Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Romans ist die Giftmischerei. Der König, die Königin Mutter, Margarethe von
Valois versuchen sich in dieser Branche mit so viel Eiser, daß man zuletzt in der
Verwirrung uicht mehr unterscheidet, wer das Gift und wer das Gegengift
reicht, wer den Helden morden und wer ihn retten will. Daß irgend Einer in
dieser Virtnosttät etwas Unbilliges sehe, daran ist vollends nicht zu denken.
Man verwundert sich nnr, wenn irgend ein glänzendes Bankett vorübergeht, ohne
daß einige vou den Gästen todt zusammensinken. Ich fürchte, diese Maule der
Giftmischerei wird in den Romanen seit den neuen Criminalgeschichtcu überhand¬
nehmen. Man hat seit der Zeit mehrere neue Gifte entdeckt, mau hat die Wir¬
kungen derselben beobachtet, und man kann die verschiedenartigen Zerstörungen,
die Krämpfe und Schmerzen, die ein jedes erregt, mit größerer Genauigkeit
schildern. Bulwer mit seiner Lucrezia ist schon ein schlimmes Beispiel dafür. Man
wird jetzt wahrscheinlich die Blausäure ausgeben und sich vorzugsweise ans den
Nicotin legen, und die chemischen Präparate der sachverständigen Aerzte, die schon
bei den öffentlichen Proceßvcrhandlungcn einen so widerwärtigen Eindruck machen,
werden durch die erhitzte Phantasie der Romanschreiber noch um manche inter¬
essante Details bereichert werden. Unsre überreizten Nerven werden dann nach
immer größerem Alkohol verlangen, bis zuletzt eine Abstumpfung eintreten wird,
die auch hier eine Rückkehr vom Materiellen ins Geistige, vom Pathologischen
ins Psychologische erforden wird.

Hatten schon diese beiden Romane dem Dichter ein großes Publicum er¬
worben, so errang der folgende, "Jack Sheppard" (-1839), einen wahren Bei¬
fallssturm. Er wurde für drei Londoner Theater dramatistrt, trotz der Opposition,
die sich von Seiten der Puritaner dagegen erhob. Die Veranlassung zu diesem
Roman hat eine vou den bekannten Reihen der Hogarth'sehen Kupferstiche gege¬
ben, "der faule und der fleißige Lehrling". Die grenzenlose Häßlichkeit dieser
Stiche, die trotz der eben so großen Naturtreue derselben einen peinlichen Eindruck
macht, bis zu dem Schlußbilde, wo der Leichnam des gehängten Faulen in der
Anatomie secirt wird, ist sowol in dem Roman selbst, als in den Zeichnungen
von Cruikshank, die denselben verzieren, getreu wiedergegeben. Ueberhaupt sind
diese Bilder, welche die neuern Englischen Fenilletonromane begleiten, z. B. anch die
von Dickens, eigentlich doch sehr häßlich. Sie enthalten mit wenigen Ausnahmen,
wo irgend eine glücklich erfundene humoristische Figur auftritt, z. B. Pickwick,
Nichts als Fratzen und Monstrositäten, und schließen sich in dieser Weise in
mancher Beziehung der Dichtung an. Die Bilder z. B. in Oliver Toise oder
Nicolaus Nickleby sind geradezu scheußlich, es ist die reine Häßlichkeit, ohne eine
Spur von Komik. Nur Thackeray's Bilder machen eine Ausnahme. -- Der
Stoff, die Geschichte eines berüchtigten Diebes, war bereits in der Englischen
Literatur nichts Neues. Bulwer hatte ihn vor neun Jahren in seinem Paul
Clifford behandelt, aber er hatte doch wenigstens das Interesse der Leser an


Romans ist die Giftmischerei. Der König, die Königin Mutter, Margarethe von
Valois versuchen sich in dieser Branche mit so viel Eiser, daß man zuletzt in der
Verwirrung uicht mehr unterscheidet, wer das Gift und wer das Gegengift
reicht, wer den Helden morden und wer ihn retten will. Daß irgend Einer in
dieser Virtnosttät etwas Unbilliges sehe, daran ist vollends nicht zu denken.
Man verwundert sich nnr, wenn irgend ein glänzendes Bankett vorübergeht, ohne
daß einige vou den Gästen todt zusammensinken. Ich fürchte, diese Maule der
Giftmischerei wird in den Romanen seit den neuen Criminalgeschichtcu überhand¬
nehmen. Man hat seit der Zeit mehrere neue Gifte entdeckt, mau hat die Wir¬
kungen derselben beobachtet, und man kann die verschiedenartigen Zerstörungen,
die Krämpfe und Schmerzen, die ein jedes erregt, mit größerer Genauigkeit
schildern. Bulwer mit seiner Lucrezia ist schon ein schlimmes Beispiel dafür. Man
wird jetzt wahrscheinlich die Blausäure ausgeben und sich vorzugsweise ans den
Nicotin legen, und die chemischen Präparate der sachverständigen Aerzte, die schon
bei den öffentlichen Proceßvcrhandlungcn einen so widerwärtigen Eindruck machen,
werden durch die erhitzte Phantasie der Romanschreiber noch um manche inter¬
essante Details bereichert werden. Unsre überreizten Nerven werden dann nach
immer größerem Alkohol verlangen, bis zuletzt eine Abstumpfung eintreten wird,
die auch hier eine Rückkehr vom Materiellen ins Geistige, vom Pathologischen
ins Psychologische erforden wird.

