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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Man möge diese Darstellung als eine Warnung betrachten gegen jenes ver¬
derbliche Princip der neufranzösischen Romantik, bei dem alle Kunst zu Grunde
gehen muß, jeues Princip, das sich auf den Spruch der Makbcth'schen Hexe zu¬
rückführt: Schön ist hässlich, häßlich schön. Was die Schule Victor Hugo's in
Frankreich, die Schule Heine'S in Deutschland, wenn nicht zum Glaubensartikel,
so doch wenigstens zur Gewohnheit gemacht hat, die Vorliebe für Verbrecher, für
körperliche und geistige Monstrositäten, für unvereinbare Contraste, ist anch an
dem nüchternen Engländer nicht ohne Spur vorübergegangen, und die Kritik aller
drei Nationen sollte es sich zur gemeinsamen Aufgabe machen, diesen seelenlosen
I. S. Materialismus in der Kunst eben so zu bekämpfen, wie im Leben.




W o es e n s es a u.
Die kleinen Leiden der Reaction.

-- Es ist ein tragikomisches Schau¬
spiel, daß gerade in dein Augenblicke, wo durch die Ernennung des Herrn v. Bismark
zum Bundestagsgesandter, des Herrn v. Kleist zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz,
die Vollblutrcaction auch officiell vom Preußischen Ministerium anerkannt worden ist, die
Blätter der verschiedenen Nuancen anfangen, sich mit großer Leidenschaftlichkeit einander
zu befehden. Die Kreuzblätter verkündigen anch in diesem von ihm sonst so freundlich
protcgirten Ministerium eine innere Spaltung, und scheinen geneigt, den allzu liberalen
Herrn v. Manteuffel fallen zu lassen. Die officiellen Adlerblätter treten mit großem
Zorn gegen diese Anmaßungen des Kreuzes aus, nud erklären nicht blos, daß in dem
Schooß der Regierung die vollständigste Eintracht herrscht, und daß der Ministerpräsident
keineswegs rothrcpublikauischcu Tendenzen huldigt, sondern sie suchen anch nachzuweisen,
daß die Ernennung der beiden Herren, die Anfangs so auffiel, daß man sie für einen
schlechten Witz hielt, keineswegs einen Uebertritt des Ministeriums zur Krcuzpartci.
souderu einen Uebertritt dieser Herren zur Adlcrpartei anzeige. Beinahe sollte man auf
die Vermuthung kommen, die Ministeriellen seien über die Angriffe der Kreuzzeitung höchst
zufrieden, und suchten dieselben sogar gewissermaßen zu provociren, um eine rioii'v
zu haben, die man überall aufzeige" könnte, zum Beweis, daß man "och nicht der
allcrschwärzesten Reaction angehörte. Aber es ist doch in diesen gegenseitigen Liebes¬
erklärungen ein so bittersüßer Ton, daß ma" an einer gewissen Aufrichtigkeit dieser
Empfindungen nicht zweifeln kann. Man muß sich überhaupt hüten, das Ministerium
für den Ausdruck eines bestimmten, bewußten Princips anzusehen, welches nach dieser
oder jener Seite hin Concessionen machen könnte. Das Ministerium der Umstände
wird durch eine höhere Nothwendigkeit bestimmt, der es noch niemals die Energie eines
principiellen Willens entgegengesetzt hat; dieselbe Nothwendigkeit, die in der Erfurter
Zeit das Ministerium zum Träger der gemäßigten Nadowitzischen Union, und den Herrn
v. Kleist-Netzow, den ausgesprochenen Feind eben dieser Union, im Staatcnhaus zum
Vertreter der Ansichten der Krone erhob. Die künftige Geschichtschreibung wird keines¬
wegs geneigt sein, über die gegenwärtige Regierung Preußens jenes Schuldig auszu-
sprechen, welches die Hegelsche Geschichtsphilosophie über Sokrates ausspricht. -- Weit


