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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Das Weib des Urias. Tragödie in fünf Acten von Alfred Meißner.
Leipzig, Herbig.

Wenn es überhaupt schwer ist, ans der Gewohnheit der lyrischen Sprache
in die dramatische überzugehen, so steigert sich diese Schwierigkeit in unsrer Zeit
noch bedeutend durch die vollständige Herrschaft der Reflexion über unsre lyrische
Poesie. Unsre Sänger geben uns die Empfindungen nnr noch ans der zweiten
Hand; sie geben uns nur die Einfalle- und Betrachtungen, die ihnen bei den
schon hundertfältig dargestellten Empfindungen aufsteigen. Daraus ist jene Sprache
hervorgegangen, in der das Herz, auch indem es empfindet, sich selber zum Gegen¬
stand macht, sich gegen sich selber kritisch verhält. Von allen Deutschen Dichtern
sind es wieder die Oestreichischen, welche dieser Reflexionspoesie den meisten Raum
verstattet haben, denn ihre Empfindungsweise ist nicht naturwüchsig, sie hat sich
an fremdem Feuer genährt. Es giebt aber keinen schlimmern Fehler für die
dramatische Sprache, als dieses beständige Heraustreten aus sich selbst, diese Ge¬
wohnheit, sich auch im Affect im Spiegel zu betrachten.

ES ist daher kein geringes Verdienst von Herrn Meißner, der als lyrischer
Poet von den genannten Fehlern keineswegs frei ist, wenn er sich gleich bei seinem
ersten Versuch in den dramatischen Ton glücklich gefunden hat. Seine Sprache
ist einfach und im Ganzen edel, wenn auch in dieser Beziehung eine größere
Strenge zu wünschen wäre. Nur noch hin und wieder finden sich einzelne lyrische
Extravaganzen, z. B. wenn Absalom erklärt, sein Wesen sei weich, aber "fort,
weiches Fühlen, ich reiß' Dich aus", oder wenn David über die "Verkörperung
seines Glnckü" spricht, und ein andermal den "Sturm aufwallender Gefühle ver¬
loben läßt", oder wenn Absalom'S Vertrauter zu Demselben sagt, als er sich gerade
sehr heftig gegen seinen Vater ausspricht: "Halt' diese Stimmung fest, und Dn
wirst siegen", oder wenn Urias bemerkt: "Mein Wesen hat nicht zwei Mittelpunkte."
Alle diese Ausdrücke siud uicht unrichtig, aber sie sind der conventionellen Reflexion
entlehnt und darum undramatisch. Im Drama wollen wir unmittelbar sehen, wie
die Helden empfinden, sie sollen es uns nicht erst erzählen.

Was das Colorit betrifft, so hat es der Dichter verschmäht, sich der nahe-
liegenden biblischen Sprache zu bedienen. Im Allgemeinen ist der Grundsatz
und-ig. In welcher Zeit und in welchem Volke auch der Gegenstand spielt, wie
wollen uur unsre eigenen Ideale sehen, nicht fremde. Indessen hätte in diesem
Fall ein schonender Gebrauch der Bibel Nichts geschadet, weil ihre Sprache an
sich poetisch und weil sie uns vollkommen geläufig ist. Racine hat in seiner
Athalie diese Modernisirung der biblischen Sprache mit ziemlichem Glück durch¬
geführt. Herr Meißner geht in der an sich richtigen Nichtachtung des Cvlorirs


' U.
Das Weib des Urias. Tragödie in fünf Acten von Alfred Meißner.
Leipzig, Herbig.

Wenn es überhaupt schwer ist, ans der Gewohnheit der lyrischen Sprache
in die dramatische überzugehen, so steigert sich diese Schwierigkeit in unsrer Zeit
noch bedeutend durch die vollständige Herrschaft der Reflexion über unsre lyrische
Poesie. Unsre Sänger geben uns die Empfindungen nnr noch ans der zweiten
Hand; sie geben uns nur die Einfalle- und Betrachtungen, die ihnen bei den
schon hundertfältig dargestellten Empfindungen aufsteigen. Daraus ist jene Sprache
hervorgegangen, in der das Herz, auch indem es empfindet, sich selber zum Gegen¬
stand macht, sich gegen sich selber kritisch verhält. Von allen Deutschen Dichtern
sind es wieder die Oestreichischen, welche dieser Reflexionspoesie den meisten Raum
verstattet haben, denn ihre Empfindungsweise ist nicht naturwüchsig, sie hat sich
an fremdem Feuer genährt. Es giebt aber keinen schlimmern Fehler für die
dramatische Sprache, als dieses beständige Heraustreten aus sich selbst, diese Ge¬
wohnheit, sich auch im Affect im Spiegel zu betrachten.