Hatten schon diese beiden Romane dem Dichter ein großes Publicum er¬
worben, so errang der folgende, „Jack Sheppard" (-1839), einen wahren Bei¬
fallssturm. Er wurde für drei Londoner Theater dramatistrt, trotz der Opposition,
die sich von Seiten der Puritaner dagegen erhob. Die Veranlassung zu diesem
Roman hat eine vou den bekannten Reihen der Hogarth'sehen Kupferstiche gege¬
ben, „der faule und der fleißige Lehrling". Die grenzenlose Häßlichkeit dieser
Stiche, die trotz der eben so großen Naturtreue derselben einen peinlichen Eindruck
macht, bis zu dem Schlußbilde, wo der Leichnam des gehängten Faulen in der
Anatomie secirt wird, ist sowol in dem Roman selbst, als in den Zeichnungen
von Cruikshank, die denselben verzieren, getreu wiedergegeben. Ueberhaupt sind
diese Bilder, welche die neuern Englischen Fenilletonromane begleiten, z. B. anch die
von Dickens, eigentlich doch sehr häßlich. Sie enthalten mit wenigen Ausnahmen,
wo irgend eine glücklich erfundene humoristische Figur auftritt, z. B. Pickwick,
Nichts als Fratzen und Monstrositäten, und schließen sich in dieser Weise in
mancher Beziehung der Dichtung an. Die Bilder z. B. in Oliver Toise oder
Nicolaus Nickleby sind geradezu scheußlich, es ist die reine Häßlichkeit, ohne eine
Spur von Komik. Nur Thackeray's Bilder machen eine Ausnahme. — Der
Stoff, die Geschichte eines berüchtigten Diebes, war bereits in der Englischen
Literatur nichts Neues. Bulwer hatte ihn vor neun Jahren in seinem Paul
Clifford behandelt, aber er hatte doch wenigstens das Interesse der Leser an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280206"/>
          <p xml:id="ID_298" prev="#ID_297"> Romans ist die Giftmischerei.  Der König, die Königin Mutter, Margarethe von<lb/>
Valois versuchen sich in dieser Branche mit so viel Eiser, daß man zuletzt in der<lb/>
Verwirrung uicht mehr unterscheidet, wer das Gift und wer das Gegengift<lb/>
reicht, wer den Helden morden und wer ihn retten will. Daß irgend Einer in<lb/>
dieser Virtnosttät etwas Unbilliges sehe, daran ist vollends nicht zu denken.<lb/>
Man verwundert sich nnr, wenn irgend ein glänzendes Bankett vorübergeht, ohne<lb/>
daß einige vou den Gästen todt zusammensinken.  Ich fürchte, diese Maule der<lb/>
Giftmischerei wird in den Romanen seit den neuen Criminalgeschichtcu überhand¬<lb/>
nehmen.  Man hat seit der Zeit mehrere neue Gifte entdeckt, mau hat die Wir¬<lb/>
kungen derselben beobachtet, und man kann die verschiedenartigen Zerstörungen,<lb/>
die Krämpfe und Schmerzen, die ein jedes erregt, mit größerer Genauigkeit<lb/>
schildern. Bulwer mit seiner Lucrezia ist schon ein schlimmes Beispiel dafür. Man<lb/>
wird jetzt wahrscheinlich die Blausäure ausgeben und sich vorzugsweise ans den<lb/>
Nicotin legen, und die chemischen Präparate der sachverständigen Aerzte, die schon<lb/>
bei den öffentlichen Proceßvcrhandlungcn einen so widerwärtigen Eindruck machen,<lb/>
werden durch die erhitzte Phantasie der Romanschreiber noch um manche inter¬<lb/>
essante Details bereichert werden.  Unsre überreizten Nerven werden dann nach<lb/>
immer größerem Alkohol verlangen, bis zuletzt eine Abstumpfung eintreten wird,<lb/>
die auch hier eine Rückkehr vom Materiellen ins Geistige, vom Pathologischen<lb/>
ins Psychologische erforden wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_299" next="#ID_300"> Hatten schon diese beiden Romane dem Dichter ein großes Publicum er¬<lb/>
worben, so errang der folgende, &#x201E;Jack Sheppard" (-1839), einen wahren Bei¬<lb/>
fallssturm.  Er wurde für drei Londoner Theater dramatistrt, trotz der Opposition,<lb/>
die sich von Seiten der Puritaner dagegen erhob.  Die Veranlassung zu diesem<lb/>
Roman hat eine vou den bekannten Reihen der Hogarth'sehen Kupferstiche gege¬<lb/>
ben, &#x201E;der faule und der fleißige Lehrling". Die grenzenlose Häßlichkeit dieser<lb/>
Stiche, die trotz der eben so großen Naturtreue derselben einen peinlichen Eindruck<lb/>
macht, bis zu dem Schlußbilde, wo der Leichnam des gehängten Faulen in der<lb/>
Anatomie secirt wird, ist sowol in dem Roman selbst, als in den Zeichnungen<lb/>
