Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ganzen Stücks, das unsre Phantasie lebhafter und gewaltiger anspannt, und den
Gedanken an die Welt und ihr Naturgesetz fern hält. Wenn wir dagegen in
einem modernen Romane Geister- und andere Wundergeschichten anbringen, so
ist das ein gemachtes, raffinirtes und ungesundes Wesen, gerade wie das Treiben
der Somnambulen, Propheten und Maguetiseurs in der wirklichen Gesellschaft.
Es ist ein gemeiner Sinnenkitzel, der sich nicht an die geistigen, sondern an die
thierischen Seiten unsrer Natur wendet, und wir haben im höchsten Grade Un¬
recht, mit dieser Poesie des Irrenhauses schön zu thun. Diese Neigung, unsin-
nige Probleme pragmatisch auszulösen, oder mit verschlafener Mystik in ihnen die
Spuren einer geheimnißvollen Offenbarung zu suchen, ist ein Nest jener Senti¬
mentalität, die als Bodensatz der einseitigen Aufklärung übrig blieb. Die Poesie
soll kein Tummelplatz für Larven sein. -- Es ist dies zum Theil der Grund,
warum es der Mühe lohnt, Erscheinungen, wie unser Dichter oder Eugen Sue,
deren inneren Werth die Kritik wahrlich nicht herausfordert, einer ausführlichen
Besprechung zu unterwerfen. Sie haben ein ungeheures Publicum, auch uuter
den gebildeten Klassen; man schämt sich ihrer, aber man liest sie; und wenn
man genauer zusieht, so treten ihre schlechten Seiten nur darum lebhafter her¬
vor, weil sie sich eine größere Mühe geben, deutlich zu sein, sie sind aber
an sich nicht schlimmer, als die Spukgeschichten, die uus unsre Deutschen
Romantiker aufgetischt haben, und die man uns gelehrt hat, als hohe Poesie zu
verehre", weil sie unklarer gehalten waren, und weil mau sie ius symbolische
kehren konnte. Sobald man aber das Grundgesetze der Poesie aufgiebt, daß
sie das idealisirte, d. h. zu seiner vollen Wahrheit concentrirte Leben sein soll,
so kommt es nicht mehr viel darauf an, wie weit man in der Sünde geht.

Jede einseitige Virtuosität führt im Lauf ihrer weitern Ausbildung zu immer
größern Thorheiten. Von den spätern Romanen unsres Dichters -- wenn wir
von dem "Se. Jamespalast" (18ii>) absehen, der die Geschichte von Scribe's
"Glas Wasser" ins Romantische übersetzt, nur daß Oxford an Boliugbrvke's
Stelle tritt, und daß einige Bösewichter hinzugefügt werden, so wie einiges an¬
tiquarische Costum -- sind die "Hexen von Lancashire" (1848) derjenige,
in welchem sich unser Dichter mit der größten Unbefangenheit gehen läßt. Hier
tritt das höllische Wesen nicht neben dein weltlichen auf, sondern es absorbirt
das ganze Leben. Abgesehen von den einzelnen Hexenriechern des Königs Jakob,
die sonderbarer Weise lächerlich gemacht werden, obgleich ihre Verfolgung, wenn
die angegebenen Umstände wahr wären, die größte Anerkennung verdiente, denn
sie setzen sich jeden Augenblick der Gefahr aus, vom Satan gefressen zu werden,
und dem Pöbel, der diese Verfolgungen nur benutzt, um seine bestialische Natur
an den Tag zu legen, was mit einer mir den Engländern eigenen Virtuosität
geschildert wird, besteht das ganze handelnde Publicum ans Hexen; sie feiern
ihre Sabbathe, in denen Kinder dem Bösen geweiht werden, abgesehn von an-


15*

ganzen Stücks, das unsre Phantasie lebhafter und gewaltiger anspannt, und den
Gedanken an die Welt und ihr Naturgesetz fern hält. Wenn wir dagegen in
einem modernen Romane Geister- und andere Wundergeschichten anbringen, so
ist das ein gemachtes, raffinirtes und ungesundes Wesen, gerade wie das Treiben
der Somnambulen, Propheten und Maguetiseurs in der wirklichen Gesellschaft.
