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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Plan zu entwerfen. Es ist auch im bürgerlichen Leben nicht anders. Das Gericht
muß, wie schou erwähnt ist, ausschließlich den Buchstaben des Rechts befolgen; die
Parteien aber werden sich fragen müssen, ob bei der Verfolgung ihrer Rechts¬
ansprüche nicht die Proceßkosten über den Werth des Nechtsobjects hinausgehen.

Eben so irrig scheint es mir, wenn man annimmt, sämmtliche Parteien hätten
sich jetzt darin geeinigt, das Recht als höchste Norm ihres Verfahrens anzuer¬
kennen. Allerdings spricht die Reaction von dem wohlerworbenen Recht der
Provinzialstände, der Kreistage, der Rittergüter u. s. w., und die Demokratie
spricht von dem unveräußerlichen Recht der Urwähler; allein es ist doch Nie¬
mand in Zweifel, daß diese Rechtsansprüche nur Mittel sein sollen, um den
eigentlichen Zweck, Dasjenige, was man für sich oder für den Staat für gut
und für nützlich hält, ins Werk zu setzen, und daß derjenige Gerichtshof, um den
es sich hier handelt, nämlich die Weltgeschichte, sein Urtheil nicht nach dem ab-
stracten Buchstaben der Rechtsbegründung, sondern nach dem materiellen und
positiven Inhalt dessen, was die Parteien wollen, sprechen wird.

Diese allgemeinen Betrachtungen allein reichen freilich nicht ans, die Sache
zu erledigen; sie sollen aber anch nur dazu dienen, die ebenso allgemein gehalte¬
nen und darum unfruchtbaren Gegengründe zu beseitigen. Bei der Beurtheilung
der vorliegenden Frage kommt es lediglich ans zweierlei an. Einmal ans die Un¬
tersuchung darüber, was wir dnrch das Ausgeben unsrer bisherigen Position un¬
mittelbar verlieren, d. h. theils auf das Verhältniß zwischen der projectirten Ge-
meindeordnung und dem von der Negierung octroyirten Provisorium, theils, und
das ist hier wol das Wichtigere, auf den Einfluß, den ein solcher Schritt in
Beziehung aus die allgemeine Landesverfassung haben würde. -- Sodann müssen
wir untersuchen, in welche Stellung unsre Partei dnrch einen entschiedenen und
rücksichtslosen Bruch mit dem jetzt herrschenden Staatsleben sowol zu den De¬
mokraten, als zu den conservativen Kreisen gebracht wird. -- Es ist charakteri¬
stisch, daß die letzte Frage bei allen Debatten darüber in den Vordergrund ge¬
stellt ist. Nur daraus ist die große Theilnahme der Liberalen in den übrigen
Bundesländern an einer Frage zu erklären, die eigentlich zunächst doch nur Preußen
angeht. Es ist in diesem Fall mit einem richtigen Jnstinct das Wesentliche
getroffen worden, denn die Haltung der meisten liberalen Organe in dieser spe¬
ciellen Frage ist nur ein Symptom von dem allgemeinen Zersetznngöprvccß, der
sich in den Mittelparteien überhaupt vorbereitet. Auch wir wollen daher zuerst
diese Seite ins Ange fassen.

Man sucht den passiven Widerstand gegen die ministeriellen Ordonanzen als
einen Act der Partei darzustellen. Dem widerspricht aber zunächst die Unbe¬
stimmtheit Derer, die ihn rathen, in Beziehung auf die weitere Haltung. Einige
dieser Blätter, z. B. die Kölnische und die Breslauer Zeitung, protestiren in
sehr bestimmten Worten gegen den voreiligen Wunsch einiger "Hitzköpfe" in der


Plan zu entwerfen. Es ist auch im bürgerlichen Leben nicht anders. Das Gericht
muß, wie schou erwähnt ist, ausschließlich den Buchstaben des Rechts befolgen; die
Parteien aber werden sich fragen müssen, ob bei der Verfolgung ihrer Rechts¬
ansprüche nicht die Proceßkosten über den Werth des Nechtsobjects hinausgehen.

Eben so irrig scheint es mir, wenn man annimmt, sämmtliche Parteien hätten
sich jetzt darin geeinigt, das Recht als höchste Norm ihres Verfahrens anzuer¬
kennen. Allerdings spricht die Reaction von dem wohlerworbenen Recht der
Provinzialstände, der Kreistage, der Rittergüter u. s. w., und die Demokratie
spricht von dem unveräußerlichen Recht der Urwähler; allein es ist doch Nie¬
mand in Zweifel, daß diese Rechtsansprüche nur Mittel sein sollen, um den
eigentlichen Zweck, Dasjenige, was man für sich oder für den Staat für gut
und für nützlich hält, ins Werk zu setzen, und daß derjenige Gerichtshof, um den
es sich hier handelt, nämlich die Weltgeschichte, sein Urtheil nicht nach dem ab-
stracten Buchstaben der Rechtsbegründung, sondern nach dem materiellen und
positiven Inhalt dessen, was die Parteien wollen, sprechen wird.

Diese allgemeinen Betrachtungen allein reichen freilich nicht ans, die Sache
zu erledigen; sie sollen aber anch nur dazu dienen, die ebenso allgemein gehalte¬
nen und darum unfruchtbaren Gegengründe zu beseitigen. Bei der Beurtheilung
der vorliegenden Frage kommt es lediglich ans zweierlei an. Einmal ans die Un¬
tersuchung darüber, was wir dnrch das Ausgeben unsrer bisherigen Position un¬
mittelbar verlieren, d. h. theils auf das Verhältniß zwischen der projectirten Ge-
meindeordnung und dem von der Negierung octroyirten Provisorium, theils, und
das ist hier wol das Wichtigere, auf den Einfluß, den ein solcher Schritt in
Beziehung aus die allgemeine Landesverfassung haben würde. — Sodann müssen
wir untersuchen, in welche Stellung unsre Partei dnrch einen entschiedenen und
rücksichtslosen Bruch mit dem jetzt herrschenden Staatsleben sowol zu den De¬
mokraten, als zu den conservativen Kreisen gebracht wird. — Es ist charakteri¬
stisch, daß die letzte Frage bei allen Debatten darüber in den Vordergrund ge¬
stellt ist. Nur daraus ist die große Theilnahme der Liberalen in den übrigen
Bundesländern an einer Frage zu erklären, die eigentlich zunächst doch nur Preußen
angeht. Es ist in diesem Fall mit einem richtigen Jnstinct das Wesentliche
getroffen worden, denn die Haltung der meisten liberalen Organe in dieser spe¬
ciellen Frage ist nur ein Symptom von dem allgemeinen Zersetznngöprvccß, der
sich in den Mittelparteien überhaupt vorbereitet. Auch wir wollen daher zuerst
diese Seite ins Ange fassen.

Man sucht den passiven Widerstand gegen die ministeriellen Ordonanzen als
einen Act der Partei darzustellen. Dem widerspricht aber zunächst die Unbe¬
stimmtheit Derer, die ihn rathen, in Beziehung auf die weitere Haltung. Einige
dieser Blätter, z. B. die Kölnische und die Breslauer Zeitung, protestiren in
sehr bestimmten Worten gegen den voreiligen Wunsch einiger „Hitzköpfe" in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/149>, abgerufen am 30.06.2024.