von Cruikshank, die denselben verzieren, getreu wiedergegeben.  Ueberhaupt sind<lb/>
diese Bilder, welche die neuern Englischen Fenilletonromane begleiten, z. B. anch die<lb/>
von Dickens, eigentlich doch sehr häßlich. Sie enthalten mit wenigen Ausnahmen,<lb/>
wo irgend eine glücklich erfundene humoristische Figur auftritt, z. B. Pickwick,<lb/>
Nichts als Fratzen und Monstrositäten, und schließen sich in dieser Weise in<lb/>
mancher Beziehung der Dichtung an.  Die Bilder z. B. in Oliver Toise oder<lb/>
Nicolaus Nickleby sind geradezu scheußlich, es ist die reine Häßlichkeit, ohne eine<lb/>
Spur von Komik.  Nur Thackeray's Bilder machen eine Ausnahme. &#x2014; Der<lb/>
Stoff, die Geschichte eines berüchtigten Diebes, war bereits in der Englischen<lb/>
Literatur nichts Neues.  Bulwer hatte ihn vor neun Jahren in seinem Paul<lb/>
Clifford behandelt, aber er hatte doch wenigstens das Interesse der Leser an</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] Romans ist die Giftmischerei. Der König, die Königin Mutter, Margarethe von Valois versuchen sich in dieser Branche mit so viel Eiser, daß man zuletzt in der Verwirrung uicht mehr unterscheidet, wer das Gift und wer das Gegengift reicht, wer den Helden morden und wer ihn retten will. Daß irgend Einer in dieser Virtnosttät etwas Unbilliges sehe, daran ist vollends nicht zu denken. Man verwundert sich nnr, wenn irgend ein glänzendes Bankett vorübergeht, ohne daß einige vou den Gästen todt zusammensinken. Ich fürchte, diese Maule der Giftmischerei wird in den Romanen seit den neuen Criminalgeschichtcu überhand¬ nehmen. Man hat seit der Zeit mehrere neue Gifte entdeckt, mau hat die Wir¬ kungen derselben beobachtet, und man kann die verschiedenartigen Zerstörungen, die Krämpfe und Schmerzen, die ein jedes erregt, mit größerer Genauigkeit schildern. Bulwer mit seiner Lucrezia ist schon ein schlimmes Beispiel dafür. Man wird jetzt wahrscheinlich die Blausäure ausgeben und sich vorzugsweise ans den Nicotin legen, und die chemischen Präparate der sachverständigen Aerzte, die schon bei den öffentlichen Proceßvcrhandlungcn einen so widerwärtigen Eindruck machen, werden durch die erhitzte Phantasie der Romanschreiber noch um manche inter¬ essante Details bereichert werden. Unsre überreizten Nerven werden dann nach immer größerem Alkohol verlangen, bis zuletzt eine Abstumpfung eintreten wird, die auch hier eine Rückkehr vom Materiellen ins Geistige, vom Pathologischen ins Psychologische erforden wird. Hatten schon diese beiden Romane dem Dichter ein großes Publicum er¬ worben, so errang der folgende, „Jack Sheppard" (-1839), einen wahren Bei¬ fallssturm. Er wurde für drei Londoner Theater dramatistrt, trotz der Opposition, die sich von Seiten der Puritaner dagegen erhob. Die Veranlassung zu diesem Roman hat eine vou den bekannten Reihen der Hogarth'sehen Kupferstiche gege¬ ben, „der faule und der fleißige Lehrling". Die grenzenlose Häßlichkeit dieser Stiche, die trotz der eben so großen Naturtreue derselben einen peinlichen Eindruck macht, bis zu dem Schlußbilde, wo der Leichnam des gehängten Faulen in der Anatomie secirt wird, ist sowol in dem Roman selbst, als in den Zeichnungen von Cruikshank, die denselben verzieren, getreu wiedergegeben. Ueberhaupt sind diese Bilder, welche die neuern Englischen Fenilletonromane begleiten, z. B. anch die von Dickens, eigentlich doch sehr häßlich. Sie enthalten mit wenigen Ausnahmen, wo irgend eine glücklich erfundene humoristische Figur auftritt, z. B. Pickwick, Nichts als Fratzen und Monstrositäten, und schließen sich in dieser Weise in mancher Beziehung der Dichtung an. Die Bilder z. B. in Oliver Toise oder Nicolaus Nickleby sind geradezu scheußlich, es ist die reine Häßlichkeit, ohne eine Spur von Komik. Nur Thackeray's Bilder machen eine Ausnahme. — Der Stoff, die Geschichte eines berüchtigten Diebes, war bereits in der Englischen Literatur nichts Neues. Bulwer hatte ihn vor neun Jahren in seinem Paul Clifford behandelt, aber er hatte doch wenigstens das Interesse der Leser an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/119>, abgerufen am 02.07.2024.