Es ist ein gemeiner Sinnenkitzel, der sich nicht an die geistigen, sondern an die
thierischen Seiten unsrer Natur wendet, und wir haben im höchsten Grade Un¬
recht, mit dieser Poesie des Irrenhauses schön zu thun. Diese Neigung, unsin-
nige Probleme pragmatisch auszulösen, oder mit verschlafener Mystik in ihnen die
Spuren einer geheimnißvollen Offenbarung zu suchen, ist ein Nest jener Senti¬
mentalität, die als Bodensatz der einseitigen Aufklärung übrig blieb. Die Poesie
soll kein Tummelplatz für Larven sein. — Es ist dies zum Theil der Grund,
warum es der Mühe lohnt, Erscheinungen, wie unser Dichter oder Eugen Sue,
deren inneren Werth die Kritik wahrlich nicht herausfordert, einer ausführlichen
Besprechung zu unterwerfen. Sie haben ein ungeheures Publicum, auch uuter
den gebildeten Klassen; man schämt sich ihrer, aber man liest sie; und wenn
man genauer zusieht, so treten ihre schlechten Seiten nur darum lebhafter her¬
vor, weil sie sich eine größere Mühe geben, deutlich zu sein, sie sind aber
an sich nicht schlimmer, als die Spukgeschichten, die uus unsre Deutschen
Romantiker aufgetischt haben, und die man uns gelehrt hat, als hohe Poesie zu
verehre», weil sie unklarer gehalten waren, und weil mau sie ius symbolische
kehren konnte. Sobald man aber das Grundgesetze der Poesie aufgiebt, daß
sie das idealisirte, d. h. zu seiner vollen Wahrheit concentrirte Leben sein soll,
so kommt es nicht mehr viel darauf an, wie weit man in der Sünde geht.

Jede einseitige Virtuosität führt im Lauf ihrer weitern Ausbildung zu immer
größern Thorheiten. Von den spätern Romanen unsres Dichters — wenn wir
von dem „Se. Jamespalast" (18ii>) absehen, der die Geschichte von Scribe's
„Glas Wasser" ins Romantische übersetzt, nur daß Oxford an Boliugbrvke's
Stelle tritt, und daß einige Bösewichter hinzugefügt werden, so wie einiges an¬
tiquarische Costum — sind die „Hexen von Lancashire" (1848) derjenige,
in welchem sich unser Dichter mit der größten Unbefangenheit gehen läßt. Hier
tritt das höllische Wesen nicht neben dein weltlichen auf, sondern es absorbirt
das ganze Leben. Abgesehen von den einzelnen Hexenriechern des Königs Jakob,
die sonderbarer Weise lächerlich gemacht werden, obgleich ihre Verfolgung, wenn
die angegebenen Umstände wahr wären, die größte Anerkennung verdiente, denn
sie setzen sich jeden Augenblick der Gefahr aus, vom Satan gefressen zu werden,
und dem Pöbel, der diese Verfolgungen nur benutzt, um seine bestialische Natur
an den Tag zu legen, was mit einer mir den Engländern eigenen Virtuosität
geschildert wird, besteht das ganze handelnde Publicum ans Hexen; sie feiern
ihre Sabbathe, in denen Kinder dem Bösen geweiht werden, abgesehn von an-


15*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280210"/>
          <p xml:id="ID_305" prev="#ID_304"> ganzen Stücks, das unsre Phantasie lebhafter und gewaltiger anspannt, und den<lb/>
Gedanken an die Welt und ihr Naturgesetz fern hält.  Wenn wir dagegen in<lb/>
einem modernen Romane Geister- und andere Wundergeschichten anbringen, so<lb/>
ist das ein gemachtes, raffinirtes und ungesundes Wesen, gerade wie das Treiben<lb/>
der Somnambulen, Propheten und Maguetiseurs in der wirklichen Gesellschaft.<lb/>
