Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Partei, sich mit den Demokraten zu verbinden; die Partei soll auch nach diesem
Schritt für sich allein bleiben. Andere, z. B. der Rheinische Korrespondent der
Neichszeitung, halten ein entschiedenes Aufgehen in die Demokratie für unver¬
meidlich. Noch Andere, z. B. der Sächsische Korrespondent derselben Zeitung,
wollen durch ein Verschmelzen der gemäßigten Demokraten und der weiter vor¬
geschrittenen Konstitutionellen eine neue Partei bilden, in welche die beiden Ele¬
mente mit gleicher Berechtigung eintreten sollen.

Die letzte Ansicht hat unter allen die geringste Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs.
Der Werth einer übertretenden Partei wird theils nach dem materiellen Gewicht,
welches sie mitbringt, theils nach ihrem moralischen abgeschätzt. Was das
Erste betrifft, so dürfte die Masse desjenigen Theils der conservativen Partei,
welcher bisher der Leitung der liberalen Parlamentsglieder folgte, und entschlossen
sein sollte, ans alle Consequenzen hin sich auch diesem neuen Schritt anzuschließen,
nicht groß sein. Mau ist überhaupt viel zu sehr geneigt gewesen, die Partei
mit den parlamentarischen Führern zu identificiren. DaS eigentliche Gewicht der
Partei liegt aber in den liberalen Beamten, den liberalen Gutsbesitzern und den
intelligenten Kaufleuten und Fabrikanten. Es würde von allen Diesen nnr ein
sehr geringer Theil geneigt sein, so lange nicht die äußerste Noth dazu treibt, sich
der Gefahr einer Revolution auszusehen. Daß dieses Aeußerste aber noch nicht
eingetreten ist, davon später. -- Der materielle Vortheil, den die Demokraten
von einem solchen Uebertritt hätten, wäre also nicht groß, und würde keineswegs
geeignet sein, die gemachte oder wirkliche Geringschätzung, die sie offen genug
gegen die Gothaner aussprechen, aufzuwiegen. Diese Geringschätzung wird im
Gegentheil verstärkt durch die mehr als befremdenden Bekenntnisse, zu denen sich
die liberalen Organe herbeilassen, und die wir nur aus der Hitze des Augenblicks
zu erklären im Stande sind. Man spricht von dem "Rest der Ehre", der uns
geblieben sei; man stimmt ziemlich unzweideutig in die Vorwürfe ein, welche die
beredten Organe der Demokratie, namentlich der Kladderadatsch, gegen alle be¬
deutender" Schritte uufter Partei erhoben haben, gegen die Weideubnschbeschlüsse,
gegen die Versammlung zu Gotha, gegen die Theilnahme an den Preußischen
Wahlen, gegen die Haltung in Erfurt. Diese Selbstanklagen dürsten nicht ge¬
eignet sein, der Demokratie eine bessere Meinung von ihren neuen Verbündeten bei¬
zubringen, als sie bis jetzt gehabt hat. Schon früher hat sie es ausgesprochen,
daß sie die reuigen Sünder wol in ihren Schooß aufnehmen wolle, aber nnr
als gemeine Soldaten, die ihre frühern Sünden durch einen freiwilligen Opfer¬
tod zu sühnen haben, nicht etwa als Führer. Und von ihrem Standpunkt ist
dagegen auch Nichts einzuwenden.

Indessen der moralische Erfolg dieser rvvuv rotrvspectiv" möge sein, welcher
er wolle, wenn sie wahr ist und den Kern der Sache trifft, so soll uns keine
Selbstüberhebung hindern, uns ihr zu entziehen. Allein sie ist nicht wahr. Die


Partei, sich mit den Demokraten zu verbinden; die Partei soll auch nach diesem
Schritt für sich allein bleiben. Andere, z. B. der Rheinische Korrespondent der
Neichszeitung, halten ein entschiedenes Aufgehen in die Demokratie für unver¬
meidlich. Noch Andere, z. B. der Sächsische Korrespondent derselben Zeitung,
wollen durch ein Verschmelzen der gemäßigten Demokraten und der weiter vor¬
geschrittenen Konstitutionellen eine neue Partei bilden, in welche die beiden Ele¬
mente mit gleicher Berechtigung eintreten sollen.

