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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Jahrbücher einschlugen sich dieser Gemüthlichkeit, und adoptirtcn den Protestantis¬
mus mit seinen Consequenzen, adoptirten den absoluten Staat, der alle Functionen
des öffentlichen Geistes in sich vereinigen sollte, gegen die Idee der Trennung
der Gewalten, gegen die Idee des Particulaircn und Naturwüchsigen, und
weil der Preußische Staat zuerst in einen principiellen Conflict mit der Reaction ge¬
kommen war, so stellte man die Idee des Preußischen Staats als diejenige auf,
in welcher der Protestantismus und die Aufklärung ihren wahren Ausdruck finden
müßten, und machte für Preuße" in Deutschland Propaganda. Der wirkliche
Staat stand dem idealisirteu Liberalismus näher, als das träumerisch unbestimmte
Vaterland der Burschenschafter, Friedrich der Große näher, als Klopstock, Luther
näher, als die Hohenstaufen. Ich muß dabei bemerken, daß diese Deduction
wesentlich durch die Mitwirkung des Gefühls unterstützt wurde. Ueberhaupt mag
man gegen das specifische Preußenthum einwenden, so viel man will, die Macht,
die es auch auf den Geist solcher Männer, die von Preußen verfolgt wurden,
ausübt, ist deutlich genug, um es in seiner historischen Berechtigung zu legitimiren.

Im Uebrigen wäre" die Jahrbücher in jener Zeit noch immer sehr gemäßigt.
Von Radicalismus war noch keine Rede, überhaupt kaum von eiuer durchgreifen¬
den Richtung. Die Hauptmitarbeiter waren die Tübinger, Strauß, Bischer,
Schwegler u. s. w., ferner Rosenkranz, kurz das später sogenannte rechte und
linke Centrum der Schule. Der Charakter der Zeitschrift war im Wesentlichen
literarisch, aber es war in vielen dieser Aufsätze eine jugendliche Frische, die mit
Recht die Deutsche Jugend mit sich fortriß. Vielleicht der interessanteste Aufsatz
dieser Periode ist der vou Rüge: Der Protestantismus und die Romantik. Das
Material dazu hatte Echtermeyer geliefert, der überhaupt in kleinen Beobachtun¬
gen unerschöpflich war; die Redaction gehört Ruge allein an. Hier wurde zum
ersten Male eine literarische Richtung, gegen die man bisher gerade von Seite
der Geistreichen und Gebildeten übermäßig tolerant gewesen war, im Zusammen¬
hange als eine bewußte und verwerfliche Reaction gegen den Geist der Freiheit
und Aufklärung aufgefaßt, deu man damals noch mit dem Protestantismus iden-
tificirte. Der Zweck des Aufsatzes ging keineswegs dahin, die Schule erschöpfend
zu charakterisiren, denu dazu fehlten einmal Rüge die Kenntnisse, und dann hätte
man, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, etwas Positives in ihr finden müssen;
der Zweck lag vielmehr darin, in schlagenden Pointen ihre Verkehrtheit nachzu¬
weisen und zu verspotten. Ein sehr verdienstliches Unternehmen, wenn man in
Anschlag bringt, daß der Aussatz eine rein polemische Tendenz hatte. Später hat
Rüge diese Charakteristiken umgearbeitet und sie als eine Art Literaturgeschichte
zusammengestellt. In dieser Form nehmen sie sich viel schlechter aus, denn zu
einer Geschichte gehört Vollständigkeit, was bei der Polemik nicht erforderlich ist.
Ich bemerke dabei, daß schon in diesem Aussatz sich ein wesentlicher Fortschritt
im "Princip" findet. Ungefähr ein Jahr vorher hatten die Jahrbücher einen


Grenzboten. IU. 22

Jahrbücher einschlugen sich dieser Gemüthlichkeit, und adoptirtcn den Protestantis¬
mus mit seinen Consequenzen, adoptirten den absoluten Staat, der alle Functionen
des öffentlichen Geistes in sich vereinigen sollte, gegen die Idee der Trennung
der Gewalten, gegen die Idee des Particulaircn und Naturwüchsigen, und
weil der Preußische Staat zuerst in einen principiellen Conflict mit der Reaction ge¬
kommen war, so stellte man die Idee des Preußischen Staats als diejenige auf,
in welcher der Protestantismus und die Aufklärung ihren wahren Ausdruck finden
müßten, und machte für Preuße» in Deutschland Propaganda. Der wirkliche
Staat stand dem idealisirteu Liberalismus näher, als das träumerisch unbestimmte
Vaterland der Burschenschafter, Friedrich der Große näher, als Klopstock, Luther
näher, als die Hohenstaufen. Ich muß dabei bemerken, daß diese Deduction
wesentlich durch die Mitwirkung des Gefühls unterstützt wurde. Ueberhaupt mag
man gegen das specifische Preußenthum einwenden, so viel man will, die Macht,
die es auch auf den Geist solcher Männer, die von Preußen verfolgt wurden,
ausübt, ist deutlich genug, um es in seiner historischen Berechtigung zu legitimiren.