Es ist ein gemeiner Sinnenkitzel, der sich nicht an die geistigen, sondern an die<lb/>
thierischen Seiten unsrer Natur wendet, und wir haben im höchsten Grade Un¬<lb/>
recht, mit dieser Poesie des Irrenhauses schön zu thun. Diese Neigung, unsin-<lb/>
nige Probleme pragmatisch auszulösen, oder mit verschlafener Mystik in ihnen die<lb/>
Spuren einer geheimnißvollen Offenbarung zu suchen, ist ein Nest jener Senti¬<lb/>
mentalität, die als Bodensatz der einseitigen Aufklärung übrig blieb. Die Poesie<lb/>
soll kein Tummelplatz für Larven sein. &#x2014; Es ist dies zum Theil der Grund,<lb/>
warum es der Mühe lohnt, Erscheinungen, wie unser Dichter oder Eugen Sue,<lb/>
deren inneren Werth die Kritik wahrlich nicht herausfordert, einer ausführlichen<lb/>
Besprechung zu unterwerfen.  Sie haben ein ungeheures Publicum, auch uuter<lb/>
den gebildeten Klassen; man schämt sich ihrer, aber man liest sie; und wenn<lb/>
man genauer zusieht, so treten ihre schlechten Seiten nur darum lebhafter her¬<lb/>
vor, weil sie sich eine größere Mühe geben, deutlich zu sein, sie sind aber<lb/>
an sich nicht schlimmer, als die Spukgeschichten, die uus unsre Deutschen<lb/>
Romantiker aufgetischt haben, und die man uns gelehrt hat, als hohe Poesie zu<lb/>
verehre», weil sie unklarer gehalten waren, und weil mau sie ius symbolische<lb/>
kehren konnte.  Sobald man aber das Grundgesetze der Poesie aufgiebt, daß<lb/>
sie das idealisirte, d. h. zu seiner vollen Wahrheit concentrirte Leben sein soll,<lb/>
so kommt es nicht mehr viel darauf an, wie weit man in der Sünde geht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_306" next="#ID_307"> Jede einseitige Virtuosität führt im Lauf ihrer weitern Ausbildung zu immer<lb/>
größern Thorheiten. Von den spätern Romanen unsres Dichters &#x2014; wenn wir<lb/>
von dem &#x201E;Se. Jamespalast" (18ii&gt;) absehen, der die Geschichte von Scribe's<lb/>
&#x201E;Glas Wasser" ins Romantische übersetzt, nur daß Oxford an Boliugbrvke's<lb/>
Stelle tritt, und daß einige Bösewichter hinzugefügt werden, so wie einiges an¬<lb/>
tiquarische Costum &#x2014; sind die &#x201E;Hexen von Lancashire" (1848) derjenige,<lb/>
in welchem sich unser Dichter mit der größten Unbefangenheit gehen läßt. Hier<lb/>
tritt das höllische Wesen nicht neben dein weltlichen auf, sondern es absorbirt<lb/>
das ganze Leben. Abgesehen von den einzelnen Hexenriechern des Königs Jakob,<lb/>
die sonderbarer Weise lächerlich gemacht werden, obgleich ihre Verfolgung, wenn<lb/>
die angegebenen Umstände wahr wären, die größte Anerkennung verdiente, denn<lb/>
sie setzen sich jeden Augenblick der Gefahr aus, vom Satan gefressen zu werden,<lb/>
und dem Pöbel, der diese Verfolgungen nur benutzt, um seine bestialische Natur<lb/>
an den Tag zu legen, was mit einer mir den Engländern eigenen Virtuosität<lb/>
geschildert wird, besteht das ganze handelnde Publicum ans Hexen; sie feiern<lb/>
