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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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wisse Neigung zum Spleen, der schon .in ihren Volksballaden durch allerlei un¬
heimliche Momente ihnen gegenständlich wurde, der bei Shakspeare eine über
das dramatische Bedürfniß hinausgehende Rolle spielt, und der auch bei
Walter Scott sich von Zeit zu Zeit hervordrängt. Abgesehen von vereinzelten
Versuchen, wo es ihm mißglückt ist, weil das nebelhafte der übersinnlichen Welt
mit dem heitern Licht der ganzen Erzählung schlecht übereinstimmt, z. B. im
"Kloster" oder im "Woodstock", ist einer seiner berühmtesten Romane "Die Braut
von Lammcrmoor" ganz in dieser düstern Färbung gehalten. Die Leichenwciber,
die darin auftreten, sind keine Nebensachen, sie sind der Chorus der Handlung,
der den Grundaccord des Stücks angiebt. An audere irrationelle Erscheinungen,
die Zigeuner, die Astrologie, die öfters auftretenden Wahnsinnigen, will ich nur
beiläufig erinnern. -- "Die Braut von Lammcrmoor" hat ans "Novkwovd" einen
großen Einfluß geübt. Die Hanpthcldiu des Letzten, eine stolze, böse Frau,
ist Nichts als ein Abklatsch der Lady Ashton, uur daß Walter Scott die harte,
kalte und herzlose Entschlossenheit dieses meisterhaft ausgeführten Weibes geistig
und mit dramatischer Einheit darstellt, während Ainsworth sie durch eine Masse
von Greuelthaten verherrlicht. Sie gehört bei ihm zu einer Familie von Vater¬
mördern, und ihre Umgebungen sind ihrer würdig. Die Mordthaten werden so
häufig, daß von Zeit zu Zeit die ermordeten Personen sich als Scheintodte er¬
weisen müssen, damit der Stoff nicht ausgeht, gerade wie bei Engen Tue und seiner
Schule, von der mir hier namentlich ein charakteristisches Product einfällt, die
von Gerstäcker übersetzten "Geheimnisse der Qnäkerstadt". Bemerkenswert!) dabei
ist, daß alle diese Greuel, Gespenstererscheiuungen u. f. w. nicht in dem Tone
des romantischen Grauens, sondern mit einer gewissen grotesken Lustigkeit dar¬
gestellt werden. Eine Hauptfigur macht sogar einen durchaus heitern Eindruck,
der berühmte Straßenräuber Dick Turpin, dessen Flucht vor seinen Verfolgern
mit einer Virtuosität dargestellt wird, die sich Sealssteld an die Seite stellen kann.
Es ist anch natürlich, daß unter dieser Masse von Unholden ein einfacher Spitz-
bube, der, wenn er sich einmal zu einem Todtschlag herbeiläßt, es nnr des
Geldes wegen thut, einen erfreulichen Kontrast macht.

Der folgende Roman, "Crichton" (1837), gehört in die Klasse der histori¬
schen, und spielt in einer Zeit, die am Fruchtbarsten für die neuern Novellisten
gewesen ist, am Hofe Heinrich des III. von Frankreich und der Katharine von
Medici. Bekanntlich hat Alexander Dumas dasselbe Thema behandelt, genau mit
der nämlichen Frivolität, was die Sittlichkeit und das Gewissen betrifft, aber mit
einer Heiterkeit, die uns wieder versöhnen muß. Bei Crichton tritt neben dem
novellistischen Interesse noch ein antiquarisches hinzu. Der Dichter hat eine
Masse historischer Kuriositäten zusammengehäuft, um ein Gesammtbild der Zeit
zu geben, ungefähr wie es Bulwer in seinem Devcreux thut. Von einer eigent¬
lich historischen Zeichnung der Personen ist aber keine Rede. Das Thema des


wisse Neigung zum Spleen, der schon .in ihren Volksballaden durch allerlei un¬
heimliche Momente ihnen gegenständlich wurde, der bei Shakspeare eine über
das dramatische Bedürfniß hinausgehende Rolle spielt, und der auch bei
Walter Scott sich von Zeit zu Zeit hervordrängt. Abgesehen von vereinzelten
Versuchen, wo es ihm mißglückt ist, weil das nebelhafte der übersinnlichen Welt
mit dem heitern Licht der ganzen Erzählung schlecht übereinstimmt, z. B. im
„Kloster" oder im „Woodstock", ist einer seiner berühmtesten Romane „Die Braut
von Lammcrmoor" ganz in dieser düstern Färbung gehalten. Die Leichenwciber,
die darin auftreten, sind keine Nebensachen, sie sind der Chorus der Handlung,
der den Grundaccord des Stücks angiebt. An audere irrationelle Erscheinungen,
die Zigeuner, die Astrologie, die öfters auftretenden Wahnsinnigen, will ich nur
beiläufig erinnern. — „Die Braut von Lammcrmoor" hat ans „Novkwovd" einen
großen Einfluß geübt. Die Hanpthcldiu des Letzten, eine stolze, böse Frau,
ist Nichts als ein Abklatsch der Lady Ashton, uur daß Walter Scott die harte,
kalte und herzlose Entschlossenheit dieses meisterhaft ausgeführten Weibes geistig
und mit dramatischer Einheit darstellt, während Ainsworth sie durch eine Masse
von Greuelthaten verherrlicht. Sie gehört bei ihm zu einer Familie von Vater¬
mördern, und ihre Umgebungen sind ihrer würdig. Die Mordthaten werden so
häufig, daß von Zeit zu Zeit die ermordeten Personen sich als Scheintodte er¬
weisen müssen, damit der Stoff nicht ausgeht, gerade wie bei Engen Tue und seiner
Schule, von der mir hier namentlich ein charakteristisches Product einfällt, die
von Gerstäcker übersetzten „Geheimnisse der Qnäkerstadt". Bemerkenswert!) dabei
ist, daß alle diese Greuel, Gespenstererscheiuungen u. f. w. nicht in dem Tone
des romantischen Grauens, sondern mit einer gewissen grotesken Lustigkeit dar¬
gestellt werden. Eine Hauptfigur macht sogar einen durchaus heitern Eindruck,
der berühmte Straßenräuber Dick Turpin, dessen Flucht vor seinen Verfolgern
mit einer Virtuosität dargestellt wird, die sich Sealssteld an die Seite stellen kann.
Es ist anch natürlich, daß unter dieser Masse von Unholden ein einfacher Spitz-
bube, der, wenn er sich einmal zu einem Todtschlag herbeiläßt, es nnr des
Geldes wegen thut, einen erfreulichen Kontrast macht.

Der folgende Roman, „Crichton" (1837), gehört in die Klasse der histori¬
schen, und spielt in einer Zeit, die am Fruchtbarsten für die neuern Novellisten
gewesen ist, am Hofe Heinrich des III. von Frankreich und der Katharine von
Medici. Bekanntlich hat Alexander Dumas dasselbe Thema behandelt, genau mit
der nämlichen Frivolität, was die Sittlichkeit und das Gewissen betrifft, aber mit
einer Heiterkeit, die uns wieder versöhnen muß. Bei Crichton tritt neben dem
novellistischen Interesse noch ein antiquarisches hinzu. Der Dichter hat eine
Masse historischer Kuriositäten zusammengehäuft, um ein Gesammtbild der Zeit
zu geben, ungefähr wie es Bulwer in seinem Devcreux thut. Von einer eigent¬
lich historischen Zeichnung der Personen ist aber keine Rede. Das Thema des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/118>, abgerufen am 02.07.2024.