Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm nicht in einer Pointe überliefert wurde, fand bei ihm keinen Eingang. Eine
solche Pointe, die in der Regel den sinnlichen Eindruck eines arssumWtum g.S
Kouiwlzm machen mußte, verwahrte er dann in seinem Gedächtniß, verallgemeinerte
sie, gab ihr eine abstracte philosophische Form, und trat dann damit wie mit
einem Glaubensartikel auf. Nur auf diese Weise ist die Reihe von Manifesten
zu erklären, die mit fabelhafter Schnelligkeit aufeinander folgten: sie lassen sich ohne
Unterschied auf solche einzelne Pointen zurückführen, die ihm imponirt oder
Freude gemacht hatten. Darüber weiter nachzudenken, den einzelnen Satz in
Beziehung ans einzelne concrete Fälle zu untersuchen und seinen Umfang zu
prüfen, diese Mühe hat er sich nie genommen. Er war darin eigentlich wie
ein Kind. Kam ihm ein Fall vor, der in sein Axiom nicht paßte, so wurde er
zuerst verwirrt, gerieth in Hitze und witterte Verrath, bis er durch eine neue
Pointe, die er in einen neuen Lehrsatz verwandelte, über den Widerspruch hinaus
kam. Mit den Personen ging es ihm in dieser Beziehung gerade so, wie mit
den Gegenständen. Er schloß sich sehr leicht an, und kam einem Jeden, der ihm
entweder wegen seines Aeußern, oder wegen seiner Bestimmtheit, Klarheit und
dergleichen gefiel, mit herzlicher Zuneigung entgegen; ja, es trat sehr bald eine
Vertraulichkeit ein, die zwar in keiner Weise gemacht war, die vielmehr auf
wirklichem Wohlwollen basirte, die aber doch ihr Bedenkliches hatte, denn er
gab sich eben so wenig die Mühe, den Charakter und die Anschauungsweise der
Personen, die mit ihm in Berührung kamen, zu studiren, als er es auf dem
wissenschaftlichen Gebiete that. Er hielt sich an die einzelnen Seiten, die ihm
gefielen, an einzelne Ansichten und Ideen, mit denen er sympathisirte, und wenn
dann im Gespräch sich ergab, daß in vielen Fragen der wesentlichste Widerspruch
stattfand, so hielt er das für eine bloße Caprice, für eine Consequenzmacherei, die
auf den eigentlichen Parteistandpunkt keinen Einfluß habe, und diese gute Meinung
dauerte so lange, bis die Disputation ins Gebiet der Presse überging; alsdann
gerieth' er außer sich, klagte über Verrath, und wurde in der Regel so persönlich,
daß ein Eclat nicht zu vermeiden war. So ist es ihm ohne Unterschied mit
allen Menschen gegangen, mit denen er in seinem vielfach bewegten Leben in
Berührung gekommen ist, mit den Tübingern, den Hallensern, den Berlinern,
den Parisern u. s. w., aber alle diese Erfahrungen siud ohne Frucht an ihm
vorübergegangen, und so ist denn vorauszusehen, daß sie sich noch vielfach genug
erneuern werden. Da alle seine Ideen aus persönlichen Beziehungen entsprungen
sind und sich an Persönlichkeiten knüpfen, und da er seine sogenannte Partei mit
dem Kreise der Leute identificirt, denen er gut ist, so spielt jeder Bruch bei ihm
ins Gebiet des Gemüthlichen, und er hält die gleichgeartete Bonhommie für aus¬
reichend, in bewegten Zeiten ein dauerhaftes Band zu bilden. Ein gefährlicher
Irrthum, nicht nur des Verstandes, sondern auch des Herzens, denn er verleitet
zu den schwersten Ungerechtigkeiten. Die Weichheit des Gesühls ist keine solide


21 *

ihm nicht in einer Pointe überliefert wurde, fand bei ihm keinen Eingang. Eine
