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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Unter normalen Verhältnissen wäre nun die Aufgabe des neuen Ministers
gewesen: die selbstständig gewordene Ungarische Armee in ihrer Verwaltung von
der des Gesammtstaates zu trennen/ eine neue eigene Verwaltung im Laude zu
errichten, die Festungen und Grenzen zu inspiciren und die nöthigen Reformen
vorzunehmen; allein dieser Wirkungskreis, welcher den Kenntnissen und der durch
Patriotismus potenzirten Thätigkeitöliebe dieses Mannes vollkommen entsprochen
hätte, war ihm nicht beschicken, denn das Schicksal hatte ihm eine Rolle zugedacht,
die fast durchaus weder mit seinem Charakter, noch mit seinen -- wie er es selbst
zu nennen pflegte -- dreißigjährigen Reminiscenzen übereinstimmte; und wenn er
während seiner neunmonatlichen Amtirung doch Erstaunliches geleistet hat, so müssen
wir dies einzig und allein seiner Ehrlichkeit und Vaterlandsliebe zuschreiben, die
ihn seine Privatansicht, und was noch mehr, seinen specifisch Oestreichischen Sol¬
datengeist einer Sache opfern hieß, die seinem Rechtsgefühl als die gerechteste
und heiligste erschien. Sein erstes öffentliches Auftreten war Mitte Juni, als
die Italienischen Soldaten vom Regimente Crecopieri in der Karl-Caserne über
die eben daselbst einquartierten, noch unbewaffneten Honvedretrnten herfielen,
mehrere von ihnen tödteten und verwundeten, und sich darauf in der Caserne in
Vertheidigungszustand setzten. Der tapfere Kriegsminister betrat unter einem
dichten Kugelregen die Caserne, und brachte die Italiener zum Gehorsam.

Noch bevor Mvßäros nach Ungarn kam, hatten die Kroatischen und Raijzi-
schen Wirren begonnen, und der neue Kriegsminister mußte sich gleich bei seiner
Ankunft in Kriegszustand erklären. -- Hier gerieth aber bald in ihm der Östrei¬
chische Soldat mit dem constitutionellen Minister in Widerspruch. Er hatte nämlich
zu allen Menschen ein unbegrenztes Zutrauen, und zu dem k. k. Soldaten noch
Etwas mehr. -- Damals war der größte Theil der Ungarischen Truppen im Aus¬
lande, es mußten daher im Anfang andere in Ungarn befindliche Östreichische
Truppen gegen die Ranzen, und eine Zeit lang auch gegen Jellachich verwendet
werden, wozu auch Se. Majestät die nöthige" Befehle ergehen ließ. Ein wirk¬
licher Staatsmann wäre nun darauf bestanden, daß die in den benachbarten Pro¬
vinzen garnisonirenden Ungarischen Truppen sogleich uach Ungarn entlassen würden,
was in einigen Tagen bewerkstelligt werden konnte, damit die fremden Truppen
sobald als möglich entfernt werden könnten. Mvßäros war hochentzückt über die
väterliche Huld des Königs, der den armen Ungarn in ihrer Noth mit seinen
eigenen Truppen zu Hilfe eilte, und hatte die besten Hoffnungen von den Officieren,
die er fast alle persönlich kannte, 'und vou denen er gegen manche eine solche
Verehrung hegte, daß er zu sagen Pflegte: "er sei nicht würdig, ihnen den Schuh-
riemen zu lösen" (Hrabowsky). So kam es, daß Ungarn bei Szene Tamäs und
den Römer-Schanzen von Blomberg, Bechtvld und Piret, in Tcmesvar von
Rukvwina, in Kroatien vou Hrabowsky und an der Donau von Ottinger verrathen
wurde; so kam es, daß Jellachich's Armee sich bei seinem Einfall in Ungarn um


Unter normalen Verhältnissen wäre nun die Aufgabe des neuen Ministers
gewesen: die selbstständig gewordene Ungarische Armee in ihrer Verwaltung von
der des Gesammtstaates zu trennen/ eine neue eigene Verwaltung im Laude zu
errichten, die Festungen und Grenzen zu inspiciren und die nöthigen Reformen
vorzunehmen; allein dieser Wirkungskreis, welcher den Kenntnissen und der durch
Patriotismus potenzirten Thätigkeitöliebe dieses Mannes vollkommen entsprochen
hätte, war ihm nicht beschicken, denn das Schicksal hatte ihm eine Rolle zugedacht,
die fast durchaus weder mit seinem Charakter, noch mit seinen — wie er es selbst
zu nennen pflegte — dreißigjährigen Reminiscenzen übereinstimmte; und wenn er
während seiner neunmonatlichen Amtirung doch Erstaunliches geleistet hat, so müssen
wir dies einzig und allein seiner Ehrlichkeit und Vaterlandsliebe zuschreiben, die
ihn seine Privatansicht, und was noch mehr, seinen specifisch Oestreichischen Sol¬
datengeist einer Sache opfern hieß, die seinem Rechtsgefühl als die gerechteste
und heiligste erschien. Sein erstes öffentliches Auftreten war Mitte Juni, als
die Italienischen Soldaten vom Regimente Crecopieri in der Karl-Caserne über
die eben daselbst einquartierten, noch unbewaffneten Honvedretrnten herfielen,
mehrere von ihnen tödteten und verwundeten, und sich darauf in der Caserne in
Vertheidigungszustand setzten. Der tapfere Kriegsminister betrat unter einem
dichten Kugelregen die Caserne, und brachte die Italiener zum Gehorsam.

Noch bevor Mvßäros nach Ungarn kam, hatten die Kroatischen und Raijzi-
schen Wirren begonnen, und der neue Kriegsminister mußte sich gleich bei seiner
Ankunft in Kriegszustand erklären. — Hier gerieth aber bald in ihm der Östrei¬
chische Soldat mit dem constitutionellen Minister in Widerspruch. Er hatte nämlich
zu allen Menschen ein unbegrenztes Zutrauen, und zu dem k. k. Soldaten noch
Etwas mehr. — Damals war der größte Theil der Ungarischen Truppen im Aus¬
lande, es mußten daher im Anfang andere in Ungarn befindliche Östreichische
Truppen gegen die Ranzen, und eine Zeit lang auch gegen Jellachich verwendet
werden, wozu auch Se. Majestät die nöthige» Befehle ergehen ließ. Ein wirk¬
licher Staatsmann wäre nun darauf bestanden, daß die in den benachbarten Pro¬
vinzen garnisonirenden Ungarischen Truppen sogleich uach Ungarn entlassen würden,
was in einigen Tagen bewerkstelligt werden konnte, damit die fremden Truppen
sobald als möglich entfernt werden könnten. Mvßäros war hochentzückt über die
väterliche Huld des Königs, der den armen Ungarn in ihrer Noth mit seinen
eigenen Truppen zu Hilfe eilte, und hatte die besten Hoffnungen von den Officieren,
die er fast alle persönlich kannte, 'und vou denen er gegen manche eine solche
Verehrung hegte, daß er zu sagen Pflegte: „er sei nicht würdig, ihnen den Schuh-
riemen zu lösen" (Hrabowsky). So kam es, daß Ungarn bei Szene Tamäs und
den Römer-Schanzen von Blomberg, Bechtvld und Piret, in Tcmesvar von
Rukvwina, in Kroatien vou Hrabowsky und an der Donau von Ottinger verrathen
wurde; so kam es, daß Jellachich's Armee sich bei seinem Einfall in Ungarn um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/15>, abgerufen am 30.06.2024.