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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Wachsmuth beschützte, die Verwerfung der Judenemancipation, weil er einen na¬
türlichen Widerwillen gegen das jüdische Wesen hatte u. s. w. Als nnn aber
auch die Vorkämpfer des entschiedenen Liberalismus, z. B. Jacobi, als ver¬
brauchte Philister bei Seite geworfen werden sollten, da empörte er sich, und eS
erfolgte ein Bruch mit den Berlinern. Er schrieb noch zuletzt ein Manifest zu
Anfang des Jahres 18i3, worin er die Demokratie als die leitende Idee der
neuen Zeit darstellte, dann erfolgte das Verbot der Jahrbücher.

In mancher Beziehung war dieses Verbot ein Glück sür den Radikalismus.
Er hatte sich ausgeschrieben, er konnte nichts Neues mehr geben. Die leiden-
schaftlichen und in der Regel ziemlich groben Angriffe gegen Staat und Kirche wurden
ihm gestrichen, und wir müssen hinzusetzen, daß ihre abgesonderte Ausgabe in der
Schweiz uns zeigt, daß für die Philosophie nicht viel daran verloren war; und
was übrig blieb, zehrte kümmerlich von der damaligen Begeisterung für Herwegh
und die übrigen politischen Lyriker. Die Jahrbücher konnten jetzt mit dem Be¬
wußtsein des Martyriums von der Bühne abtreten. Die Sächsische Kammer ließ
sie fallen, und Rüge verließ Deutschland, um sich zuerst nach der Schweiz, dann
nach Paris zu begeben.

Aus dem letzten demokratischen Manifest darf man keineswegs schließen, daß
Rüge ein Demokrat im heutigen Sinne des Worts gewesen sei. Sein Radica-
lismus erstreckte sich nie ans das Privatrecht, er war immer ,ein boni'xeois im
vollsten Sinne des Worts. In Halle ging er mit dem Bewußtsein eines Pfar-
rers umher (Miteigeuthümcrs von Salinen), und äußerte mit einem gewissen
Behagen, Attisches Salz könne man ihm absprechen, aber sein Hallisches Salz
könne man ihm nicht nehmen. In Dresden nahm er eifrig Theil an den Coin-
munalaugelegenhciteu, und was seinen Umgang betrifft, so hatte er eine entschie¬
dene Abneigung gegen Demokraten von echtem Schrot und Korn. Auch sein
Aufenthalt in der Schweiz änderte diese Stellung nicht wesentlich. Er hatte sich
mit Julius Fröbel in eine buchhäudlcrische Speculation eingelassen, die ihm den
Ernst privatrechtlicher Verhälnisse unmittelbarer vor die Augen rückte. Der Um¬
gang mit Fröbel, einer weichen, träumerischen Natur, mit Herwegh und Freilig-
rath konnte ihm keinen wesentlich neuen Inhalt geben. Er beschäftigte sich ledi¬
glich damit, seinen Humanismiis immer eleganter zu redigiren. Dagegen machte der
Aufenthalt in Paris eiuen großen Eindruck ans ihn. Um in seiner principiellen
Entwickelung keine Lücke zu lassen, wollte er jetzt ans der Idee des Deutschthums
in die Idee des Weltbürgerthums übertreten, wie er früher das Preußenthum
zu Gunsten des Deutschthums aufgegeben hatte. Er gab die "Dentschfranzösischen
Jahrbücher" heraus, welche die Brücke zur Einigung dieser beiden Culturvölker
auf dem Boden der Demokratie bilden sollten. Diese Jahrbücher erregten mit
Recht in Deutschland eine ziemlich allgemeine Entrüstung. Dem Anschein nach
bezog sich dieselbe ans einen Anodruck, den Ruge vom Deutschen Volk gebrauchte,


Wachsmuth beschützte, die Verwerfung der Judenemancipation, weil er einen na¬
türlichen Widerwillen gegen das jüdische Wesen hatte u. s. w. Als nnn aber
auch die Vorkämpfer des entschiedenen Liberalismus, z. B. Jacobi, als ver¬
brauchte Philister bei Seite geworfen werden sollten, da empörte er sich, und eS
erfolgte ein Bruch mit den Berlinern. Er schrieb noch zuletzt ein Manifest zu
Anfang des Jahres 18i3, worin er die Demokratie als die leitende Idee der
neuen Zeit darstellte, dann erfolgte das Verbot der Jahrbücher.

In mancher Beziehung war dieses Verbot ein Glück sür den Radikalismus.
Er hatte sich ausgeschrieben, er konnte nichts Neues mehr geben. Die leiden-
schaftlichen und in der Regel ziemlich groben Angriffe gegen Staat und Kirche wurden
ihm gestrichen, und wir müssen hinzusetzen, daß ihre abgesonderte Ausgabe in der
Schweiz uns zeigt, daß für die Philosophie nicht viel daran verloren war; und
was übrig blieb, zehrte kümmerlich von der damaligen Begeisterung für Herwegh
und die übrigen politischen Lyriker. Die Jahrbücher konnten jetzt mit dem Be¬
wußtsein des Martyriums von der Bühne abtreten. Die Sächsische Kammer ließ
sie fallen, und Rüge verließ Deutschland, um sich zuerst nach der Schweiz, dann
nach Paris zu begeben.

Aus dem letzten demokratischen Manifest darf man keineswegs schließen, daß
Rüge ein Demokrat im heutigen Sinne des Worts gewesen sei. Sein Radica-
lismus erstreckte sich nie ans das Privatrecht, er war immer ,ein boni'xeois im
vollsten Sinne des Worts. In Halle ging er mit dem Bewußtsein eines Pfar-
rers umher (Miteigeuthümcrs von Salinen), und äußerte mit einem gewissen
Behagen, Attisches Salz könne man ihm absprechen, aber sein Hallisches Salz
könne man ihm nicht nehmen. In Dresden nahm er eifrig Theil an den Coin-
munalaugelegenhciteu, und was seinen Umgang betrifft, so hatte er eine entschie¬
dene Abneigung gegen Demokraten von echtem Schrot und Korn. Auch sein
Aufenthalt in der Schweiz änderte diese Stellung nicht wesentlich. Er hatte sich
mit Julius Fröbel in eine buchhäudlcrische Speculation eingelassen, die ihm den
Ernst privatrechtlicher Verhälnisse unmittelbarer vor die Augen rückte. Der Um¬
gang mit Fröbel, einer weichen, träumerischen Natur, mit Herwegh und Freilig-
rath konnte ihm keinen wesentlich neuen Inhalt geben. Er beschäftigte sich ledi¬
glich damit, seinen Humanismiis immer eleganter zu redigiren. Dagegen machte der
Aufenthalt in Paris eiuen großen Eindruck ans ihn. Um in seiner principiellen
Entwickelung keine Lücke zu lassen, wollte er jetzt ans der Idee des Deutschthums
in die Idee des Weltbürgerthums übertreten, wie er früher das Preußenthum
zu Gunsten des Deutschthums aufgegeben hatte. Er gab die „Dentschfranzösischen
Jahrbücher" heraus, welche die Brücke zur Einigung dieser beiden Culturvölker
auf dem Boden der Demokratie bilden sollten. Diese Jahrbücher erregten mit
Recht in Deutschland eine ziemlich allgemeine Entrüstung. Dem Anschein nach
bezog sich dieselbe ans einen Anodruck, den Ruge vom Deutschen Volk gebrauchte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/180>, abgerufen am 02.07.2024.