solche Pointe, die in der Regel den sinnlichen Eindruck eines arssumWtum g.S
Kouiwlzm machen mußte, verwahrte er dann in seinem Gedächtniß, verallgemeinerte
sie, gab ihr eine abstracte philosophische Form, und trat dann damit wie mit
einem Glaubensartikel auf. Nur auf diese Weise ist die Reihe von Manifesten
zu erklären, die mit fabelhafter Schnelligkeit aufeinander folgten: sie lassen sich ohne
Unterschied auf solche einzelne Pointen zurückführen, die ihm imponirt oder
Freude gemacht hatten. Darüber weiter nachzudenken, den einzelnen Satz in
Beziehung ans einzelne concrete Fälle zu untersuchen und seinen Umfang zu
prüfen, diese Mühe hat er sich nie genommen. Er war darin eigentlich wie
ein Kind. Kam ihm ein Fall vor, der in sein Axiom nicht paßte, so wurde er
zuerst verwirrt, gerieth in Hitze und witterte Verrath, bis er durch eine neue
Pointe, die er in einen neuen Lehrsatz verwandelte, über den Widerspruch hinaus
kam. Mit den Personen ging es ihm in dieser Beziehung gerade so, wie mit
den Gegenständen. Er schloß sich sehr leicht an, und kam einem Jeden, der ihm
entweder wegen seines Aeußern, oder wegen seiner Bestimmtheit, Klarheit und
dergleichen gefiel, mit herzlicher Zuneigung entgegen; ja, es trat sehr bald eine
Vertraulichkeit ein, die zwar in keiner Weise gemacht war, die vielmehr auf
wirklichem Wohlwollen basirte, die aber doch ihr Bedenkliches hatte, denn er
gab sich eben so wenig die Mühe, den Charakter und die Anschauungsweise der
Personen, die mit ihm in Berührung kamen, zu studiren, als er es auf dem
wissenschaftlichen Gebiete that. Er hielt sich an die einzelnen Seiten, die ihm
gefielen, an einzelne Ansichten und Ideen, mit denen er sympathisirte, und wenn
dann im Gespräch sich ergab, daß in vielen Fragen der wesentlichste Widerspruch
stattfand, so hielt er das für eine bloße Caprice, für eine Consequenzmacherei, die
auf den eigentlichen Parteistandpunkt keinen Einfluß habe, und diese gute Meinung
dauerte so lange, bis die Disputation ins Gebiet der Presse überging; alsdann
gerieth' er außer sich, klagte über Verrath, und wurde in der Regel so persönlich,
daß ein Eclat nicht zu vermeiden war. So ist es ihm ohne Unterschied mit
allen Menschen gegangen, mit denen er in seinem vielfach bewegten Leben in
Berührung gekommen ist, mit den Tübingern, den Hallensern, den Berlinern,
den Parisern u. s. w., aber alle diese Erfahrungen siud ohne Frucht an ihm
vorübergegangen, und so ist denn vorauszusehen, daß sie sich noch vielfach genug
erneuern werden. Da alle seine Ideen aus persönlichen Beziehungen entsprungen
sind und sich an Persönlichkeiten knüpfen, und da er seine sogenannte Partei mit
dem Kreise der Leute identificirt, denen er gut ist, so spielt jeder Bruch bei ihm
ins Gebiet des Gemüthlichen, und er hält die gleichgeartete Bonhommie für aus¬
reichend, in bewegten Zeiten ein dauerhaftes Band zu bilden. Ein gefährlicher
Irrthum, nicht nur des Verstandes, sondern auch des Herzens, denn er verleitet
zu den schwersten Ungerechtigkeiten. Die Weichheit des Gesühls ist keine solide


21 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280258"/>
          <p xml:id="ID_445" prev="#ID_444" next="#ID_446"> ihm nicht in einer Pointe überliefert wurde, fand bei ihm keinen Eingang. Eine<lb/>