Man möge diese Darstellung als eine Warnung betrachten gegen jenes ver¬
derbliche Princip der neufranzösischen Romantik, bei dem alle Kunst zu Grunde
gehen muß, jeues Princip, das sich auf den Spruch der Makbcth'schen Hexe zu¬
rückführt: Schön ist hässlich, häßlich schön. Was die Schule Victor Hugo's in
Frankreich, die Schule Heine'S in Deutschland, wenn nicht zum Glaubensartikel,
so doch wenigstens zur Gewohnheit gemacht hat, die Vorliebe für Verbrecher, für
körperliche und geistige Monstrositäten, für unvereinbare Contraste, ist anch an
dem nüchternen Engländer nicht ohne Spur vorübergegangen, und die Kritik aller
drei Nationen sollte es sich zur gemeinsamen Aufgabe machen, diesen seelenlosen
I. S. Materialismus in der Kunst eben so zu bekämpfen, wie im Leben.




W o es e n s es a u.
Die kleinen Leiden der Reaction.

— Es ist ein tragikomisches Schau¬
spiel, daß gerade in dein Augenblicke, wo durch die Ernennung des Herrn v. Bismark
zum Bundestagsgesandter, des Herrn v. Kleist zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz,
die Vollblutrcaction auch officiell vom Preußischen Ministerium anerkannt worden ist, die
Blätter der verschiedenen Nuancen anfangen, sich mit großer Leidenschaftlichkeit einander
zu befehden. Die Kreuzblätter verkündigen anch in diesem von ihm sonst so freundlich
protcgirten Ministerium eine innere Spaltung, und scheinen geneigt, den allzu liberalen
Herrn v. Manteuffel fallen zu lassen. Die officiellen Adlerblätter treten mit großem
Zorn gegen diese Anmaßungen des Kreuzes aus, nud erklären nicht blos, daß in dem
Schooß der Regierung die vollständigste Eintracht herrscht, und daß der Ministerpräsident
keineswegs rothrcpublikauischcu Tendenzen huldigt, sondern sie suchen anch nachzuweisen,
daß die Ernennung der beiden Herren, die Anfangs so auffiel, daß man sie für einen
schlechten Witz hielt, keineswegs einen Uebertritt des Ministeriums zur Krcuzpartci.
souderu einen Uebertritt dieser Herren zur Adlcrpartei anzeige. Beinahe sollte man auf
die Vermuthung kommen, die Ministeriellen seien über die Angriffe der Kreuzzeitung höchst
zufrieden, und suchten dieselben sogar gewissermaßen zu provociren, um eine rioii'v
zu haben, die man überall aufzeige» könnte, zum Beweis, daß man »och nicht der
allcrschwärzesten Reaction angehörte. Aber es ist doch in diesen gegenseitigen Liebes¬
erklärungen ein so bittersüßer Ton, daß ma» an einer gewissen Aufrichtigkeit dieser
Empfindungen nicht zweifeln kann. Man muß sich überhaupt hüten, das Ministerium
für den Ausdruck eines bestimmten, bewußten Princips anzusehen, welches nach dieser
oder jener Seite hin Concessionen machen könnte. Das Ministerium der Umstände
wird durch eine höhere Nothwendigkeit bestimmt, der es noch niemals die Energie eines
principiellen Willens entgegengesetzt hat; dieselbe Nothwendigkeit, die in der Erfurter
Zeit das Ministerium zum Träger der gemäßigten Nadowitzischen Union, und den Herrn
v. Kleist-Netzow, den ausgesprochenen Feind eben dieser Union, im Staatcnhaus zum
Vertreter der Ansichten der Krone erhob. Die künftige Geschichtschreibung wird keines¬
wegs geneigt sein, über die gegenwärtige Regierung Preußens jenes Schuldig auszu-
sprechen, welches die Hegelsche Geschichtsphilosophie über Sokrates ausspricht. — Weit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/125>, abgerufen am 02.07.2024.