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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Basis, weder für das Urtheil, noch für den Charakter. Ruge empfand sehr leb¬
haft. Eine Erzählung von Eugen Sue, oder ein Drama von Felix Pyat konnte
ihn zu Thränen bringen -- ein Einfluß, deu ein wirkliches Kunstwerk nie auf
ihn ausübte; -- aber wenn er daun gereizt wurde, oder wenn der Strom seines
vergnügten Enthusiasmus auf irgend ein Hinderniß stieß, so hatte sein Gcfühls-
ausbruch fast immer einen kleinlichen und gehässigen Anstrich, wie das bei weichen
Menschen immer der Fall ist. So wird mau sich auch seiue Haltung in der
spätern Zeit der Revolution erklären. Er war so außer sich vor Entzücken über
die Februaremeute gewesen, er war so fest davon überzeugt, daß nun durch einen
Zauberschlag die Menschheit in eine neue Haut gefahren sei, und daß fortan ans
der Welt nur Tugend, Freiheit und Glückseligkeit zu finden wären, daß ihm
jeder Zweifel an dieser plötzlichen Wiedergeburt als eine Todsünde gegen den
heiligen Geist der Menschheit erschien, und daß er von der Guillotine oder von
einem allgemeinen Blutbad gegen die Verräther fabelte, er, der weiche Mensch,
der kein Thier konnte leiden sehen.

Nach diesen allgemeinen Voraussetzungen verfolgen wir seine Entwickelung
durch die einzelnen Phasen seiner literarischen und politischen Laufbahn.

Sein Ausgang ist die Deutsche Burschenschaft. Er ist im Jahre -1802
geboren, und gehört daher in die burschenschaftliche Generation der ersten zwan¬
ziger Jahre. Bei der Jagd, die damals auf Demagogen gemacht wurde, ergriff
mau auch Rüge; er wurde nach langer Untersuchung zu zwanzig Jahren Festung
verurtheilt, und kam endlich mit sechs Jahren davon. Ein hartes Schicksal, wenn
man bedenkt, daß damals eigentlich schon alle Welt davon überzeugt war, daß
man es uur mit Kindereien zu thun hatte. Es ist ein rühmliches Zeugniß für die
ursprüngliche Gesundheit und Elasticität seines Geistes, daß weder die Erbitte¬
rung, noch der materielle Druck seiner langen Hast einen schädlichen Einfluß auf
ihn ausgeübt hat. Als man ihn zur Untersuchung zog, war er bereits vollständig
im Klaren, daß die gesammte Burschenschaft Nichts weiter.gewesen war, als ein
thörichtes Spiel. Er betrachtete sich daher nicht als den Märtyrer für eine große
Sache, sondern mir als das Opfer einer verkehrten Gesetzgebung, und er war
billig genug, in seinen Richtern die Person von dem Amt zu scheiden. Er
hat während des Gefängnisses sich unverdrossene Bewegung gemacht, fleißig ge>
arbeitet und deu guten Humor bewahrt. Bis aus einzelne nachtheilige Einflüsse
auf seine Gesundheit ist also die Zeit für ihn eine günstige gewesen. Kurze Zeit,
nachdem er aus der Festung entlassen war, verheirathete er sich, kam dadurch in
eine günstige pecuniaire Lage, machte eine Reise nach Italien, und siedelte sich
dann in Halle als Privatdocent an. Seine Fran war, wenn ich nicht irre, schon
in Italien gestorben, er verheirathete sich einige Zeit darauf zum zweiten Mal,
und lebt seit der Zeit in einer recht glücklichen Ehe, die nur durch die äußern
Verhältnisse getrübt wurde. Er, hat mehrere Kinder, auf welche das unstäte


Basis, weder für das Urtheil, noch für den Charakter. Ruge empfand sehr leb¬
haft. Eine Erzählung von Eugen Sue, oder ein Drama von Felix Pyat konnte
ihn zu Thränen bringen — ein Einfluß, deu ein wirkliches Kunstwerk nie auf
ihn ausübte; — aber wenn er daun gereizt wurde, oder wenn der Strom seines
vergnügten Enthusiasmus auf irgend ein Hinderniß stieß, so hatte sein Gcfühls-
ausbruch fast immer einen kleinlichen und gehässigen Anstrich, wie das bei weichen
Menschen immer der Fall ist. So wird mau sich auch seiue Haltung in der
spätern Zeit der Revolution erklären. Er war so außer sich vor Entzücken über
die Februaremeute gewesen, er war so fest davon überzeugt, daß nun durch einen
Zauberschlag die Menschheit in eine neue Haut gefahren sei, und daß fortan ans
der Welt nur Tugend, Freiheit und Glückseligkeit zu finden wären, daß ihm
jeder Zweifel an dieser plötzlichen Wiedergeburt als eine Todsünde gegen den
heiligen Geist der Menschheit erschien, und daß er von der Guillotine oder von
einem allgemeinen Blutbad gegen die Verräther fabelte, er, der weiche Mensch,
der kein Thier konnte leiden sehen.

Nach diesen allgemeinen Voraussetzungen verfolgen wir seine Entwickelung
durch die einzelnen Phasen seiner literarischen und politischen Laufbahn.