solche Pointe, die in der Regel den sinnlichen Eindruck eines arssumWtum g.S<lb/>
Kouiwlzm machen mußte, verwahrte er dann in seinem Gedächtniß, verallgemeinerte<lb/>
sie, gab ihr eine abstracte philosophische Form, und trat dann damit wie mit<lb/>
einem Glaubensartikel auf. Nur auf diese Weise ist die Reihe von Manifesten<lb/>
zu erklären, die mit fabelhafter Schnelligkeit aufeinander folgten: sie lassen sich ohne<lb/>
Unterschied auf solche einzelne Pointen zurückführen, die ihm imponirt oder<lb/>
Freude gemacht hatten. Darüber weiter nachzudenken, den einzelnen Satz in<lb/>
Beziehung ans einzelne concrete Fälle zu untersuchen und seinen Umfang zu<lb/>
prüfen, diese Mühe hat er sich nie genommen. Er war darin eigentlich wie<lb/>
ein Kind. Kam ihm ein Fall vor, der in sein Axiom nicht paßte, so wurde er<lb/>
zuerst verwirrt, gerieth in Hitze und witterte Verrath, bis er durch eine neue<lb/>
Pointe, die er in einen neuen Lehrsatz verwandelte, über den Widerspruch hinaus<lb/>
kam. Mit den Personen ging es ihm in dieser Beziehung gerade so, wie mit<lb/>
den Gegenständen. Er schloß sich sehr leicht an, und kam einem Jeden, der ihm<lb/>
entweder wegen seines Aeußern, oder wegen seiner Bestimmtheit, Klarheit und<lb/>
dergleichen gefiel, mit herzlicher Zuneigung entgegen; ja, es trat sehr bald eine<lb/>
Vertraulichkeit ein, die zwar in keiner Weise gemacht war, die vielmehr auf<lb/>
wirklichem Wohlwollen basirte, die aber doch ihr Bedenkliches hatte, denn er<lb/>
gab sich eben so wenig die Mühe, den Charakter und die Anschauungsweise der<lb/>
Personen, die mit ihm in Berührung kamen, zu studiren, als er es auf dem<lb/>
wissenschaftlichen Gebiete that. Er hielt sich an die einzelnen Seiten, die ihm<lb/>
gefielen, an einzelne Ansichten und Ideen, mit denen er sympathisirte, und wenn<lb/>
dann im Gespräch sich ergab, daß in vielen Fragen der wesentlichste Widerspruch<lb/>
stattfand, so hielt er das für eine bloße Caprice, für eine Consequenzmacherei, die<lb/>
auf den eigentlichen Parteistandpunkt keinen Einfluß habe, und diese gute Meinung<lb/>
dauerte so lange, bis die Disputation ins Gebiet der Presse überging; alsdann<lb/>
gerieth' er außer sich, klagte über Verrath, und wurde in der Regel so persönlich,<lb/>
daß ein Eclat nicht zu vermeiden war. So ist es ihm ohne Unterschied mit<lb/>
allen Menschen gegangen, mit denen er in seinem vielfach bewegten Leben in<lb/>
Berührung gekommen ist, mit den Tübingern, den Hallensern, den Berlinern,<lb/>
den Parisern u. s. w., aber alle diese Erfahrungen siud ohne Frucht an ihm<lb/>
vorübergegangen, und so ist denn vorauszusehen, daß sie sich noch vielfach genug<lb/>
erneuern werden. Da alle seine Ideen aus persönlichen Beziehungen entsprungen<lb/>
sind und sich an Persönlichkeiten knüpfen, und da er seine sogenannte Partei mit<lb/>
dem Kreise der Leute identificirt, denen er gut ist, so spielt jeder Bruch bei ihm<lb/>
ins Gebiet des Gemüthlichen, und er hält die gleichgeartete Bonhommie für aus¬<lb/>
reichend, in bewegten Zeiten ein dauerhaftes Band zu bilden. Ein gefährlicher<lb/>
Irrthum, nicht nur des Verstandes, sondern auch des Herzens, denn er verleitet<lb/>
