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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Theil schon darin, daß das Verhältniß zwischen David und Nathan, welchem durch
die Liebesgeschichte nur die Gelegenheit zum Eclat geboten wird, nicht deutlich
genug auseinandergesetzt ist. Die Intention dazu ist vorhanden, z. B. ist die
Figur des Mephiboseth offenbar nur dazu da, um die gemeinschaftliche Schuld
des Priesters und des Königs gegen ein früheres Königsgeschlecht anzudeuten;
die Figur des Absalom nur dazu, um uns einen Blick in die innern Conflicte
der Königsfamilie zu geben, und dadurch die allgemeinere Grundlage für das ein¬
zelne gewaltsame und hinterlistige Verfahren David's zu gewinnen. So wird
anch mit Absicht ans die frühern Heldenthaten David's hingedeutet. Aber es
fehlt die gewaltigere Ausführung eines Conflicts, zu der die Anlage vorhanden
war. David ist ein Werkzeug der Priester gegen Saul gewesen; er ist aber
zugleich el" Held, und hat sich von ihrem Einfluß emancipirt. Die Kraft, die zu
dieser Befreiung nöthig war, führt ihn zugleich auf Irrwege, er wird ein Tyrann
gegen seine Familie, ein Verräther an seinen treuen Vasallen. Diese Frevel
geben ihn wieder in die Macht der Priester -- deren Einfluß auf das Volk
beiläufig mit etwas größeren theatralischen Aufwand hätte dargestellt werden
sollen. In dieser Demüthigung geht er aber zugleich in sich, er lernt die Un-
heiligkeit jener Stütze, die ihn bisher getragen, kennen, und gewinnt dadurch die
Fähigkeit, sie zu beherrsche". So ungefähr hätte das Ganze einen größern
ethischen Zusammenhang gewonnen, wenn dieser Gang in alle einzelnen Züge
verwebt wäre.

Da sich in einzelnen Zügen ein glückliches Talent für Charakteristik zeigt,
anch in den Nebenfiguren, z. B. bei Joab, und da sich in dem Ganzen ein
ernstes, gewissenhaftes Streben ausspricht, so können wir für Meißner's dramatische
Zukunft die besten Hoffnungen hegen.


l>1.
Drei Schauspiele von Anton Gubitz, Berlin, VcreinSbuchhcmdlung.

Wir haben es hier mit einem Freunde zu thun, aber das hat natürlich ans
unsre Kritik keinen Einfluß. Der Verfasser sagt in der Vorrede selbst, daß er
die vorliegenden Dramen nnr als Uebergangsstudien betrachtet, und wir müssen
diese Ansicht bestätigen, aber es sind ernste, würdige Studien eines Mannes,
der sich ein klares Bewußtsein über deu Zweck der dramatischen Kunst gebil¬
det hat. Während bei Meißner die Schwierigkeit darin lag, aus der lyri¬
schen Sprache und Anschauungsweise ins dramatische Gebiet überzugehen, hat
Gubijz eine andere bedenkliche Voraussetzung zu überwinden. Er ist an philoso¬
phisches Denken und Spreche" gewöhnt, und wie schwer es ist, spater bei freiern
Erzeugnissen den Staub der Reflexion von uns abzuschütteln, den wir bei dem
mühsamen, streng eingehaltenen Weg der Schule einsammelten, weiß ein Jeder,


Theil schon darin, daß das Verhältniß zwischen David und Nathan, welchem durch
die Liebesgeschichte nur die Gelegenheit zum Eclat geboten wird, nicht deutlich
genug auseinandergesetzt ist. Die Intention dazu ist vorhanden, z. B. ist die
Figur des Mephiboseth offenbar nur dazu da, um die gemeinschaftliche Schuld
des Priesters und des Königs gegen ein früheres Königsgeschlecht anzudeuten;
die Figur des Absalom nur dazu, um uns einen Blick in die innern Conflicte
der Königsfamilie zu geben, und dadurch die allgemeinere Grundlage für das ein¬
zelne gewaltsame und hinterlistige Verfahren David's zu gewinnen. So wird
anch mit Absicht ans die frühern Heldenthaten David's hingedeutet. Aber es
fehlt die gewaltigere Ausführung eines Conflicts, zu der die Anlage vorhanden
war. David ist ein Werkzeug der Priester gegen Saul gewesen; er ist aber
zugleich el» Held, und hat sich von ihrem Einfluß emancipirt. Die Kraft, die zu
dieser Befreiung nöthig war, führt ihn zugleich auf Irrwege, er wird ein Tyrann
gegen seine Familie, ein Verräther an seinen treuen Vasallen. Diese Frevel
geben ihn wieder in die Macht der Priester — deren Einfluß auf das Volk
beiläufig mit etwas größeren theatralischen Aufwand hätte dargestellt werden
sollen. In dieser Demüthigung geht er aber zugleich in sich, er lernt die Un-
heiligkeit jener Stütze, die ihn bisher getragen, kennen, und gewinnt dadurch die
Fähigkeit, sie zu beherrsche». So ungefähr hätte das Ganze einen größern
ethischen Zusammenhang gewonnen, wenn dieser Gang in alle einzelnen Züge
verwebt wäre.