ihre Sabbathe, in denen Kinder dem Bösen geweiht werden, abgesehn von an-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 15*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0123] ganzen Stücks, das unsre Phantasie lebhafter und gewaltiger anspannt, und den Gedanken an die Welt und ihr Naturgesetz fern hält. Wenn wir dagegen in einem modernen Romane Geister- und andere Wundergeschichten anbringen, so ist das ein gemachtes, raffinirtes und ungesundes Wesen, gerade wie das Treiben der Somnambulen, Propheten und Maguetiseurs in der wirklichen Gesellschaft. Es ist ein gemeiner Sinnenkitzel, der sich nicht an die geistigen, sondern an die thierischen Seiten unsrer Natur wendet, und wir haben im höchsten Grade Un¬ recht, mit dieser Poesie des Irrenhauses schön zu thun. Diese Neigung, unsin- nige Probleme pragmatisch auszulösen, oder mit verschlafener Mystik in ihnen die Spuren einer geheimnißvollen Offenbarung zu suchen, ist ein Nest jener Senti¬ mentalität, die als Bodensatz der einseitigen Aufklärung übrig blieb. Die Poesie soll kein Tummelplatz für Larven sein. — Es ist dies zum Theil der Grund, warum es der Mühe lohnt, Erscheinungen, wie unser Dichter oder Eugen Sue, deren inneren Werth die Kritik wahrlich nicht herausfordert, einer ausführlichen Besprechung zu unterwerfen. Sie haben ein ungeheures Publicum, auch uuter den gebildeten Klassen; man schämt sich ihrer, aber man liest sie; und wenn man genauer zusieht, so treten ihre schlechten Seiten nur darum lebhafter her¬ vor, weil sie sich eine größere Mühe geben, deutlich zu sein, sie sind aber an sich nicht schlimmer, als die Spukgeschichten, die uus unsre Deutschen Romantiker aufgetischt haben, und die man uns gelehrt hat, als hohe Poesie zu verehre», weil sie unklarer gehalten waren, und weil mau sie ius symbolische kehren konnte. Sobald man aber das Grundgesetze der Poesie aufgiebt, daß sie das idealisirte, d. h. zu seiner vollen Wahrheit concentrirte Leben sein soll, so kommt es nicht mehr viel darauf an, wie weit man in der Sünde geht. Jede einseitige Virtuosität führt im Lauf ihrer weitern Ausbildung zu immer größern Thorheiten. Von den spätern Romanen unsres Dichters — wenn wir von dem „Se. Jamespalast" (18ii>) absehen, der die Geschichte von Scribe's „Glas Wasser" ins Romantische übersetzt, nur daß Oxford an Boliugbrvke's Stelle tritt, und daß einige Bösewichter hinzugefügt werden, so wie einiges an¬ tiquarische Costum — sind die „Hexen von Lancashire" (1848) derjenige, in welchem sich unser Dichter mit der größten Unbefangenheit gehen läßt. Hier tritt das höllische Wesen nicht neben dein weltlichen auf, sondern es absorbirt das ganze Leben. Abgesehen von den einzelnen Hexenriechern des Königs Jakob, die sonderbarer Weise lächerlich gemacht werden, obgleich ihre Verfolgung, wenn die angegebenen Umstände wahr wären, die größte Anerkennung verdiente, denn sie setzen sich jeden Augenblick der Gefahr aus, vom Satan gefressen zu werden, und dem Pöbel, der diese Verfolgungen nur benutzt, um seine bestialische Natur an den Tag zu legen, was mit einer mir den Engländern eigenen Virtuosität geschildert wird, besteht das ganze handelnde Publicum ans Hexen; sie feiern ihre Sabbathe, in denen Kinder dem Bösen geweiht werden, abgesehn von an- 15*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/123
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/123>, abgerufen am 02.07.2024.