Die letzte Ansicht hat unter allen die geringste Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs.
Der Werth einer übertretenden Partei wird theils nach dem materiellen Gewicht,
welches sie mitbringt, theils nach ihrem moralischen abgeschätzt. Was das
Erste betrifft, so dürfte die Masse desjenigen Theils der conservativen Partei,
welcher bisher der Leitung der liberalen Parlamentsglieder folgte, und entschlossen
sein sollte, ans alle Consequenzen hin sich auch diesem neuen Schritt anzuschließen,
nicht groß sein. Mau ist überhaupt viel zu sehr geneigt gewesen, die Partei
mit den parlamentarischen Führern zu identificiren. DaS eigentliche Gewicht der
Partei liegt aber in den liberalen Beamten, den liberalen Gutsbesitzern und den
intelligenten Kaufleuten und Fabrikanten. Es würde von allen Diesen nnr ein
sehr geringer Theil geneigt sein, so lange nicht die äußerste Noth dazu treibt, sich
der Gefahr einer Revolution auszusehen. Daß dieses Aeußerste aber noch nicht
eingetreten ist, davon später. — Der materielle Vortheil, den die Demokraten
von einem solchen Uebertritt hätten, wäre also nicht groß, und würde keineswegs
geeignet sein, die gemachte oder wirkliche Geringschätzung, die sie offen genug
gegen die Gothaner aussprechen, aufzuwiegen. Diese Geringschätzung wird im
Gegentheil verstärkt durch die mehr als befremdenden Bekenntnisse, zu denen sich
die liberalen Organe herbeilassen, und die wir nur aus der Hitze des Augenblicks
zu erklären im Stande sind. Man spricht von dem „Rest der Ehre", der uns
geblieben sei; man stimmt ziemlich unzweideutig in die Vorwürfe ein, welche die
beredten Organe der Demokratie, namentlich der Kladderadatsch, gegen alle be¬
deutender» Schritte uufter Partei erhoben haben, gegen die Weideubnschbeschlüsse,
gegen die Versammlung zu Gotha, gegen die Theilnahme an den Preußischen
Wahlen, gegen die Haltung in Erfurt. Diese Selbstanklagen dürsten nicht ge¬
eignet sein, der Demokratie eine bessere Meinung von ihren neuen Verbündeten bei¬
zubringen, als sie bis jetzt gehabt hat. Schon früher hat sie es ausgesprochen,
daß sie die reuigen Sünder wol in ihren Schooß aufnehmen wolle, aber nnr
als gemeine Soldaten, die ihre frühern Sünden durch einen freiwilligen Opfer¬
tod zu sühnen haben, nicht etwa als Führer. Und von ihrem Standpunkt ist
dagegen auch Nichts einzuwenden.

