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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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den verschiedensten Metamorphosen den Nationalismus bekämpft hat. Auch sie
hat eine beliebige Summe von Dogmen, die ihrer Stimmung convenirteu, unit
dem ausschließlichen Stempel des specifisch Christlichen bezeichnet; anch sie hat
die Kunst der Zurechtmacherei mit großem Eiser getrieben; auch sie hat das
thatsächliche Verhältniß einer außer ihr bestehenden, sehr weit verbreiteten irreligiösen
Gesinnung entweder ignorirt, oder als eine blos zufällige, zum Theil böswillige
Verirrung bezeichnet. -- Wir haben uns in unsrer religiösen Kritik so gehalten,
daß wir die historische Erscheinung des Christenthums mit derselben Objectivität,
wie jede andere historische Erscheinung, zu zergliedern suchten, daß wir in Be¬
ziehung aus die Logik so verfuhren, als wäre keine christliche Voraussetzung vor¬
handen, daß wir dagegen in der Anerkennung des gegenwärtigen Christenthums
und seiner Formen wie mit einer nicht wcgzuläugnenden Thatsache rechneten. --
In der Aufklärung erkennen wir keine Schranke und keine Bedingung an; wir
halten das Gesetz der Vernunft für allgemein und unbedingt, und gestatten keine Aus¬
nahme. Dagegen wollen wir die historische Welt nicht nach den Sätzen der
Logik construiren, sondern nach ihrer eigenen Natur behandeln. Für uns ist weder
das Wort noch die Tradition eine Autorität; wir werden aber nicht läugnen, daß
sie es sür Viele siud, und wir werden in dieser concreten Welt der Erscheinung
an Charakteren, wie Jeremias Gotthelf, Verstandeöansichten und Gefühlsrich-
tungen, die für uns einem überwundenen Standpunkt angehören, nicht nnr psy¬
chologisch zu begreifen, souderu auch in ihrem geschichtlichen, freilich bedingten Recht
anzuerkennen streben, so wie wir in der Politik die Ungleichheit der Menschen
und ihre verschiedenen sittlichen Voraussetzungen als Factoren unsrer Rechnung
betrachte".

Unsre Leser mögen es uns verzeihen, wenn wir uns in dieser Episode aus¬
nahmsweise mit uns selbst beschäftigt haben. Wir gehen sofort auf die objective
concrete Welt über, die unser eigentlicher Gegenstand ist.




L Ä z r M ": ß A r v s.

Dieser erste, und" mu' die Bildung nud Organisation der Ungarischen Armee
hochverdiente Kriegsminister und Feldmarschalllieutenant, ist neben Kossuth, Görgei
und Bem die inMessauteste.Erscheinung, welche die Ungarische Nevvlutionsepoche
hervorbrachte. Ueber sein früheres Leben ist bisher nnr so viel bekannt, dech er,
im Bacher Comitat von adeligen Magyarischen Aeltern geboren, schon in früher
Jugend in den Militairstaud trat, wo er allmälig bis zum Range eines Obersten
avancirte, welche Charge er im März 1-848 bei dem Hußarenregjment "König
von Sardinien" - jetzt "Radetzky" - bekleidete, und im Italienischen Feldzuge


den verschiedensten Metamorphosen den Nationalismus bekämpft hat. Auch sie
hat eine beliebige Summe von Dogmen, die ihrer Stimmung convenirteu, unit
dem ausschließlichen Stempel des specifisch Christlichen bezeichnet; anch sie hat
die Kunst der Zurechtmacherei mit großem Eiser getrieben; auch sie hat das
thatsächliche Verhältniß einer außer ihr bestehenden, sehr weit verbreiteten irreligiösen
Gesinnung entweder ignorirt, oder als eine blos zufällige, zum Theil böswillige
Verirrung bezeichnet. — Wir haben uns in unsrer religiösen Kritik so gehalten,
daß wir die historische Erscheinung des Christenthums mit derselben Objectivität,
wie jede andere historische Erscheinung, zu zergliedern suchten, daß wir in Be¬
ziehung aus die Logik so verfuhren, als wäre keine christliche Voraussetzung vor¬
handen, daß wir dagegen in der Anerkennung des gegenwärtigen Christenthums
und seiner Formen wie mit einer nicht wcgzuläugnenden Thatsache rechneten. —
In der Aufklärung erkennen wir keine Schranke und keine Bedingung an; wir
halten das Gesetz der Vernunft für allgemein und unbedingt, und gestatten keine Aus¬
nahme. Dagegen wollen wir die historische Welt nicht nach den Sätzen der
Logik construiren, sondern nach ihrer eigenen Natur behandeln. Für uns ist weder
das Wort noch die Tradition eine Autorität; wir werden aber nicht läugnen, daß
sie es sür Viele siud, und wir werden in dieser concreten Welt der Erscheinung
an Charakteren, wie Jeremias Gotthelf, Verstandeöansichten und Gefühlsrich-
tungen, die für uns einem überwundenen Standpunkt angehören, nicht nnr psy¬
chologisch zu begreifen, souderu auch in ihrem geschichtlichen, freilich bedingten Recht
anzuerkennen streben, so wie wir in der Politik die Ungleichheit der Menschen
und ihre verschiedenen sittlichen Voraussetzungen als Factoren unsrer Rechnung
betrachte».

Unsre Leser mögen es uns verzeihen, wenn wir uns in dieser Episode aus¬
nahmsweise mit uns selbst beschäftigt haben. Wir gehen sofort auf die objective
concrete Welt über, die unser eigentlicher Gegenstand ist.




L Ä z r M «: ß A r v s.

Dieser erste, und" mu' die Bildung nud Organisation der Ungarischen Armee
hochverdiente Kriegsminister und Feldmarschalllieutenant, ist neben Kossuth, Görgei
und Bem die inMessauteste.Erscheinung, welche die Ungarische Nevvlutionsepoche
hervorbrachte. Ueber sein früheres Leben ist bisher nnr so viel bekannt, dech er,
im Bacher Comitat von adeligen Magyarischen Aeltern geboren, schon in früher
Jugend in den Militairstaud trat, wo er allmälig bis zum Range eines Obersten
avancirte, welche Charge er im März 1-848 bei dem Hußarenregjment „König
von Sardinien" - jetzt „Radetzky" - bekleidete, und im Italienischen Feldzuge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/13>, abgerufen am 30.06.2024.