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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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vollständig in das Gebiet der Romantik verlegt wurde. Romantik und Christen¬
thum wurden jetzt identificirt. -- Die eigentlich schöpferische Thätigkeit in diesen
eilfertigen Fortschritten gehört nicht Rüge an. Es war zuerst Ludwig Feuerbach,
dann Bruno Bauer, die durch ihre brillanten Einfälle den Jahrbüchern die neue
Richtung gaben. Feuerbach hatte durch seinen ersten Aussatz in den Jahrbüchern,
über das Verhältniß der Religionsphilosophie zur Theologie, eiuen wirklich prin¬
cipiellen Fortschritt in der Hegel'schen Schule veranlaßt, nämlich die Erkenntniß,
daß der angeblich nur formale Unterschied zwischen den philosophischen Begriffen
von Gott nud den theologischen Vorstellungen von Gott auch ein materieller sei.
Leider ist er über diesen Gedanken nicht hinausgegangen. Seine weitere Thätig¬
keit hat sich immer darauf beschränkt, einmal zu zeigen, daß sämmtliche Dogmen
des Christenthums nnr darin beständen, die positive" Eigenschaften der Mensch¬
heit auf das eingebildete Wesen Gottes zu übertrage", sodann, daß durch diese
Uebertragung der Mensch einen unendlichen Verlust erlitten habe, da er, um sich
von Gott zu unterscheide", sich als das Gegeiithcil aller seiner positiven Eigen-
schaften, d. h. als eine" armen Su"der betrachten mußte. Dieser bis zu einem
gewissen Grad richtige Gedanke, der nnr, wie alle ähnlichen in der Hegel'schen
Philosophie, an dem Maugel litt, daß man das Bewußtsein des Menschen von
seinem Wesen, oder, wie wir nus ausdrücken würden, von seinem Ideal, nicht
nach den verschiedenen Zeiten sonderte, wobei anch in der christlichen Entwickelung
die wesentlichsten Unterschiede sich herausgestellt haben würden, wurde im eigent¬
lichsten Sinne des Worts zu Tode gehetzt. Ohne Ruge wäre Feuerbach nie zu
dieser Geltung gekommen, deren er sich jetzt bei der Deutschen Jugend erfreut.
In Feuerbach war immer ein großer Fonds von sinniger beschaulicher Mystik,
die mit dem schroffen, rationalistischen Grundprincip nicht recht im Einklang
stand. Rüge dagegen verstand es, diese mystischen Elemente fallen zu lassen und
die Hauptsätze der neuen Lehre, die mau, weil die Idee der Menschheit an die
Stelle Gottes trat, Humanismus nannte, in leicht übersichtlichen und eindring¬
lichen Pointen dem Gedächtniß einzuschärfen. Darin bestand überhaupt sein
Talent. Er fand schnell die Pointe und wußte sie übersichtlich zu redigiren.

Noch einen großem Einfluß auf die Jahrbücher erwarb sich Bruno Bauer.
Feuerbach's Wesen war bald erschöpft, aber Bauer's leicht bewegliche Natur war
unermüdlich, immer neue Schalen von sich abzustreifen, immer neue Voraus-
setzungen in das Gebiet der Romantik zu verweise". Man kaun sagen, daß ihm
Ruge halb mit Frende, halb mit Schrecken folgte. Die Pointen blendeten ihn,
aber er hatte einen zu großen Fonds von natürlichem Gefühl und gesundem
Menschenverstand, um nicht über diese Manier, jede Sache von einem einzelnen,
wenn auch angeblich principiellen Gesichtspunkt anzusehen, einiges Bedenken zu
empfinden. Er machte viele von den Wendungen mit, z. B. das Ausgeben des
constitutionellen Staats , weil ihn dieser nicht vor den Censorstricheu des Professor


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vollständig in das Gebiet der Romantik verlegt wurde. Romantik und Christen¬
thum wurden jetzt identificirt. — Die eigentlich schöpferische Thätigkeit in diesen
eilfertigen Fortschritten gehört nicht Rüge an. Es war zuerst Ludwig Feuerbach,
dann Bruno Bauer, die durch ihre brillanten Einfälle den Jahrbüchern die neue
Richtung gaben. Feuerbach hatte durch seinen ersten Aussatz in den Jahrbüchern,
über das Verhältniß der Religionsphilosophie zur Theologie, eiuen wirklich prin¬
cipiellen Fortschritt in der Hegel'schen Schule veranlaßt, nämlich die Erkenntniß,
daß der angeblich nur formale Unterschied zwischen den philosophischen Begriffen
von Gott nud den theologischen Vorstellungen von Gott auch ein materieller sei.
Leider ist er über diesen Gedanken nicht hinausgegangen. Seine weitere Thätig¬
keit hat sich immer darauf beschränkt, einmal zu zeigen, daß sämmtliche Dogmen
des Christenthums nnr darin beständen, die positive» Eigenschaften der Mensch¬
heit auf das eingebildete Wesen Gottes zu übertrage», sodann, daß durch diese
Uebertragung der Mensch einen unendlichen Verlust erlitten habe, da er, um sich
von Gott zu unterscheide», sich als das Gegeiithcil aller seiner positiven Eigen-
schaften, d. h. als eine» armen Su»der betrachten mußte. Dieser bis zu einem
gewissen Grad richtige Gedanke, der nnr, wie alle ähnlichen in der Hegel'schen
Philosophie, an dem Maugel litt, daß man das Bewußtsein des Menschen von
seinem Wesen, oder, wie wir nus ausdrücken würden, von seinem Ideal, nicht
nach den verschiedenen Zeiten sonderte, wobei anch in der christlichen Entwickelung
die wesentlichsten Unterschiede sich herausgestellt haben würden, wurde im eigent¬
lichsten Sinne des Worts zu Tode gehetzt. Ohne Ruge wäre Feuerbach nie zu
dieser Geltung gekommen, deren er sich jetzt bei der Deutschen Jugend erfreut.
In Feuerbach war immer ein großer Fonds von sinniger beschaulicher Mystik,
die mit dem schroffen, rationalistischen Grundprincip nicht recht im Einklang
stand. Rüge dagegen verstand es, diese mystischen Elemente fallen zu lassen und
die Hauptsätze der neuen Lehre, die mau, weil die Idee der Menschheit an die
Stelle Gottes trat, Humanismus nannte, in leicht übersichtlichen und eindring¬
lichen Pointen dem Gedächtniß einzuschärfen. Darin bestand überhaupt sein
Talent. Er fand schnell die Pointe und wußte sie übersichtlich zu redigiren.

Noch einen großem Einfluß auf die Jahrbücher erwarb sich Bruno Bauer.
Feuerbach's Wesen war bald erschöpft, aber Bauer's leicht bewegliche Natur war
unermüdlich, immer neue Schalen von sich abzustreifen, immer neue Voraus-
setzungen in das Gebiet der Romantik zu verweise». Man kaun sagen, daß ihm
Ruge halb mit Frende, halb mit Schrecken folgte. Die Pointen blendeten ihn,
aber er hatte einen zu großen Fonds von natürlichem Gefühl und gesundem
Menschenverstand, um nicht über diese Manier, jede Sache von einem einzelnen,
wenn auch angeblich principiellen Gesichtspunkt anzusehen, einiges Bedenken zu
empfinden. Er machte viele von den Wendungen mit, z. B. das Ausgeben des
constitutionellen Staats , weil ihn dieser nicht vor den Censorstricheu des Professor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/179>, abgerufen am 02.07.2024.