Sein Ausgang ist die Deutsche Burschenschaft. Er ist im Jahre -1802
geboren, und gehört daher in die burschenschaftliche Generation der ersten zwan¬
ziger Jahre. Bei der Jagd, die damals auf Demagogen gemacht wurde, ergriff
mau auch Rüge; er wurde nach langer Untersuchung zu zwanzig Jahren Festung
verurtheilt, und kam endlich mit sechs Jahren davon. Ein hartes Schicksal, wenn
man bedenkt, daß damals eigentlich schon alle Welt davon überzeugt war, daß
man es uur mit Kindereien zu thun hatte. Es ist ein rühmliches Zeugniß für die
ursprüngliche Gesundheit und Elasticität seines Geistes, daß weder die Erbitte¬
rung, noch der materielle Druck seiner langen Hast einen schädlichen Einfluß auf
ihn ausgeübt hat. Als man ihn zur Untersuchung zog, war er bereits vollständig
im Klaren, daß die gesammte Burschenschaft Nichts weiter.gewesen war, als ein
thörichtes Spiel. Er betrachtete sich daher nicht als den Märtyrer für eine große
Sache, sondern mir als das Opfer einer verkehrten Gesetzgebung, und er war
billig genug, in seinen Richtern die Person von dem Amt zu scheiden. Er
hat während des Gefängnisses sich unverdrossene Bewegung gemacht, fleißig ge>
arbeitet und deu guten Humor bewahrt. Bis aus einzelne nachtheilige Einflüsse
auf seine Gesundheit ist also die Zeit für ihn eine günstige gewesen. Kurze Zeit,
nachdem er aus der Festung entlassen war, verheirathete er sich, kam dadurch in
eine günstige pecuniaire Lage, machte eine Reise nach Italien, und siedelte sich
dann in Halle als Privatdocent an. Seine Fran war, wenn ich nicht irre, schon
in Italien gestorben, er verheirathete sich einige Zeit darauf zum zweiten Mal,
und lebt seit der Zeit in einer recht glücklichen Ehe, die nur durch die äußern
Verhältnisse getrübt wurde. Er, hat mehrere Kinder, auf welche das unstäte


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[0172] Basis, weder für das Urtheil, noch für den Charakter. Ruge empfand sehr leb¬ haft. Eine Erzählung von Eugen Sue, oder ein Drama von Felix Pyat konnte ihn zu Thränen bringen — ein Einfluß, deu ein wirkliches Kunstwerk nie auf ihn ausübte; — aber wenn er daun gereizt wurde, oder wenn der Strom seines vergnügten Enthusiasmus auf irgend ein Hinderniß stieß, so hatte sein Gcfühls- ausbruch fast immer einen kleinlichen und gehässigen Anstrich, wie das bei weichen Menschen immer der Fall ist. So wird mau sich auch seiue Haltung in der spätern Zeit der Revolution erklären. Er war so außer sich vor Entzücken über die Februaremeute gewesen, er war so fest davon überzeugt, daß nun durch einen Zauberschlag die Menschheit in eine neue Haut gefahren sei, und daß fortan ans der Welt nur Tugend, Freiheit und Glückseligkeit zu finden wären, daß ihm jeder Zweifel an dieser plötzlichen Wiedergeburt als eine Todsünde gegen den heiligen Geist der Menschheit erschien, und daß er von der Guillotine oder von einem allgemeinen Blutbad gegen die Verräther fabelte, er, der weiche Mensch, der kein Thier konnte leiden sehen. Nach diesen allgemeinen Voraussetzungen verfolgen wir seine Entwickelung durch die einzelnen Phasen seiner literarischen und politischen Laufbahn. Sein Ausgang ist die Deutsche Burschenschaft. Er ist im Jahre -1802 geboren, und gehört daher in die burschenschaftliche Generation der ersten zwan¬ ziger Jahre. Bei der Jagd, die damals auf Demagogen gemacht wurde, ergriff mau auch Rüge; er wurde nach langer Untersuchung zu zwanzig Jahren Festung verurtheilt, und kam endlich mit sechs Jahren davon. Ein hartes Schicksal, wenn man bedenkt, daß damals eigentlich schon alle Welt davon überzeugt war, daß man es uur mit Kindereien zu thun hatte. Es ist ein rühmliches Zeugniß für die ursprüngliche Gesundheit und Elasticität seines Geistes, daß weder die Erbitte¬ rung, noch der materielle Druck seiner langen Hast einen schädlichen Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Als man ihn zur Untersuchung zog, war er bereits vollständig im Klaren, daß die gesammte Burschenschaft Nichts weiter.gewesen war, als ein thörichtes Spiel. Er betrachtete sich daher nicht als den Märtyrer für eine große Sache, sondern mir als das Opfer einer verkehrten Gesetzgebung, und er war billig genug, in seinen Richtern die Person von dem Amt zu scheiden. Er hat während des Gefängnisses sich unverdrossene Bewegung gemacht, fleißig ge> arbeitet und deu guten Humor bewahrt. Bis aus einzelne nachtheilige Einflüsse auf seine Gesundheit ist also die Zeit für ihn eine günstige gewesen. Kurze Zeit, nachdem er aus der Festung entlassen war, verheirathete er sich, kam dadurch in eine günstige pecuniaire Lage, machte eine Reise nach Italien, und siedelte sich dann in Halle als Privatdocent an. Seine Fran war, wenn ich nicht irre, schon in Italien gestorben, er verheirathete sich einige Zeit darauf zum zweiten Mal, und lebt seit der Zeit in einer recht glücklichen Ehe, die nur durch die äußern Verhältnisse getrübt wurde. Er, hat mehrere Kinder, auf welche das unstäte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/172>, abgerufen am 02.07.2024.