zu den schwersten Ungerechtigkeiten. Die Weichheit des Gesühls ist keine solide</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 21 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] ihm nicht in einer Pointe überliefert wurde, fand bei ihm keinen Eingang. Eine solche Pointe, die in der Regel den sinnlichen Eindruck eines arssumWtum g.S Kouiwlzm machen mußte, verwahrte er dann in seinem Gedächtniß, verallgemeinerte sie, gab ihr eine abstracte philosophische Form, und trat dann damit wie mit einem Glaubensartikel auf. Nur auf diese Weise ist die Reihe von Manifesten zu erklären, die mit fabelhafter Schnelligkeit aufeinander folgten: sie lassen sich ohne Unterschied auf solche einzelne Pointen zurückführen, die ihm imponirt oder Freude gemacht hatten. Darüber weiter nachzudenken, den einzelnen Satz in Beziehung ans einzelne concrete Fälle zu untersuchen und seinen Umfang zu prüfen, diese Mühe hat er sich nie genommen. Er war darin eigentlich wie ein Kind. Kam ihm ein Fall vor, der in sein Axiom nicht paßte, so wurde er zuerst verwirrt, gerieth in Hitze und witterte Verrath, bis er durch eine neue Pointe, die er in einen neuen Lehrsatz verwandelte, über den Widerspruch hinaus kam. Mit den Personen ging es ihm in dieser Beziehung gerade so, wie mit den Gegenständen. Er schloß sich sehr leicht an, und kam einem Jeden, der ihm entweder wegen seines Aeußern, oder wegen seiner Bestimmtheit, Klarheit und dergleichen gefiel, mit herzlicher Zuneigung entgegen; ja, es trat sehr bald eine Vertraulichkeit ein, die zwar in keiner Weise gemacht war, die vielmehr auf wirklichem Wohlwollen basirte, die aber doch ihr Bedenkliches hatte, denn er gab sich eben so wenig die Mühe, den Charakter und die Anschauungsweise der Personen, die mit ihm in Berührung kamen, zu studiren, als er es auf dem wissenschaftlichen Gebiete that. Er hielt sich an die einzelnen Seiten, die ihm gefielen, an einzelne Ansichten und Ideen, mit denen er sympathisirte, und wenn dann im Gespräch sich ergab, daß in vielen Fragen der wesentlichste Widerspruch stattfand, so hielt er das für eine bloße Caprice, für eine Consequenzmacherei, die auf den eigentlichen Parteistandpunkt keinen Einfluß habe, und diese gute Meinung dauerte so lange, bis die Disputation ins Gebiet der Presse überging; alsdann gerieth' er außer sich, klagte über Verrath, und wurde in der Regel so persönlich, daß ein Eclat nicht zu vermeiden war. So ist es ihm ohne Unterschied mit allen Menschen gegangen, mit denen er in seinem vielfach bewegten Leben in Berührung gekommen ist, mit den Tübingern, den Hallensern, den Berlinern, den Parisern u. s. w., aber alle diese Erfahrungen siud ohne Frucht an ihm vorübergegangen, und so ist denn vorauszusehen, daß sie sich noch vielfach genug erneuern werden. Da alle seine Ideen aus persönlichen Beziehungen entsprungen sind und sich an Persönlichkeiten knüpfen, und da er seine sogenannte Partei mit dem Kreise der Leute identificirt, denen er gut ist, so spielt jeder Bruch bei ihm ins Gebiet des Gemüthlichen, und er hält die gleichgeartete Bonhommie für aus¬ reichend, in bewegten Zeiten ein dauerhaftes Band zu bilden. Ein gefährlicher Irrthum, nicht nur des Verstandes, sondern auch des Herzens, denn er verleitet zu den schwersten Ungerechtigkeiten. Die Weichheit des Gesühls ist keine solide 21 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/171>, abgerufen am 02.07.2024.