Da sich in einzelnen Zügen ein glückliches Talent für Charakteristik zeigt,
anch in den Nebenfiguren, z. B. bei Joab, und da sich in dem Ganzen ein
ernstes, gewissenhaftes Streben ausspricht, so können wir für Meißner's dramatische
Zukunft die besten Hoffnungen hegen.


l>1.
Drei Schauspiele von Anton Gubitz, Berlin, VcreinSbuchhcmdlung.

Wir haben es hier mit einem Freunde zu thun, aber das hat natürlich ans
unsre Kritik keinen Einfluß. Der Verfasser sagt in der Vorrede selbst, daß er
die vorliegenden Dramen nnr als Uebergangsstudien betrachtet, und wir müssen
diese Ansicht bestätigen, aber es sind ernste, würdige Studien eines Mannes,
der sich ein klares Bewußtsein über deu Zweck der dramatischen Kunst gebil¬
det hat. Während bei Meißner die Schwierigkeit darin lag, aus der lyri¬
schen Sprache und Anschauungsweise ins dramatische Gebiet überzugehen, hat
Gubijz eine andere bedenkliche Voraussetzung zu überwinden. Er ist an philoso¬
phisches Denken und Spreche» gewöhnt, und wie schwer es ist, spater bei freiern
Erzeugnissen den Staub der Reflexion von uns abzuschütteln, den wir bei dem
mühsamen, streng eingehaltenen Weg der Schule einsammelten, weiß ein Jeder,


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[0138] Theil schon darin, daß das Verhältniß zwischen David und Nathan, welchem durch die Liebesgeschichte nur die Gelegenheit zum Eclat geboten wird, nicht deutlich genug auseinandergesetzt ist. Die Intention dazu ist vorhanden, z. B. ist die Figur des Mephiboseth offenbar nur dazu da, um die gemeinschaftliche Schuld des Priesters und des Königs gegen ein früheres Königsgeschlecht anzudeuten; die Figur des Absalom nur dazu, um uns einen Blick in die innern Conflicte der Königsfamilie zu geben, und dadurch die allgemeinere Grundlage für das ein¬ zelne gewaltsame und hinterlistige Verfahren David's zu gewinnen. So wird anch mit Absicht ans die frühern Heldenthaten David's hingedeutet. Aber es fehlt die gewaltigere Ausführung eines Conflicts, zu der die Anlage vorhanden war. David ist ein Werkzeug der Priester gegen Saul gewesen; er ist aber zugleich el» Held, und hat sich von ihrem Einfluß emancipirt. Die Kraft, die zu dieser Befreiung nöthig war, führt ihn zugleich auf Irrwege, er wird ein Tyrann gegen seine Familie, ein Verräther an seinen treuen Vasallen. Diese Frevel geben ihn wieder in die Macht der Priester — deren Einfluß auf das Volk beiläufig mit etwas größeren theatralischen Aufwand hätte dargestellt werden sollen. In dieser Demüthigung geht er aber zugleich in sich, er lernt die Un- heiligkeit jener Stütze, die ihn bisher getragen, kennen, und gewinnt dadurch die Fähigkeit, sie zu beherrsche». So ungefähr hätte das Ganze einen größern ethischen Zusammenhang gewonnen, wenn dieser Gang in alle einzelnen Züge verwebt wäre. Da sich in einzelnen Zügen ein glückliches Talent für Charakteristik zeigt, anch in den Nebenfiguren, z. B. bei Joab, und da sich in dem Ganzen ein ernstes, gewissenhaftes Streben ausspricht, so können wir für Meißner's dramatische Zukunft die besten Hoffnungen hegen. l>1. Drei Schauspiele von Anton Gubitz, Berlin, VcreinSbuchhcmdlung. Wir haben es hier mit einem Freunde zu thun, aber das hat natürlich ans unsre Kritik keinen Einfluß. Der Verfasser sagt in der Vorrede selbst, daß er die vorliegenden Dramen nnr als Uebergangsstudien betrachtet, und wir müssen diese Ansicht bestätigen, aber es sind ernste, würdige Studien eines Mannes, der sich ein klares Bewußtsein über deu Zweck der dramatischen Kunst gebil¬ det hat. Während bei Meißner die Schwierigkeit darin lag, aus der lyri¬ schen Sprache und Anschauungsweise ins dramatische Gebiet überzugehen, hat Gubijz eine andere bedenkliche Voraussetzung zu überwinden. Er ist an philoso¬ phisches Denken und Spreche» gewöhnt, und wie schwer es ist, spater bei freiern Erzeugnissen den Staub der Reflexion von uns abzuschütteln, den wir bei dem mühsamen, streng eingehaltenen Weg der Schule einsammelten, weiß ein Jeder,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/138>, abgerufen am 02.07.2024.