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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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dern Greueln, die man dort begeht; sie reiten oder schweben durch die Lust, sie
wirken magnetisch oder durch brutalen Zauber, sie schielen schon von Geburt an,
denn sie sind meistens zur Hexerei prädestinirt, sie haben alle einen inferna¬
lischen Blick, zuweilen, wenn sie alt geworden sind, einen langen, rothen Bart,
einen Bärenrachcn, triefende und zuweilen feuerspeiende Augen. In der Mitte
dieser saubern Brut, die zum Glück am Schluß sammt und sonders verbrannt
wird, geht der Teufel um, theils in eigener Person, theils in der Gestalt eines
alten Katers, oder als Doppelgänger ehrlicher Spießbürger, wie in Hoff-
mann's "Teufclselixiren". Zum Ueberfluß erscheinen auch einige Gespenster, die
mit dem ersten und zweiten Liebhaber so lange in rasendem Galopp einhertanzcn,
bis Diese erschöpft zu Boden sinken. Und wenn man fragt, wozu dieser Aufwand von
Wundern eigentlich benutzt wird, so ist man nicht wenig erstaunt, daß es sich
um weiter Nichts handelt, als um das Hinaufrücken einiger Raine, um den Acker
einer ehrgeizigen Frau zu vergrößern. Es ist nicht leicht möglich, den Unsinn
weiter zu treiben, und man kann daher mit diesem Werk die Laufbahn unsres
Dichters als abgeschlossen betrachten.

Sein Einfluß ist aber darum nicht kleiner. Er hat unter den Englischen Ro¬
mantikern eine förmliche Schule gegründet, und darunter ist ein Dichter, der ihm
an Talent bedeutend überlegen ist. Der Name desselben ist nicht bekannt, seine
Romane heißen: "Whitefriars", "Whitehall" und "Cäsar Borgia". Die Aehn-
lichkeit ist so groß, daß man zuweilen versucht wird, sie einem und demselben
Dichter zuzuschreiben. Aber es ist hier doch ein größerer Fonds. Die Menschen
sind doch nicht blos aus Fleisch und Nerven, nicht blos die Gegenstände, an
denen die dämonischen Kräfte ihr Spiel ausüben; man endeckt eine Spur von
Seele in ihnen. Im Uebrigen sind aber sowol die Figuren, von Lady Ashton
an bis zum Maschinisten und zu Jonathan Wild, hier wiederzufinden; eben so
die geheimen unterirdischen Gänge, die Dick Tnrpin und Jack Sheppard mit
ihrer unglaublichen Geschwindigkeit in der Flucht und der Verfolgung, die athem-
lose Hast der Ereignisse, der plötzliche Umschwung in den Stimmungen und An¬
sichten, die vollständige Gleichgiltigkeit gegen die sittlichen Bedingungen; es ist
dieselbe Masse von Räubern, Mördern, Vagabunden und anderen Pöbel, die¬
selbe Giftmischerei und Nachsucht, dasselbe verwickelte System der Intrigue; aber
man hat, wie gesagt, ein sehr bedeutendes Talent zu bedauern, das an diesen
häßlichen Stoffen vergeudet wird. Mau hat eben so eine Menge von Studien
zu bedauern, die doch zu keiner geschichtlichen Wahrheit führen (ich bemerke bei¬
läufig, daß in dem letzten der genannten Romane der Versuch gemacht ist, die
berüchtigte Lucrezia Borgia als ein sittliches Frauenzimmer zu rehabilitircn, wie
es in einem neuern Französischen Stück mit der Messaline geschehen ist), und viel
Anlage zur Charakteristik, die doch zu keiner vollen Gestalt führt, weil der Dichter
sich unsinnige Probleme stellt.


dern Greueln, die man dort begeht; sie reiten oder schweben durch die Lust, sie
wirken magnetisch oder durch brutalen Zauber, sie schielen schon von Geburt an,
denn sie sind meistens zur Hexerei prädestinirt, sie haben alle einen inferna¬
lischen Blick, zuweilen, wenn sie alt geworden sind, einen langen, rothen Bart,
einen Bärenrachcn, triefende und zuweilen feuerspeiende Augen. In der Mitte
dieser saubern Brut, die zum Glück am Schluß sammt und sonders verbrannt
wird, geht der Teufel um, theils in eigener Person, theils in der Gestalt eines
alten Katers, oder als Doppelgänger ehrlicher Spießbürger, wie in Hoff-
mann's „Teufclselixiren". Zum Ueberfluß erscheinen auch einige Gespenster, die
mit dem ersten und zweiten Liebhaber so lange in rasendem Galopp einhertanzcn,
bis Diese erschöpft zu Boden sinken. Und wenn man fragt, wozu dieser Aufwand von
Wundern eigentlich benutzt wird, so ist man nicht wenig erstaunt, daß es sich
um weiter Nichts handelt, als um das Hinaufrücken einiger Raine, um den Acker
einer ehrgeizigen Frau zu vergrößern. Es ist nicht leicht möglich, den Unsinn
weiter zu treiben, und man kann daher mit diesem Werk die Laufbahn unsres
Dichters als abgeschlossen betrachten.

Sein Einfluß ist aber darum nicht kleiner. Er hat unter den Englischen Ro¬
mantikern eine förmliche Schule gegründet, und darunter ist ein Dichter, der ihm
an Talent bedeutend überlegen ist. Der Name desselben ist nicht bekannt, seine
Romane heißen: „Whitefriars", „Whitehall" und „Cäsar Borgia". Die Aehn-
lichkeit ist so groß, daß man zuweilen versucht wird, sie einem und demselben
Dichter zuzuschreiben. Aber es ist hier doch ein größerer Fonds. Die Menschen
sind doch nicht blos aus Fleisch und Nerven, nicht blos die Gegenstände, an
denen die dämonischen Kräfte ihr Spiel ausüben; man endeckt eine Spur von
Seele in ihnen. Im Uebrigen sind aber sowol die Figuren, von Lady Ashton
an bis zum Maschinisten und zu Jonathan Wild, hier wiederzufinden; eben so
die geheimen unterirdischen Gänge, die Dick Tnrpin und Jack Sheppard mit
ihrer unglaublichen Geschwindigkeit in der Flucht und der Verfolgung, die athem-
lose Hast der Ereignisse, der plötzliche Umschwung in den Stimmungen und An¬
sichten, die vollständige Gleichgiltigkeit gegen die sittlichen Bedingungen; es ist
dieselbe Masse von Räubern, Mördern, Vagabunden und anderen Pöbel, die¬
selbe Giftmischerei und Nachsucht, dasselbe verwickelte System der Intrigue; aber
man hat, wie gesagt, ein sehr bedeutendes Talent zu bedauern, das an diesen
häßlichen Stoffen vergeudet wird. Mau hat eben so eine Menge von Studien
zu bedauern, die doch zu keiner geschichtlichen Wahrheit führen (ich bemerke bei¬
läufig, daß in dem letzten der genannten Romane der Versuch gemacht ist, die
berüchtigte Lucrezia Borgia als ein sittliches Frauenzimmer zu rehabilitircn, wie
es in einem neuern Französischen Stück mit der Messaline geschehen ist), und viel
Anlage zur Charakteristik, die doch zu keiner vollen Gestalt führt, weil der Dichter
sich unsinnige Probleme stellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/124>, abgerufen am 02.07.2024.