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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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sich auf den ganzen Organismus des Französischen Staats und ans die politische
und religiöse Bildung, aus welcher derselbe hervorgegangen war. Denn Napoleon
war ein Kind der Revolution, die Revolution war durch die Aufklärung vermit¬
telt. Der burschenschastliche Geist wirkte also demagogisch gegen die politische
Aufklärung, welche wenigstens bis zu einem, gewissen Grade auch noch in den
restaurirten Staaten sich erhielt, und wäre gern zu der Rohheit der Rousseau'schen
Naturzustände zurückgekehrt, um nur den Uebeln der centralisirendcn Universal-
monarchie und des aufgeklärten Despotismus zu entfliehen.

Zwar muß mau hier verschiedene Grade der Reaction unterscheiden. Ein
guter Theil der Burschenschafter blieb im Wesentlichen dem Nationalismus treu,
wenn sie auch mit ihren Klopstockscher Oden, ihrer nngeberdigen Tnrnerei und
ihrer patriotischen Hochbrnst etwas zu redselig umgingen. Andere dagegen gin¬
gen in ihren Consequenzen weiter; sie gruben den Wurzeln der Aufklärung nach,
und eine schülerhafte Geschichtskeuutniß fand sie sehr bald in der Reformation;
denn da die Aufklärung dem Glauben entgegengesetzt war, so fiel die Schuld der
Aufklärung, der Fluch eines doppelten Königsmords, auf das Haupt Desjenigen,
der zuerst den historischen Glauben erschütterte. Der burschenschastliche Geist fiel
in dieser Apologie verschollener Mysterien mit deu Tendenzen der romantischen
Schule zusammen, welche damals die Deutsche Literatur beherrschte. In der
Zeit der Aufklärung hatte man die currenten Empfindungen und die currenten
Begriffe erschöpft. Da man nun immer weiter analysirte, so mußte man sich
endlich aus Mangel an Stoff zu den unbegreiflichsten Begriffen, zu den unaus¬
sprechlichsten Empfindungen wenden. Die Poesie concentrirte sich so intensiv in
das Heiligthum des Gefühls, daß zuletzt nur das Gefühl des Gefühls eines
überschwänglichen Gefühls übrig blieb, ohne Inhalt, ohne Ziel, ohne Veranlas¬
sung. Die Seele summte für sich im Stillen, und wurde taub für die Gewitter¬
schläge der Welt. Eben so löste die Philosophie alle Realität so lange in Ab¬
straktionen aus, bis von einem Unterschied nicht mehr die Rede war. Mau
verstand Gott, die Dreieinigkeit, die Magie, den Somnambulismus, die Gespen¬
ster u. s. w.; je widersprechender dem gesunden Menschenverstand, für desto tieser
galt eine Idee, und es wurde ein Kennzeichen des Genies, anders zu denken
und zu fühlen, als andere Menschen, denn das allgemein Menschliche kann Jeder
fühlen, das Unsagbare nur auserwählte Herze"; das Vernünftige kann Jeder
fassen, das Unvernünftige nur auserwählte Geister. Dieser Cultus der Genialität,
diese Heiligung des Besondern wurde zuerst in einzelnen Paradoxien, dann in
einem vollständigen System vorgetragen und namentlich ans den Staat angewendet,
für den die historische Schule eine ganz neue Form der Organisation erfand, eine
Organisation ohne Mitwirkung des Bewußtseins, die mit geheimnißvoller Noth¬
wendigkeit, wie die Pflanze, sich entfaltet, und durch das vermessene Treiben des
Gedankens nur verwirrt und entstellt werden kann.


sich auf den ganzen Organismus des Französischen Staats und ans die politische
und religiöse Bildung, aus welcher derselbe hervorgegangen war. Denn Napoleon
war ein Kind der Revolution, die Revolution war durch die Aufklärung vermit¬
telt. Der burschenschastliche Geist wirkte also demagogisch gegen die politische
Aufklärung, welche wenigstens bis zu einem, gewissen Grade auch noch in den
restaurirten Staaten sich erhielt, und wäre gern zu der Rohheit der Rousseau'schen
Naturzustände zurückgekehrt, um nur den Uebeln der centralisirendcn Universal-
monarchie und des aufgeklärten Despotismus zu entfliehen.