Indessen der moralische Erfolg dieser rvvuv rotrvspectiv« möge sein, welcher
er wolle, wenn sie wahr ist und den Kern der Sache trifft, so soll uns keine
Selbstüberhebung hindern, uns ihr zu entziehen. Allein sie ist nicht wahr. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280237"/>
          <p xml:id="ID_366" prev="#ID_365"> Partei, sich mit den Demokraten zu verbinden; die Partei soll auch nach diesem<lb/>
Schritt für sich allein bleiben. Andere, z. B. der Rheinische Korrespondent der<lb/>
Neichszeitung, halten ein entschiedenes Aufgehen in die Demokratie für unver¬<lb/>
meidlich. Noch Andere, z. B. der Sächsische Korrespondent derselben Zeitung,<lb/>
wollen durch ein Verschmelzen der gemäßigten Demokraten und der weiter vor¬<lb/>
geschrittenen Konstitutionellen eine neue Partei bilden, in welche die beiden Ele¬<lb/>
mente mit gleicher Berechtigung eintreten sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_367"> Die letzte Ansicht hat unter allen die geringste Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs.<lb/>
Der Werth einer übertretenden Partei wird theils nach dem materiellen Gewicht,<lb/>
welches sie mitbringt, theils nach ihrem moralischen abgeschätzt. Was das<lb/>
Erste betrifft, so dürfte die Masse desjenigen Theils der conservativen Partei,<lb/>
welcher bisher der Leitung der liberalen Parlamentsglieder folgte, und entschlossen<lb/>
sein sollte, ans alle Consequenzen hin sich auch diesem neuen Schritt anzuschließen,<lb/>
nicht groß sein. Mau ist überhaupt viel zu sehr geneigt gewesen, die Partei<lb/>
mit den parlamentarischen Führern zu identificiren. DaS eigentliche Gewicht der<lb/>
Partei liegt aber in den liberalen Beamten, den liberalen Gutsbesitzern und den<lb/>
intelligenten Kaufleuten und Fabrikanten. Es würde von allen Diesen nnr ein<lb/>
sehr geringer Theil geneigt sein, so lange nicht die äußerste Noth dazu treibt, sich<lb/>
der Gefahr einer Revolution auszusehen. Daß dieses Aeußerste aber noch nicht<lb/>
eingetreten ist, davon später. &#x2014; Der materielle Vortheil, den die Demokraten<lb/>
von einem solchen Uebertritt hätten, wäre also nicht groß, und würde keineswegs<lb/>
geeignet sein, die gemachte oder wirkliche Geringschätzung, die sie offen genug<lb/>
gegen die Gothaner aussprechen, aufzuwiegen. Diese Geringschätzung wird im<lb/>
Gegentheil verstärkt durch die mehr als befremdenden Bekenntnisse, zu denen sich<lb/>
die liberalen Organe herbeilassen, und die wir nur aus der Hitze des Augenblicks<lb/>
zu erklären im Stande sind. Man spricht von dem &#x201E;Rest der Ehre", der uns<lb/>
geblieben sei; man stimmt ziemlich unzweideutig in die Vorwürfe ein, welche die<lb/>
beredten Organe der Demokratie, namentlich der Kladderadatsch, gegen alle be¬<lb/>
deutender» Schritte uufter Partei erhoben haben, gegen die Weideubnschbeschlüsse,<lb/>
gegen die Versammlung zu Gotha, gegen die Theilnahme an den Preußischen<lb/>
Wahlen, gegen die Haltung in Erfurt. Diese Selbstanklagen dürsten nicht ge¬<lb/>
eignet sein, der Demokratie eine bessere Meinung von ihren neuen Verbündeten bei¬<lb/>
zubringen, als sie bis jetzt gehabt hat. Schon früher hat sie es ausgesprochen,<lb/>
daß sie die reuigen Sünder wol in ihren Schooß aufnehmen wolle, aber nnr<lb/>
als gemeine Soldaten, die ihre frühern Sünden durch einen freiwilligen Opfer¬<lb/>
tod zu sühnen haben, nicht etwa als Führer. Und von ihrem Standpunkt ist<lb/>
dagegen auch Nichts einzuwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Indessen der moralische Erfolg dieser rvvuv rotrvspectiv« möge sein, welcher<lb/>
er wolle, wenn sie wahr ist und den Kern der Sache trifft, so soll uns keine<lb/>
Selbstüberhebung hindern, uns ihr zu entziehen.  Allein sie ist nicht wahr. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Partei, sich mit den Demokraten zu verbinden; die Partei soll auch nach diesem Schritt für sich allein bleiben. Andere, z. B. der Rheinische Korrespondent der Neichszeitung, halten ein entschiedenes Aufgehen in die Demokratie für unver¬ meidlich. Noch Andere, z. B. der Sächsische Korrespondent derselben Zeitung, wollen durch ein Verschmelzen der gemäßigten Demokraten und der weiter vor¬ geschrittenen Konstitutionellen eine neue Partei bilden, in welche die beiden Ele¬ mente mit gleicher Berechtigung eintreten sollen. Die letzte Ansicht hat unter allen die geringste Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs. Der Werth einer übertretenden Partei wird theils nach dem materiellen Gewicht, welches sie mitbringt, theils nach ihrem moralischen abgeschätzt. Was das Erste betrifft, so dürfte die Masse desjenigen Theils der conservativen Partei, welcher bisher der Leitung der liberalen Parlamentsglieder folgte, und entschlossen sein sollte, ans alle Consequenzen hin sich auch diesem neuen Schritt anzuschließen, nicht groß sein. Mau ist überhaupt viel zu sehr geneigt gewesen, die Partei mit den parlamentarischen Führern zu identificiren. DaS eigentliche Gewicht der Partei liegt aber in den liberalen Beamten, den liberalen Gutsbesitzern und den intelligenten Kaufleuten und Fabrikanten. Es würde von allen Diesen nnr ein sehr geringer Theil geneigt sein, so lange nicht die äußerste Noth dazu treibt, sich der Gefahr einer Revolution auszusehen. Daß dieses Aeußerste aber noch nicht eingetreten ist, davon später. — Der materielle Vortheil, den die Demokraten von einem solchen Uebertritt hätten, wäre also nicht groß, und würde keineswegs geeignet sein, die gemachte oder wirkliche Geringschätzung, die sie offen genug gegen die Gothaner aussprechen, aufzuwiegen. Diese Geringschätzung wird im Gegentheil verstärkt durch die mehr als befremdenden Bekenntnisse, zu denen sich die liberalen Organe herbeilassen, und die wir nur aus der Hitze des Augenblicks zu erklären im Stande sind. Man spricht von dem „Rest der Ehre", der uns geblieben sei; man stimmt ziemlich unzweideutig in die Vorwürfe ein, welche die beredten Organe der Demokratie, namentlich der Kladderadatsch, gegen alle be¬ deutender» Schritte uufter Partei erhoben haben, gegen die Weideubnschbeschlüsse, gegen die Versammlung zu Gotha, gegen die Theilnahme an den Preußischen Wahlen, gegen die Haltung in Erfurt. Diese Selbstanklagen dürsten nicht ge¬ eignet sein, der Demokratie eine bessere Meinung von ihren neuen Verbündeten bei¬ zubringen, als sie bis jetzt gehabt hat. Schon früher hat sie es ausgesprochen, daß sie die reuigen Sünder wol in ihren Schooß aufnehmen wolle, aber nnr als gemeine Soldaten, die ihre frühern Sünden durch einen freiwilligen Opfer¬ tod zu sühnen haben, nicht etwa als Führer. Und von ihrem Standpunkt ist dagegen auch Nichts einzuwenden. Indessen der moralische Erfolg dieser rvvuv rotrvspectiv« möge sein, welcher er wolle, wenn sie wahr ist und den Kern der Sache trifft, so soll uns keine Selbstüberhebung hindern, uns ihr zu entziehen. Allein sie ist nicht wahr. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/150>, abgerufen am 02.07.2024.