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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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daß es nämlich nicht blos in seiner Erscheinung, sondern auch in seinem Wesen
ein niederträchtiges sei. Es war das ein Gefühlsausbruch, den Bauer ganz
richtig dadurch erläuterte: "Weil sich Deutschland nicht in Ruge's Sinn ent¬
wickelte, so sah er für Deutschland keine andere Entwickelung, als die PostPferde,
die ihn über die Französische Grenze führten." Außerdem waren den Deutschen
schon häufig, auch von Paris aus, z. B> von Heine und Börne, ähnliche Schmei¬
cheleien gesagt worden, allein diese Ausfälle entschuldigte mau als die Uebereilungen
eines verletzten Herzens, während er bei Rüge durch den Schein philosophischer
Kälte das Ansehen einer prämeditirten, herzlosen Impertinenz annahm. Dieser
Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, daß ein unbedeutendes Subject, Herr
Bernays, eine Masse pöbelhafter Schimpfwörter gegen Deutschland hinzufügte,
und daß Heine und Herwegh mit kindisch - coquetten Gefasel das Ihrige dazu
thaten. Uebrigens hätte man auch das allmählich vergessen, aber Ruge suchte
nach seiner gewöhnlichen Manier die Grobheit vor dem philosophischen Publi-
cum dadurch zu legitimiren, daß er das ursprünglich empirische Urtheil in ein
logisches verwandelte. Theils sollte das niederträchtige Deutschland mir die
Deutschnationale Partei bedeuten, eine Partei, die Ruge erfunden hatte, und mit
der er seine alten Burschenschafter meinte, die Antihegelianisch und Antifranzöfisch
waren. Die Pointe lautete nun: Der Patriotismus ist ein Feind der Freiheit.
Wenn er unter Patriotismus die ausschließliche Berücksichtigung der Nationalität
verstand, welche ohne staatliche Basis nothwendig zu Phantastereien führt und zu
einer romantischen Vorliebe für cnltnrseindliche Eigenthümlichkeiten verleitet, so war
an sich gegen diesen Satz nicht viel einzuwenden; aber einmal war es die Aus¬
gabe des Publicisten, ihn durch verständige Anwendung ans concrete Fälle frucht¬
bar zu macheu, währeud Ruge sich damit begnügte, ihn mit blindem Dogmatis¬
mus fortwährend zu wiederholen und seine Gegner durch schlechte und gute Witze,
oder durch Hochverrathsauklagen abzufertigen; sodann mußte es mit Recht em¬
pören, die viel auffallendere Engherzigkeit des Frauzöstscheu Patriotismus vou
dieser Beschuldigung ausgenommen zu sehen. Kein Franzose hat an den Deutsch¬
französischen Jahrbüchern Theil genommen, so sehr sich Ruge auch in den republika¬
nischen und socialistischen Kreisen, mit denen er in Berührung kam, darum bemühte.
Man sah Ruge als ein auffallendes Exemplar der wunderlichen Deutschen an,
von denen man seit der Zeit der Frau vou Staöl die mystischsten Vorstellungen
hegte. Weil aber die Redacteure des National, der Kvkormö, der vvmoei'irl.lo
MoilUius und Andere in persönlich gute Verhältnisse zu ihm traten, und sich von
ihm über Deutsches Wesen belehren ließen, so war er fest davon überzeugt, eine
große Deutschfranzösische Partei gegründet zu haben, in deren Händen die Zu¬
kunft liege. Am Auffallendsten war der Einfluß, den die Französische Sprach-
"ut Denkweise ans ihn ausübte. Er lernte, wie Heine sich ausdrückte, in Paris
Deutsch schreiben, er entledigte sich der Gothischen Formen der Schulsprache, und


daß es nämlich nicht blos in seiner Erscheinung, sondern auch in seinem Wesen
ein niederträchtiges sei. Es war das ein Gefühlsausbruch, den Bauer ganz
richtig dadurch erläuterte: „Weil sich Deutschland nicht in Ruge's Sinn ent¬
wickelte, so sah er für Deutschland keine andere Entwickelung, als die PostPferde,
die ihn über die Französische Grenze führten." Außerdem waren den Deutschen
schon häufig, auch von Paris aus, z. B> von Heine und Börne, ähnliche Schmei¬
cheleien gesagt worden, allein diese Ausfälle entschuldigte mau als die Uebereilungen
eines verletzten Herzens, während er bei Rüge durch den Schein philosophischer
Kälte das Ansehen einer prämeditirten, herzlosen Impertinenz annahm. Dieser
Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, daß ein unbedeutendes Subject, Herr
Bernays, eine Masse pöbelhafter Schimpfwörter gegen Deutschland hinzufügte,
und daß Heine und Herwegh mit kindisch - coquetten Gefasel das Ihrige dazu
thaten. Uebrigens hätte man auch das allmählich vergessen, aber Ruge suchte
nach seiner gewöhnlichen Manier die Grobheit vor dem philosophischen Publi-
cum dadurch zu legitimiren, daß er das ursprünglich empirische Urtheil in ein
logisches verwandelte. Theils sollte das niederträchtige Deutschland mir die
Deutschnationale Partei bedeuten, eine Partei, die Ruge erfunden hatte, und mit
der er seine alten Burschenschafter meinte, die Antihegelianisch und Antifranzöfisch
waren. Die Pointe lautete nun: Der Patriotismus ist ein Feind der Freiheit.
Wenn er unter Patriotismus die ausschließliche Berücksichtigung der Nationalität
verstand, welche ohne staatliche Basis nothwendig zu Phantastereien führt und zu
einer romantischen Vorliebe für cnltnrseindliche Eigenthümlichkeiten verleitet, so war
an sich gegen diesen Satz nicht viel einzuwenden; aber einmal war es die Aus¬
gabe des Publicisten, ihn durch verständige Anwendung ans concrete Fälle frucht¬
bar zu macheu, währeud Ruge sich damit begnügte, ihn mit blindem Dogmatis¬
mus fortwährend zu wiederholen und seine Gegner durch schlechte und gute Witze,
oder durch Hochverrathsauklagen abzufertigen; sodann mußte es mit Recht em¬
pören, die viel auffallendere Engherzigkeit des Frauzöstscheu Patriotismus vou
dieser Beschuldigung ausgenommen zu sehen. Kein Franzose hat an den Deutsch¬
französischen Jahrbüchern Theil genommen, so sehr sich Ruge auch in den republika¬
nischen und socialistischen Kreisen, mit denen er in Berührung kam, darum bemühte.
Man sah Ruge als ein auffallendes Exemplar der wunderlichen Deutschen an,
von denen man seit der Zeit der Frau vou Staöl die mystischsten Vorstellungen
hegte. Weil aber die Redacteure des National, der Kvkormö, der vvmoei'irl.lo
MoilUius und Andere in persönlich gute Verhältnisse zu ihm traten, und sich von
ihm über Deutsches Wesen belehren ließen, so war er fest davon überzeugt, eine
große Deutschfranzösische Partei gegründet zu haben, in deren Händen die Zu¬
kunft liege. Am Auffallendsten war der Einfluß, den die Französische Sprach-
»ut Denkweise ans ihn ausübte. Er lernte, wie Heine sich ausdrückte, in Paris
Deutsch schreiben, er entledigte sich der Gothischen Formen der Schulsprache, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/181>, abgerufen am 02.07.2024.