Im Uebrigen wäre» die Jahrbücher in jener Zeit noch immer sehr gemäßigt.
Von Radicalismus war noch keine Rede, überhaupt kaum von eiuer durchgreifen¬
den Richtung. Die Hauptmitarbeiter waren die Tübinger, Strauß, Bischer,
Schwegler u. s. w., ferner Rosenkranz, kurz das später sogenannte rechte und
linke Centrum der Schule. Der Charakter der Zeitschrift war im Wesentlichen
literarisch, aber es war in vielen dieser Aufsätze eine jugendliche Frische, die mit
Recht die Deutsche Jugend mit sich fortriß. Vielleicht der interessanteste Aufsatz
dieser Periode ist der vou Rüge: Der Protestantismus und die Romantik. Das
Material dazu hatte Echtermeyer geliefert, der überhaupt in kleinen Beobachtun¬
gen unerschöpflich war; die Redaction gehört Ruge allein an. Hier wurde zum
ersten Male eine literarische Richtung, gegen die man bisher gerade von Seite
der Geistreichen und Gebildeten übermäßig tolerant gewesen war, im Zusammen¬
hange als eine bewußte und verwerfliche Reaction gegen den Geist der Freiheit
und Aufklärung aufgefaßt, deu man damals noch mit dem Protestantismus iden-
tificirte. Der Zweck des Aufsatzes ging keineswegs dahin, die Schule erschöpfend
zu charakterisiren, denu dazu fehlten einmal Rüge die Kenntnisse, und dann hätte
man, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, etwas Positives in ihr finden müssen;
der Zweck lag vielmehr darin, in schlagenden Pointen ihre Verkehrtheit nachzu¬
weisen und zu verspotten. Ein sehr verdienstliches Unternehmen, wenn man in
Anschlag bringt, daß der Aussatz eine rein polemische Tendenz hatte. Später hat
Rüge diese Charakteristiken umgearbeitet und sie als eine Art Literaturgeschichte
zusammengestellt. In dieser Form nehmen sie sich viel schlechter aus, denn zu
einer Geschichte gehört Vollständigkeit, was bei der Polemik nicht erforderlich ist.
Ich bemerke dabei, daß schon in diesem Aussatz sich ein wesentlicher Fortschritt
im „Princip" findet. Ungefähr ein Jahr vorher hatten die Jahrbücher einen


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[0177] Jahrbücher einschlugen sich dieser Gemüthlichkeit, und adoptirtcn den Protestantis¬ mus mit seinen Consequenzen, adoptirten den absoluten Staat, der alle Functionen des öffentlichen Geistes in sich vereinigen sollte, gegen die Idee der Trennung der Gewalten, gegen die Idee des Particulaircn und Naturwüchsigen, und weil der Preußische Staat zuerst in einen principiellen Conflict mit der Reaction ge¬ kommen war, so stellte man die Idee des Preußischen Staats als diejenige auf, in welcher der Protestantismus und die Aufklärung ihren wahren Ausdruck finden müßten, und machte für Preuße» in Deutschland Propaganda. Der wirkliche Staat stand dem idealisirteu Liberalismus näher, als das träumerisch unbestimmte Vaterland der Burschenschafter, Friedrich der Große näher, als Klopstock, Luther näher, als die Hohenstaufen. Ich muß dabei bemerken, daß diese Deduction wesentlich durch die Mitwirkung des Gefühls unterstützt wurde. Ueberhaupt mag man gegen das specifische Preußenthum einwenden, so viel man will, die Macht, die es auch auf den Geist solcher Männer, die von Preußen verfolgt wurden, ausübt, ist deutlich genug, um es in seiner historischen Berechtigung zu legitimiren. Im Uebrigen wäre» die Jahrbücher in jener Zeit noch immer sehr gemäßigt. Von Radicalismus war noch keine Rede, überhaupt kaum von eiuer durchgreifen¬ den Richtung. Die Hauptmitarbeiter waren die Tübinger, Strauß, Bischer, Schwegler u. s. w., ferner Rosenkranz, kurz das später sogenannte rechte und linke Centrum der Schule. Der Charakter der Zeitschrift war im Wesentlichen literarisch, aber es war in vielen dieser Aufsätze eine jugendliche Frische, die mit Recht die Deutsche Jugend mit sich fortriß. Vielleicht der interessanteste Aufsatz dieser Periode ist der vou Rüge: Der Protestantismus und die Romantik. Das Material dazu hatte Echtermeyer geliefert, der überhaupt in kleinen Beobachtun¬ gen unerschöpflich war; die Redaction gehört Ruge allein an. Hier wurde zum ersten Male eine literarische Richtung, gegen die man bisher gerade von Seite der Geistreichen und Gebildeten übermäßig tolerant gewesen war, im Zusammen¬ hange als eine bewußte und verwerfliche Reaction gegen den Geist der Freiheit und Aufklärung aufgefaßt, deu man damals noch mit dem Protestantismus iden- tificirte. Der Zweck des Aufsatzes ging keineswegs dahin, die Schule erschöpfend zu charakterisiren, denu dazu fehlten einmal Rüge die Kenntnisse, und dann hätte man, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, etwas Positives in ihr finden müssen; der Zweck lag vielmehr darin, in schlagenden Pointen ihre Verkehrtheit nachzu¬ weisen und zu verspotten. Ein sehr verdienstliches Unternehmen, wenn man in Anschlag bringt, daß der Aussatz eine rein polemische Tendenz hatte. Später hat Rüge diese Charakteristiken umgearbeitet und sie als eine Art Literaturgeschichte zusammengestellt. In dieser Form nehmen sie sich viel schlechter aus, denn zu einer Geschichte gehört Vollständigkeit, was bei der Polemik nicht erforderlich ist. Ich bemerke dabei, daß schon in diesem Aussatz sich ein wesentlicher Fortschritt im „Princip" findet. Ungefähr ein Jahr vorher hatten die Jahrbücher einen Grenzboten. IU. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/177>, abgerufen am 02.07.2024.