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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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zu weit, wenn er z. B. den Urias "General" titulirt. General ist ein historischer
Begriff, der in das Zeitalter der Hohenpriester nicht paßt.

Am Meisten ist aber an dein Stück die Energie zu loben, mit welcher der
Dichter seinem Stoff tren bleibt. Er hat die Intrigue einfach und geschickt grup-
pirt, erhält die Spannung in der angemessenen Steigerung, und wendet die
Charaktere so an, wie es für die Handlung nothwendig ist. Der Stoff selbst hat
freilich etwas Bedenkliches, einmal, weil wir ihn schon so genau kennen, daß die
fäußerliche Spannung wegfällt, und dann wegen eines gewagten Nebenumstandes
Bathselm nämlich, das Weib des Urias, ist von David schwanger. Um dieses
zu bemänteln, läßt David den Urias ans dem Lager kommen und will ihn ver¬
suchen, bei seinem Weibe zu schlafen. Erst als dies mißlingt, beschließt er die
Ermordung. -- Allein man ist in neuerer Zeit gegen ähnliche Motive bereits hin¬
länglich nachsichtig geworden, und in unserm Fall hat der Dichter wenigstens das
Verdienst, die sehr naheliegende Lüsternheit vollständig vermieden zu haben. Von
dem physischen Sinnenkitzel, der in gewissen modernen Dramen eine große Rolle
spielt, ist keine Rede.

Die Charaktere sind richtig gezeichnet in ihrer Anlage, so wie in ihrer weitern
Entwickelung. Allein hier fehlt doch noch das Letzte, was den dramatischen Dichter
im höhern Sinne macht: es fehlt die Kühnheit. So ist z. B. die Veränderung
des biblischen Stoffs, nach welchem die Tugend in der Person des Hohenpriesters
der lasterhaften Welt gegenüber steht, in dem Sinne, daß sittliche und weltliche
Gedanken nach beiden Seiten hin in ziemlich gleichem Maß vertheilt werden, eine
glückliche zu nennen, und schon das erste Auftreten des Hohenpriesters, der
zwar heuchelt, allein doch nicht ohne jene Würde ist, die ihm als Vertreter der
Religion zukommt, ist sehr geschickt, allein zum Schluß fehlt die Entschlossenheit,
den Conflict zu einem tragischen zu steigern. Der Dichter hatte die Wahl, in
Bathseba zuletzt entweder die volle Energie des natürlichen Gefühls und das
Bewußtsein von der Hohlheit her sittlichen Welt, die sie verurtheilt, hervortreten
zu lassen, oder einen eben so energischen Neinigungsproccß mit ihr vorzunehmen.
Er hat keines von Beiden gethan; er läßt sie sich blos entschuldigen und das
Mitleid anrufen, was zwar natürlich, aber nicht tragisch ist. Wenn dieser Mangel
einer tragischen Entwickelung dadurch ersetzt werdeu soll, daß die ehrgeizige" Ab¬
sichten des Hohenpriesters scheitern, daß David, den er durch seine Demüthigung
brechen und zu einem gefügigen Werkzeuge der Priester machen wollte, nur um
so härter und selbstständiger ans dieser Buße hervorgeht, so ist das einmal darum
ungenügend, weil David diese Veränderung in seinem Charakter nicht darstellt,
sondern sie nnr referirt. Hebbel hat in seinem "Herodes" einen ganz ähnlichen
Schluß, aber er läßt die neu erworbene Härte wenigstens dadurch augenblicklich
w ein Factum übergehen, daß Herodes den Bethlehemitischer Kindermord be¬
schließt, was freilich auch ein sehr äußerliches Mittel ist. Der Fehler liegt zum


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zu weit, wenn er z. B. den Urias „General" titulirt. General ist ein historischer
Begriff, der in das Zeitalter der Hohenpriester nicht paßt.

Am Meisten ist aber an dein Stück die Energie zu loben, mit welcher der
Dichter seinem Stoff tren bleibt. Er hat die Intrigue einfach und geschickt grup-
pirt, erhält die Spannung in der angemessenen Steigerung, und wendet die
Charaktere so an, wie es für die Handlung nothwendig ist. Der Stoff selbst hat
freilich etwas Bedenkliches, einmal, weil wir ihn schon so genau kennen, daß die
fäußerliche Spannung wegfällt, und dann wegen eines gewagten Nebenumstandes
Bathselm nämlich, das Weib des Urias, ist von David schwanger. Um dieses
zu bemänteln, läßt David den Urias ans dem Lager kommen und will ihn ver¬
suchen, bei seinem Weibe zu schlafen. Erst als dies mißlingt, beschließt er die
Ermordung. — Allein man ist in neuerer Zeit gegen ähnliche Motive bereits hin¬
länglich nachsichtig geworden, und in unserm Fall hat der Dichter wenigstens das
Verdienst, die sehr naheliegende Lüsternheit vollständig vermieden zu haben. Von
dem physischen Sinnenkitzel, der in gewissen modernen Dramen eine große Rolle
spielt, ist keine Rede.

Die Charaktere sind richtig gezeichnet in ihrer Anlage, so wie in ihrer weitern
Entwickelung. Allein hier fehlt doch noch das Letzte, was den dramatischen Dichter
im höhern Sinne macht: es fehlt die Kühnheit. So ist z. B. die Veränderung
des biblischen Stoffs, nach welchem die Tugend in der Person des Hohenpriesters
der lasterhaften Welt gegenüber steht, in dem Sinne, daß sittliche und weltliche
Gedanken nach beiden Seiten hin in ziemlich gleichem Maß vertheilt werden, eine
glückliche zu nennen, und schon das erste Auftreten des Hohenpriesters, der
zwar heuchelt, allein doch nicht ohne jene Würde ist, die ihm als Vertreter der
Religion zukommt, ist sehr geschickt, allein zum Schluß fehlt die Entschlossenheit,
den Conflict zu einem tragischen zu steigern. Der Dichter hatte die Wahl, in
Bathseba zuletzt entweder die volle Energie des natürlichen Gefühls und das
Bewußtsein von der Hohlheit her sittlichen Welt, die sie verurtheilt, hervortreten
zu lassen, oder einen eben so energischen Neinigungsproccß mit ihr vorzunehmen.
Er hat keines von Beiden gethan; er läßt sie sich blos entschuldigen und das
Mitleid anrufen, was zwar natürlich, aber nicht tragisch ist. Wenn dieser Mangel
einer tragischen Entwickelung dadurch ersetzt werdeu soll, daß die ehrgeizige» Ab¬
sichten des Hohenpriesters scheitern, daß David, den er durch seine Demüthigung
brechen und zu einem gefügigen Werkzeuge der Priester machen wollte, nur um
so härter und selbstständiger ans dieser Buße hervorgeht, so ist das einmal darum
ungenügend, weil David diese Veränderung in seinem Charakter nicht darstellt,
sondern sie nnr referirt. Hebbel hat in seinem „Herodes" einen ganz ähnlichen
Schluß, aber er läßt die neu erworbene Härte wenigstens dadurch augenblicklich
w ein Factum übergehen, daß Herodes den Bethlehemitischer Kindermord be¬
schließt, was freilich auch ein sehr äußerliches Mittel ist. Der Fehler liegt zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/137>, abgerufen am 02.07.2024.