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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Verschwörung giebt ihm Gelegenheit zur Schilderung der fürchterlichsten Foltern
und Hinrichtungen. Er steht aus Seite der Katholiken, der Verschwörer, und
die protestantischen Edelleute erscheinen sammt und sonders als blutgierige Ver¬
räther. In dem Helden hat er einen schwärmerischen Menschen zu schildern ge¬
sucht, der mehr als eine andere seiner Figuren einen träumerischen Anstrich hat,
und der insofern eine seltene Ausnahme unter ihnen macht, daß er zuletzt
zu einer Art Erkenntniß seines Unrechtes kommt. Ainsworth ist in diesem
Roman übrigens wieder in das Reich der Gespenster zurückgekehrt. Eine große
Rolle spielt ein berühmter Geistcrbeschwörcr, der durch Galvanismus mehrere
Leichen zum Leben zurückbringt, der die Zukunft voraussieht, und auch im Uebri-
gen mit übernatürlichen Gaben ausgestattet ist. Er vertritt diesmal den Maschi¬
nisten, und zeigt bei aller Kälte und Apathie eine gewisse Gutmüthigkeit. -- Noch
in demselben Jahre erschien "der Tower von London", der in seiner Conception
sehr lebhaft an Victor Hugo's llotre-äamö nie ?mi8 erinnert. Der wirkliche
Held des Stückes ist der Tower selbst, mit der Aussicht von seinen Zinnen, mit
seinen Folterkammern, seinen geheimen Gängen, in denen Jagd auf die Ver¬
brecher gemacht werden kann, seinem alterthümlichen Hof, wo die Schaffote auf¬
gerichtet werden, seinen Fallthüren, durch welche man Leute hinabstürzt, seinen
Bärengruben, wo man mit Ungeheuern zu kämpfen hat, u. f. w. Der Tower
hat ein wirkliches Leben, wie der alte Dom in Victor Hugo's Roman (der 1831
erschien). Die Figuren dagegen sind, wie bei Victor Hugo, nnr die Arabesken,
die architektonischen Verzierungen, welche das Leben dieses alterthümlichen Baues
versinnlichen, und zwar geborn? dazu uicht allein die Quasimodos, die Niesen,
Zwerge, Bären n. s. w., sondern auch die historischen Personen, an deren Co-
stum der Dichter zwar mit großer Gewissenhaftigkeit festhält, deren sonstige histo¬
rische Stellung aber mit einer wunderbaren Leichtfertigkeit behandelt wird, z. B.
die blutige Königin Maria und ihre junge unschuldige Feindin Johanna Grey.
Die einzig handelnde Person ist der Maschinist, Simon Renard, der kaiserliche
Gesandte, der in seiner kalten, energischen und bösen Natur ganz ans Victor
Hugo's Maria Tndor (1833) entnommen ist. -- Genau in dieselbe Kategorie
fällt der im folgenden Jahre (1841) erschienene Roman "die alte Se. Pauls¬
kirche", der den Brand dieses mächtigen Gebändes darstellt. Um die Flammen
lebhafter zu schildern, müssen eine Menge armer Leute in dem brennenden Ge¬
bäude elendiglich umkommen; der Rauch erstickt sie, das Feuer verbrennt ihre
Kleider, geschmolzenes Blei versengt ihnen die Hirnschale. Das Alles wird im
Einzelnen mit großer Grausamkeit ausgeführt, denn die Steine, die architektoni-
nischen Verzierungen, die Gemälde u.'s. w., auf die es dem Dichter allein an¬
kommt, haben keine Sprache für ihren Schmerz, das Fleisch der Menschen muß
an ihre Stelle treten; und da anch diese Greuel noch uicht genügen, so muß zu
gleicher Zeit die Pest in London ausbrechen, und so werden wir in allen Stü-


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Verschwörung giebt ihm Gelegenheit zur Schilderung der fürchterlichsten Foltern
und Hinrichtungen. Er steht aus Seite der Katholiken, der Verschwörer, und
die protestantischen Edelleute erscheinen sammt und sonders als blutgierige Ver¬
räther. In dem Helden hat er einen schwärmerischen Menschen zu schildern ge¬
sucht, der mehr als eine andere seiner Figuren einen träumerischen Anstrich hat,
und der insofern eine seltene Ausnahme unter ihnen macht, daß er zuletzt
zu einer Art Erkenntniß seines Unrechtes kommt. Ainsworth ist in diesem
Roman übrigens wieder in das Reich der Gespenster zurückgekehrt. Eine große
Rolle spielt ein berühmter Geistcrbeschwörcr, der durch Galvanismus mehrere
Leichen zum Leben zurückbringt, der die Zukunft voraussieht, und auch im Uebri-
gen mit übernatürlichen Gaben ausgestattet ist. Er vertritt diesmal den Maschi¬
nisten, und zeigt bei aller Kälte und Apathie eine gewisse Gutmüthigkeit. — Noch
in demselben Jahre erschien „der Tower von London", der in seiner Conception
sehr lebhaft an Victor Hugo's llotre-äamö nie ?mi8 erinnert. Der wirkliche
Held des Stückes ist der Tower selbst, mit der Aussicht von seinen Zinnen, mit
seinen Folterkammern, seinen geheimen Gängen, in denen Jagd auf die Ver¬
brecher gemacht werden kann, seinem alterthümlichen Hof, wo die Schaffote auf¬
gerichtet werden, seinen Fallthüren, durch welche man Leute hinabstürzt, seinen
Bärengruben, wo man mit Ungeheuern zu kämpfen hat, u. f. w. Der Tower
hat ein wirkliches Leben, wie der alte Dom in Victor Hugo's Roman (der 1831
erschien). Die Figuren dagegen sind, wie bei Victor Hugo, nnr die Arabesken,
die architektonischen Verzierungen, welche das Leben dieses alterthümlichen Baues
versinnlichen, und zwar geborn? dazu uicht allein die Quasimodos, die Niesen,
Zwerge, Bären n. s. w., sondern auch die historischen Personen, an deren Co-
stum der Dichter zwar mit großer Gewissenhaftigkeit festhält, deren sonstige histo¬
rische Stellung aber mit einer wunderbaren Leichtfertigkeit behandelt wird, z. B.
die blutige Königin Maria und ihre junge unschuldige Feindin Johanna Grey.
Die einzig handelnde Person ist der Maschinist, Simon Renard, der kaiserliche
Gesandte, der in seiner kalten, energischen und bösen Natur ganz ans Victor
Hugo's Maria Tndor (1833) entnommen ist. — Genau in dieselbe Kategorie
fällt der im folgenden Jahre (1841) erschienene Roman „die alte Se. Pauls¬
kirche", der den Brand dieses mächtigen Gebändes darstellt. Um die Flammen
lebhafter zu schildern, müssen eine Menge armer Leute in dem brennenden Ge¬
bäude elendiglich umkommen; der Rauch erstickt sie, das Feuer verbrennt ihre
Kleider, geschmolzenes Blei versengt ihnen die Hirnschale. Das Alles wird im
Einzelnen mit großer Grausamkeit ausgeführt, denn die Steine, die architektoni-
nischen Verzierungen, die Gemälde u.'s. w., auf die es dem Dichter allein an¬
kommt, haben keine Sprache für ihren Schmerz, das Fleisch der Menschen muß
an ihre Stelle treten; und da anch diese Greuel noch uicht genügen, so muß zu
gleicher Zeit die Pest in London ausbrechen, und so werden wir in allen Stü-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/121>, abgerufen am 02.07.2024.