Zwar muß mau hier verschiedene Grade der Reaction unterscheiden. Ein
guter Theil der Burschenschafter blieb im Wesentlichen dem Nationalismus treu,
wenn sie auch mit ihren Klopstockscher Oden, ihrer nngeberdigen Tnrnerei und
ihrer patriotischen Hochbrnst etwas zu redselig umgingen. Andere dagegen gin¬
gen in ihren Consequenzen weiter; sie gruben den Wurzeln der Aufklärung nach,
und eine schülerhafte Geschichtskeuutniß fand sie sehr bald in der Reformation;
denn da die Aufklärung dem Glauben entgegengesetzt war, so fiel die Schuld der
Aufklärung, der Fluch eines doppelten Königsmords, auf das Haupt Desjenigen,
der zuerst den historischen Glauben erschütterte. Der burschenschastliche Geist fiel
in dieser Apologie verschollener Mysterien mit deu Tendenzen der romantischen
Schule zusammen, welche damals die Deutsche Literatur beherrschte. In der
Zeit der Aufklärung hatte man die currenten Empfindungen und die currenten
Begriffe erschöpft. Da man nun immer weiter analysirte, so mußte man sich
endlich aus Mangel an Stoff zu den unbegreiflichsten Begriffen, zu den unaus¬
sprechlichsten Empfindungen wenden. Die Poesie concentrirte sich so intensiv in
das Heiligthum des Gefühls, daß zuletzt nur das Gefühl des Gefühls eines
überschwänglichen Gefühls übrig blieb, ohne Inhalt, ohne Ziel, ohne Veranlas¬
sung. Die Seele summte für sich im Stillen, und wurde taub für die Gewitter¬
schläge der Welt. Eben so löste die Philosophie alle Realität so lange in Ab¬
straktionen aus, bis von einem Unterschied nicht mehr die Rede war. Mau
verstand Gott, die Dreieinigkeit, die Magie, den Somnambulismus, die Gespen¬
ster u. s. w.; je widersprechender dem gesunden Menschenverstand, für desto tieser
galt eine Idee, und es wurde ein Kennzeichen des Genies, anders zu denken
und zu fühlen, als andere Menschen, denn das allgemein Menschliche kann Jeder
fühlen, das Unsagbare nur auserwählte Herze»; das Vernünftige kann Jeder
fassen, das Unvernünftige nur auserwählte Geister. Dieser Cultus der Genialität,
diese Heiligung des Besondern wurde zuerst in einzelnen Paradoxien, dann in
einem vollständigen System vorgetragen und namentlich ans den Staat angewendet,
für den die historische Schule eine ganz neue Form der Organisation erfand, eine
Organisation ohne Mitwirkung des Bewußtseins, die mit geheimnißvoller Noth¬
wendigkeit, wie die Pflanze, sich entfaltet, und durch das vermessene Treiben des
Gedankens nur verwirrt und entstellt werden kann.


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[0174] sich auf den ganzen Organismus des Französischen Staats und ans die politische und religiöse Bildung, aus welcher derselbe hervorgegangen war. Denn Napoleon war ein Kind der Revolution, die Revolution war durch die Aufklärung vermit¬ telt. Der burschenschastliche Geist wirkte also demagogisch gegen die politische Aufklärung, welche wenigstens bis zu einem, gewissen Grade auch noch in den restaurirten Staaten sich erhielt, und wäre gern zu der Rohheit der Rousseau'schen Naturzustände zurückgekehrt, um nur den Uebeln der centralisirendcn Universal- monarchie und des aufgeklärten Despotismus zu entfliehen. Zwar muß mau hier verschiedene Grade der Reaction unterscheiden. Ein guter Theil der Burschenschafter blieb im Wesentlichen dem Nationalismus treu, wenn sie auch mit ihren Klopstockscher Oden, ihrer nngeberdigen Tnrnerei und ihrer patriotischen Hochbrnst etwas zu redselig umgingen. Andere dagegen gin¬ gen in ihren Consequenzen weiter; sie gruben den Wurzeln der Aufklärung nach, und eine schülerhafte Geschichtskeuutniß fand sie sehr bald in der Reformation; denn da die Aufklärung dem Glauben entgegengesetzt war, so fiel die Schuld der Aufklärung, der Fluch eines doppelten Königsmords, auf das Haupt Desjenigen, der zuerst den historischen Glauben erschütterte. Der burschenschastliche Geist fiel in dieser Apologie verschollener Mysterien mit deu Tendenzen der romantischen Schule zusammen, welche damals die Deutsche Literatur beherrschte. In der Zeit der Aufklärung hatte man die currenten Empfindungen und die currenten Begriffe erschöpft. Da man nun immer weiter analysirte, so mußte man sich endlich aus Mangel an Stoff zu den unbegreiflichsten Begriffen, zu den unaus¬ sprechlichsten Empfindungen wenden. Die Poesie concentrirte sich so intensiv in das Heiligthum des Gefühls, daß zuletzt nur das Gefühl des Gefühls eines überschwänglichen Gefühls übrig blieb, ohne Inhalt, ohne Ziel, ohne Veranlas¬ sung. Die Seele summte für sich im Stillen, und wurde taub für die Gewitter¬ schläge der Welt. Eben so löste die Philosophie alle Realität so lange in Ab¬ straktionen aus, bis von einem Unterschied nicht mehr die Rede war. Mau verstand Gott, die Dreieinigkeit, die Magie, den Somnambulismus, die Gespen¬ ster u. s. w.; je widersprechender dem gesunden Menschenverstand, für desto tieser galt eine Idee, und es wurde ein Kennzeichen des Genies, anders zu denken und zu fühlen, als andere Menschen, denn das allgemein Menschliche kann Jeder fühlen, das Unsagbare nur auserwählte Herze»; das Vernünftige kann Jeder fassen, das Unvernünftige nur auserwählte Geister. Dieser Cultus der Genialität, diese Heiligung des Besondern wurde zuerst in einzelnen Paradoxien, dann in einem vollständigen System vorgetragen und namentlich ans den Staat angewendet, für den die historische Schule eine ganz neue Form der Organisation erfand, eine Organisation ohne Mitwirkung des Bewußtseins, die mit geheimnißvoller Noth¬ wendigkeit, wie die Pflanze, sich entfaltet, und durch das vermessene Treiben des Gedankens nur verwirrt und entstellt werden kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/174>, abgerufen am 02.07.2024.