französischen Sprache in vollem Maße wieder. Die gesammte Französische Lite¬
ratur, so äußerst wenig er auch von ihr kannte, wurde ihm ein Ideal, und er
fühlte die größte Neigung, auch den Urtheilen Voltaire'S über die Shakespeare'-
sche Barbarei beizupflichten, welchen Letzten er nie besonders geliebt hatte.

Diese Vergötterung des Französischen Wesens war eben so eine Ungerechtig¬
keit gegen die Sache der Freiheit und der Vernunft, die er so unfrei war, in
den Franzosen verkörpert zu sehen, wie gegen das Französische Volk, dessen
glänzende Individualität mit seinen große" Leidenschaften und seiner tragischen
Schuld er zu einer wesenlosen Tendenzfignr, zu dem schattenhaften Träger einer
abstracten Idee herabsetzte.") Die Franzosen würden das auch sehr wohl erkannt
haben, wenn sie etwas mehr von ihm gewußt hätten, als die ganz allgemeinen
Ansichten.

Ruge war mit seinen Deutschfrauzösischen Jahrbüchern ans die Theilnahme
der Communisten eingeschränkt, Marx, Heß n. s. in., die in ihrer gekniffenen
Dialektik viel Nehnlichkeit mit der Bäuerischen Schule hatten. Das Band konnte
nur ein äußerliches sein, und darum dauerten die Jahrbücher nicht über das erste
Heft fort, denn der Communismus war dem wohlhabenden Bourgeois außer allem
Spaß. Es erfolgte ein vollständiger Bruch, und als Ruge über die Schweiz
nach Deutschland zurückkehrte, war er im Gründe seines Herzens reactionairer
gesinnt, als zu der Zeit, wo er es verlassen hatte.

Er etablirte in Leipzig die Fröbel'sche Buchhandlung, deren Compagnon er
geworden war, und die sich in Zürich nicht langer halten konnte, weil Fröbel zu
unstät und unruhig war, um bei einer Sache, die Ernst "ut Hingebung erfordert,
lange auszudauern. Diese praktische Beschäftigung wäre für Rüge sehr segens¬
reich gewesen, wenn nicht auch ihn seine Unruhe und sein Leichtsinn bald zu den
übereiltesten Speculationen verleitet, bald zu einem eben so übereilten Aufgeben
derselben getrieben hätte. Indeß können wir von dieser Seite seiner Thätig¬
keit, die man sich ohnehin zur Genüge vorstellen kann, hier gänzlich schweigen.

Seine literarische "ut politische Stellung war in mancher Beziehung mißlich
geworden. So ziemlich mit allen Vorfechtern des philosophischen Radicalismus von
den verschiedensten Nuancen hatte er gebrochen. Die Epigonen dieser Richtung,
die gerade damals in Leipzig in ziemlicher Menge vereinigt waren, die Julius,
Jordan u. s. w., hatten etwas träumerisch Abgespanntes, das ihm widerstand,
''''''''''



Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an die vortreffliche Antwort, welche unser Freund
Zcitol' Kaufmann zur Zeit der Märztage in den Grenzboten ans einen wunderlichen Angriff
Ruge's ertheilte.

gewann die Ueberzeugung, daß anch in dem Styl der Humanismus, d. h. die
Eleganz, das allem maßgebende Princip sein dürfe. Eigentlich war ihm die
philosophische Sprache immer nnr etwas Aeußerliches gewesen, und seine Neigung
zu Antithesen, zu Pointen, zu überraschenden Parallelen n. s. w. fand er in der
Französischen Sprache in vollem Maße wieder. Die gesammte Französische Lite¬
ratur, so äußerst wenig er auch von ihr kannte, wurde ihm ein Ideal, und er
fühlte die größte Neigung, auch den Urtheilen Voltaire'S über die Shakespeare'-
sche Barbarei beizupflichten, welchen Letzten er nie besonders geliebt hatte.

Diese Vergötterung des Französischen Wesens war eben so eine Ungerechtig¬
keit gegen die Sache der Freiheit und der Vernunft, die er so unfrei war, in
den Franzosen verkörpert zu sehen, wie gegen das Französische Volk, dessen
glänzende Individualität mit seinen große» Leidenschaften und seiner tragischen
Schuld er zu einer wesenlosen Tendenzfignr, zu dem schattenhaften Träger einer
abstracten Idee herabsetzte.") Die Franzosen würden das auch sehr wohl erkannt
haben, wenn sie etwas mehr von ihm gewußt hätten, als die ganz allgemeinen
Ansichten.

Ruge war mit seinen Deutschfrauzösischen Jahrbüchern ans die Theilnahme
der Communisten eingeschränkt, Marx, Heß n. s. in., die in ihrer gekniffenen
Dialektik viel Nehnlichkeit mit der Bäuerischen Schule hatten. Das Band konnte
nur ein äußerliches sein, und darum dauerten die Jahrbücher nicht über das erste
Heft fort, denn der Communismus war dem wohlhabenden Bourgeois außer allem
Spaß. Es erfolgte ein vollständiger Bruch, und als Ruge über die Schweiz
nach Deutschland zurückkehrte, war er im Gründe seines Herzens reactionairer
gesinnt, als zu der Zeit, wo er es verlassen hatte.

Er etablirte in Leipzig die Fröbel'sche Buchhandlung, deren Compagnon er
geworden war, und die sich in Zürich nicht langer halten konnte, weil Fröbel zu
unstät und unruhig war, um bei einer Sache, die Ernst »ut Hingebung erfordert,
lange auszudauern. Diese praktische Beschäftigung wäre für Rüge sehr segens¬
reich gewesen, wenn nicht auch ihn seine Unruhe und sein Leichtsinn bald zu den
übereiltesten Speculationen verleitet, bald zu einem eben so übereilten Aufgeben
derselben getrieben hätte. Indeß können wir von dieser Seite seiner Thätig¬
keit, die man sich ohnehin zur Genüge vorstellen kann, hier gänzlich schweigen.

Seine literarische »ut politische Stellung war in mancher Beziehung mißlich
geworden. So ziemlich mit allen Vorfechtern des philosophischen Radicalismus von
den verschiedensten Nuancen hatte er gebrochen. Die Epigonen dieser Richtung,
die gerade damals in Leipzig in ziemlicher Menge vereinigt waren, die Julius,
Jordan u. s. w., hatten etwas träumerisch Abgespanntes, das ihm widerstand,
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Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an die vortreffliche Antwort, welche unser Freund
Zcitol' Kaufmann zur Zeit der Märztage in den Grenzboten ans einen wunderlichen Angriff
Ruge's ertheilte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/182>, abgerufen am 02.07.2024.