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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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dein psychologischen Hergang zu fesseln gesucht, er hatte sich bemüht, durch eine
seltsame Verwickelung von Umständen die Möglichkeit nachzuweisen, wie eine ur¬
sprünglich gut geformte Natur allmählich zu Verbrechen kommen könnte. Jack
Shcppard dagegen ist ein geborner Dieb, und das Interesse des Romans liegt
auch gar nicht in seiner moralischen Zurechnungsfähigkeit, sondern lediglich in der
Gewandtheit, mit welcher er seine Einbrüche ausführt, und sich der Verfolgung
entzieht. Darin ist das Mögliche geleistet. Von der ersten Scene an, die
einen fürchterlichen Sturm auf der Themse, begleitet von mehrern Mordthaten,
schildert, bleibt man das ganze Buch hindurch in einer beständigen Aufregung.
Jack Shcppard hat einen unversöhnlichen Feind, den berüchtigten Dicbesfänger
Jonathan Wild, eine der LicblingSfiguren unsers Dichters, wie sie als Maschinist
seiner Stücke fortwährend wiederkehrt. Er treibt ein großartiges Geschäft; ziem¬
lich alle Diebe und Mörder von London stehen in seinem Sold; der Erwerb
ihrer Verbrechen fällt in seine Kasse, und wenn er ihrer überdrüßig geworden
ist, läßt er sie durch seine Häscher auffangen und hänge". Er begeht noch
Verbrechen aus eigene Hand, und verwendet dabei stets so viel Grausamkeit als
irgeud möglich. Seine Wohnung ist ausgestattet mit einer merkwürdigen Samm¬
lung von Folterwerkzeugen und mit Schädeln und Gebeinen der Gehängten und
Gefolterten. Er betrachtet sie zuweilen mit besonderer Lust, und ertheilt Lieb¬
habern Unterricht in der Kunst des Folternö. Dieser Mann hat einen erblichen
Haß gegen Jack Shcppard; er hat geschworen, ihn an den Galgen zu bringen,
wie er seinen Vater an den Galgen gebracht hat, und läßt sich von diesem Vor¬
haben weder durch die Gewandtheit seines Gegners, noch durch seine eigene per¬
sönliche Gefahr abhalten. Wenn Jack Shcppard sich vollkommen sicher glaubt,
so kann man mit Bestinuntheit voraussehe", daß Jonathan Wild mit seinen Hä¬
schern bereits in einer Ecke ans ih" lauert. Einmal wird ihm der Hals abge¬
schnitten, und man glaubt nun seiner los zu sein, aber er hat eine eiserne Natur,
sein Hals heilt wieder zu, er wickelt ein dickes Halstuch darum, und im nächsten
Augenblick ist der Feind wieder in seiner Gewalt. -- Eine Hauptepisode bildet
die Flucht Sheppard's aus dem Gefängniß durch zwanzig bis dreißig dicke
Mauern, eben so viel eiserne Thüren, dnrch vergitterte Schornsteine, über Dächer
hinaus und dergleichen. So wunderbar das Alles ist, so wird es doch mit so
viel Detail und so viel Zuversichtlichkeit erzählt, daß mau wenigstens für den
Augenblick daran glaubt. Ich darf wol kaum hinzusehn", daß zu diesem Haupt-
helden "och ni"e ganze Reihe von liebenswürdigen Verbrechern gehören, und
daß die Atmosphäre des Stücks wenigstens eben so trübe ist, als in den "Myste¬
rien von Paris", aber die Kunst der Beschreibung erregt wirklich Erstaunen.

In dieser Zeit erwarb Ainsworth einige vielgelesene Journale, die ihn zum
reichen Mann machten. Er ließ in denselben 1840 seinen neuen Roman "Guy
Fawkeö" erscheinen, der ihm über 1500 Pfund Sterling eintrug. Die Pulver-


dein psychologischen Hergang zu fesseln gesucht, er hatte sich bemüht, durch eine
seltsame Verwickelung von Umständen die Möglichkeit nachzuweisen, wie eine ur¬
sprünglich gut geformte Natur allmählich zu Verbrechen kommen könnte. Jack
Shcppard dagegen ist ein geborner Dieb, und das Interesse des Romans liegt
auch gar nicht in seiner moralischen Zurechnungsfähigkeit, sondern lediglich in der
Gewandtheit, mit welcher er seine Einbrüche ausführt, und sich der Verfolgung
entzieht. Darin ist das Mögliche geleistet. Von der ersten Scene an, die
einen fürchterlichen Sturm auf der Themse, begleitet von mehrern Mordthaten,
schildert, bleibt man das ganze Buch hindurch in einer beständigen Aufregung.
Jack Shcppard hat einen unversöhnlichen Feind, den berüchtigten Dicbesfänger
Jonathan Wild, eine der LicblingSfiguren unsers Dichters, wie sie als Maschinist
seiner Stücke fortwährend wiederkehrt. Er treibt ein großartiges Geschäft; ziem¬
lich alle Diebe und Mörder von London stehen in seinem Sold; der Erwerb
ihrer Verbrechen fällt in seine Kasse, und wenn er ihrer überdrüßig geworden
ist, läßt er sie durch seine Häscher auffangen und hänge». Er begeht noch
Verbrechen aus eigene Hand, und verwendet dabei stets so viel Grausamkeit als
irgeud möglich. Seine Wohnung ist ausgestattet mit einer merkwürdigen Samm¬
lung von Folterwerkzeugen und mit Schädeln und Gebeinen der Gehängten und
Gefolterten. Er betrachtet sie zuweilen mit besonderer Lust, und ertheilt Lieb¬
habern Unterricht in der Kunst des Folternö. Dieser Mann hat einen erblichen
Haß gegen Jack Shcppard; er hat geschworen, ihn an den Galgen zu bringen,
wie er seinen Vater an den Galgen gebracht hat, und läßt sich von diesem Vor¬
haben weder durch die Gewandtheit seines Gegners, noch durch seine eigene per¬
sönliche Gefahr abhalten. Wenn Jack Shcppard sich vollkommen sicher glaubt,
so kann man mit Bestinuntheit voraussehe», daß Jonathan Wild mit seinen Hä¬
schern bereits in einer Ecke ans ih» lauert. Einmal wird ihm der Hals abge¬
schnitten, und man glaubt nun seiner los zu sein, aber er hat eine eiserne Natur,
sein Hals heilt wieder zu, er wickelt ein dickes Halstuch darum, und im nächsten
Augenblick ist der Feind wieder in seiner Gewalt. — Eine Hauptepisode bildet
die Flucht Sheppard's aus dem Gefängniß durch zwanzig bis dreißig dicke
Mauern, eben so viel eiserne Thüren, dnrch vergitterte Schornsteine, über Dächer
hinaus und dergleichen. So wunderbar das Alles ist, so wird es doch mit so
viel Detail und so viel Zuversichtlichkeit erzählt, daß mau wenigstens für den
Augenblick daran glaubt. Ich darf wol kaum hinzusehn», daß zu diesem Haupt-
helden »och ni»e ganze Reihe von liebenswürdigen Verbrechern gehören, und
daß die Atmosphäre des Stücks wenigstens eben so trübe ist, als in den „Myste¬
rien von Paris", aber die Kunst der Beschreibung erregt wirklich Erstaunen.

In dieser Zeit erwarb Ainsworth einige vielgelesene Journale, die ihn zum
reichen Mann machten. Er ließ in denselben 1840 seinen neuen Roman „Guy
Fawkeö" erscheinen, der ihm über 1500 Pfund Sterling eintrug. Die Pulver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/120>, abgerufen am 02.07.2024.