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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Von diesem ""gesunden Verhältniß zwischen einem Verliebten, der dreißig Jahre
hindurch glaubt und anbetet, und einem coquetten Frauenzimmer, welches ohne
alle Spur einer tiefern Empfindung ist, sehen wir also eigentlich nnr vier Epi¬
soden. Wir bedauern zwar den guten Dichter, aber wir tonnen uns doch
einer gewissen Gcriugschaizuug nicht erwehren. Dreißig Jahre lang von einer
Coquette an der Nase herumgeführt zu werden, nud endlich vor Kummer darüber
zu sterben, das ist zu stark. Es ist zu raffinirt, um wahr zu sei", "ut wenn
es wahr wäre, zu kläglich, um eine lebendige Theilnahme zu erregen.

Bei der Einförmigkeit des eigentlichen Inhalts verfällt das Stück in
die entgegengesetzte Tendenz, als es die Absicht der Dichterin war. Unsre
Aufmerksamkeit wendet sich sogleich ans das Materielle, auf das Costum und die
äußern Situationen. Gerade dieses ist mit einem unnachahmlichen Zauber
dargestellt. Der erste Act, das Frühstück einer herumziehenden Schauspielerbande
im Walde, belebt dnrch die Erscheinung des flüchtigen Prinzen von Conto, dem
Molle-re in der Eile einige moralische Vorlesungen hält, in den folgenden Acten
das Schauspielcrleben bei Hofe mit obligater Besprechung der verschiedenen Stücke
von Moliöre und des welthistorischen Nuff, den er bereits sich erworben hat,
das Alles zerstreut "us mehr, als daß es in Beziehung auf die Hauptsache u"ser
Verstä"d"iß und unsre Empfindung aufklärte. Gerade weil im Dichter eine
Doppelnatur geschildert werden soll, der Dichter und der Mensch, empfangen
wir vo" Keinem von Beiden einen reinen Eindruck.

Wir haben dieses falsche Streben unsrer neuen Poeten, ihr eigenes Wesen
zum Gegenstand des Drama's zu machen, bereits mehrfach berührt, und können
uns daher hier mit einigen Andeutungen begnügen. Das Unpassende dieses
Versuchs liegt einmal darin, daß die künstlerische, namentlich die dichterische
Thätigkeit am Wenigsten zu versinnlichen ist. Uns einen Cäsar, einen Wallen-
stein, einen großen Churfürsten u. tgi. zu versinnlichen, ist nicht schwer, wenn
man überhaupt dramatisches Talent hat, den" theils ist das Wehe" des Helden-
thums zum Theil el" äußerliches, springt ""mittelbar i" die Augen, n"d laßt sich
allenfalls auch durch einige kleine Taschenspielerstreiche ergänzen, theils aber, und
das ist die Hauptsache, fällt es mit den übrigen menschlichen Eigenschaften zusammen.
Der Held als Gegenstand des Drama's kann und soll uus in jedem Auge"blick und
in jedem Verhältniß als Held erscheine". Bei dein Dichter ist i" beide" Punk¬
ten das Entgegengesetzte der Fall. Seine Thätigkeit hat gar nichts Aeußerliches,
sie kann uns daher nicht dargestellt, sondern nur durch Referate erläutert werden.
Wir sehen seine" Werth nicht unmittelbar, sonder" nur in den Angen des ans
der Bühne vorhandenen Publicums, welches ihn anschwärmt. Diese Art der Dar¬
stellung ist aber undramatisch. Was ferner den zweiten Punkt betrifft, so kommt
es zwar häufig genug vor, daß der Dichter auch im Leben in jedem Augenblick
nicht blos den Menschen, sondern auch den Dichter geltend macht; wenn das


Von diesem »»gesunden Verhältniß zwischen einem Verliebten, der dreißig Jahre
hindurch glaubt und anbetet, und einem coquetten Frauenzimmer, welches ohne
alle Spur einer tiefern Empfindung ist, sehen wir also eigentlich nnr vier Epi¬
soden. Wir bedauern zwar den guten Dichter, aber wir tonnen uns doch
einer gewissen Gcriugschaizuug nicht erwehren. Dreißig Jahre lang von einer
Coquette an der Nase herumgeführt zu werden, nud endlich vor Kummer darüber
zu sterben, das ist zu stark. Es ist zu raffinirt, um wahr zu sei», »ut wenn
es wahr wäre, zu kläglich, um eine lebendige Theilnahme zu erregen.

Bei der Einförmigkeit des eigentlichen Inhalts verfällt das Stück in
die entgegengesetzte Tendenz, als es die Absicht der Dichterin war. Unsre
Aufmerksamkeit wendet sich sogleich ans das Materielle, auf das Costum und die
äußern Situationen. Gerade dieses ist mit einem unnachahmlichen Zauber
dargestellt. Der erste Act, das Frühstück einer herumziehenden Schauspielerbande
im Walde, belebt dnrch die Erscheinung des flüchtigen Prinzen von Conto, dem
Molle-re in der Eile einige moralische Vorlesungen hält, in den folgenden Acten
das Schauspielcrleben bei Hofe mit obligater Besprechung der verschiedenen Stücke
von Moliöre und des welthistorischen Nuff, den er bereits sich erworben hat,
das Alles zerstreut »us mehr, als daß es in Beziehung auf die Hauptsache u»ser
Verstä»d»iß und unsre Empfindung aufklärte. Gerade weil im Dichter eine
Doppelnatur geschildert werden soll, der Dichter und der Mensch, empfangen
wir vo» Keinem von Beiden einen reinen Eindruck.

Wir haben dieses falsche Streben unsrer neuen Poeten, ihr eigenes Wesen
zum Gegenstand des Drama's zu machen, bereits mehrfach berührt, und können
uns daher hier mit einigen Andeutungen begnügen. Das Unpassende dieses
Versuchs liegt einmal darin, daß die künstlerische, namentlich die dichterische
Thätigkeit am Wenigsten zu versinnlichen ist. Uns einen Cäsar, einen Wallen-
stein, einen großen Churfürsten u. tgi. zu versinnlichen, ist nicht schwer, wenn
man überhaupt dramatisches Talent hat, den» theils ist das Wehe» des Helden-
thums zum Theil el» äußerliches, springt »»mittelbar i» die Augen, n»d laßt sich
allenfalls auch durch einige kleine Taschenspielerstreiche ergänzen, theils aber, und
das ist die Hauptsache, fällt es mit den übrigen menschlichen Eigenschaften zusammen.
Der Held als Gegenstand des Drama's kann und soll uus in jedem Auge»blick und
in jedem Verhältniß als Held erscheine». Bei dein Dichter ist i» beide» Punk¬
ten das Entgegengesetzte der Fall. Seine Thätigkeit hat gar nichts Aeußerliches,
sie kann uns daher nicht dargestellt, sondern nur durch Referate erläutert werden.
Wir sehen seine» Werth nicht unmittelbar, sonder» nur in den Angen des ans
der Bühne vorhandenen Publicums, welches ihn anschwärmt. Diese Art der Dar¬
stellung ist aber undramatisch. Was ferner den zweiten Punkt betrifft, so kommt
es zwar häufig genug vor, daß der Dichter auch im Leben in jedem Augenblick
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/134>, abgerufen am 02.07.2024.