ES ist daher kein geringes Verdienst von Herrn Meißner, der als lyrischer
Poet von den genannten Fehlern keineswegs frei ist, wenn er sich gleich bei seinem
ersten Versuch in den dramatischen Ton glücklich gefunden hat. Seine Sprache
ist einfach und im Ganzen edel, wenn auch in dieser Beziehung eine größere
Strenge zu wünschen wäre. Nur noch hin und wieder finden sich einzelne lyrische
Extravaganzen, z. B. wenn Absalom erklärt, sein Wesen sei weich, aber „fort,
weiches Fühlen, ich reiß' Dich aus", oder wenn David über die „Verkörperung
seines Glnckü" spricht, und ein andermal den „Sturm aufwallender Gefühle ver¬
loben läßt", oder wenn Absalom'S Vertrauter zu Demselben sagt, als er sich gerade
sehr heftig gegen seinen Vater ausspricht: „Halt' diese Stimmung fest, und Dn
wirst siegen", oder wenn Urias bemerkt: „Mein Wesen hat nicht zwei Mittelpunkte."
Alle diese Ausdrücke siud uicht unrichtig, aber sie sind der conventionellen Reflexion
entlehnt und darum undramatisch. Im Drama wollen wir unmittelbar sehen, wie
die Helden empfinden, sie sollen es uns nicht erst erzählen.

Was das Colorit betrifft, so hat es der Dichter verschmäht, sich der nahe-
liegenden biblischen Sprache zu bedienen. Im Allgemeinen ist der Grundsatz
und-ig. In welcher Zeit und in welchem Volke auch der Gegenstand spielt, wie
wollen uur unsre eigenen Ideale sehen, nicht fremde. Indessen hätte in diesem
Fall ein schonender Gebrauch der Bibel Nichts geschadet, weil ihre Sprache an
sich poetisch und weil sie uns vollkommen geläufig ist. Racine hat in seiner
Athalie diese Modernisirung der biblischen Sprache mit ziemlichem Glück durch¬
geführt. Herr Meißner geht in der an sich richtigen Nichtachtung des Cvlorirs


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[0136] ' U. Das Weib des Urias. Tragödie in fünf Acten von Alfred Meißner. Leipzig, Herbig. Wenn es überhaupt schwer ist, ans der Gewohnheit der lyrischen Sprache in die dramatische überzugehen, so steigert sich diese Schwierigkeit in unsrer Zeit noch bedeutend durch die vollständige Herrschaft der Reflexion über unsre lyrische Poesie. Unsre Sänger geben uns die Empfindungen nnr noch ans der zweiten Hand; sie geben uns nur die Einfalle- und Betrachtungen, die ihnen bei den schon hundertfältig dargestellten Empfindungen aufsteigen. Daraus ist jene Sprache hervorgegangen, in der das Herz, auch indem es empfindet, sich selber zum Gegen¬ stand macht, sich gegen sich selber kritisch verhält. Von allen Deutschen Dichtern sind es wieder die Oestreichischen, welche dieser Reflexionspoesie den meisten Raum verstattet haben, denn ihre Empfindungsweise ist nicht naturwüchsig, sie hat sich an fremdem Feuer genährt. Es giebt aber keinen schlimmern Fehler für die dramatische Sprache, als dieses beständige Heraustreten aus sich selbst, diese Ge¬ wohnheit, sich auch im Affect im Spiegel zu betrachten. ES ist daher kein geringes Verdienst von Herrn Meißner, der als lyrischer Poet von den genannten Fehlern keineswegs frei ist, wenn er sich gleich bei seinem ersten Versuch in den dramatischen Ton glücklich gefunden hat. Seine Sprache ist einfach und im Ganzen edel, wenn auch in dieser Beziehung eine größere Strenge zu wünschen wäre. Nur noch hin und wieder finden sich einzelne lyrische Extravaganzen, z. B. wenn Absalom erklärt, sein Wesen sei weich, aber „fort, weiches Fühlen, ich reiß' Dich aus", oder wenn David über die „Verkörperung seines Glnckü" spricht, und ein andermal den „Sturm aufwallender Gefühle ver¬ loben läßt", oder wenn Absalom'S Vertrauter zu Demselben sagt, als er sich gerade sehr heftig gegen seinen Vater ausspricht: „Halt' diese Stimmung fest, und Dn wirst siegen", oder wenn Urias bemerkt: „Mein Wesen hat nicht zwei Mittelpunkte." Alle diese Ausdrücke siud uicht unrichtig, aber sie sind der conventionellen Reflexion entlehnt und darum undramatisch. Im Drama wollen wir unmittelbar sehen, wie die Helden empfinden, sie sollen es uns nicht erst erzählen. Was das Colorit betrifft, so hat es der Dichter verschmäht, sich der nahe- liegenden biblischen Sprache zu bedienen. Im Allgemeinen ist der Grundsatz und-ig. In welcher Zeit und in welchem Volke auch der Gegenstand spielt, wie wollen uur unsre eigenen Ideale sehen, nicht fremde. Indessen hätte in diesem Fall ein schonender Gebrauch der Bibel Nichts geschadet, weil ihre Sprache an sich poetisch und weil sie uns vollkommen geläufig ist. Racine hat in seiner Athalie diese Modernisirung der biblischen Sprache mit ziemlichem Glück durch¬ geführt. Herr Meißner geht in der an sich richtigen Nichtachtung des Cvlorirs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/136>, abgerufen am 02.07.2024.