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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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erbauen kann. Ich war auf das Tiefste ergrissen, als mich ein Paar Schlu߬
triller, so schon an sich sie waren, ans der Stimmung warfen.

Roger's Tonbildung zeugt vou gründlicher Schule. Die große Geschicklich-
keit seiner Gesangskunst beweist er in der Art, wie er bei einer nach der Höhe zu
gepreßten Stimme die Töne so zu sammeln versteht, daß er zuweilen in der
obern Lage die me^a-poco mit leisen Brustklängen hinzuhanchen vermag.
Oefter jedoch muß er in solchen Momenten zum Falsett seine Zuflucht nehmen.
Die Koloratur fingt er fast immer mW2k-voe,<z und läßt sie Mui85i,me> verklingen.
Nur in diesem Falle bleibt sie schön; sonst wird sie unklar. Für die Cadenz
zeigt er wenig Geschmack. Er ist kein Sänger des Portaments, wenigstens nicht
für die gebundene Melodie, wenn er es anch für die einzelnem Töne besitzt.
Der gepreßte Brustton der Höhe bewegt sich am Ungezwungensten im slaeoato.
Diese Eigenheiten seines Gesanges sind zum Theil durch die Natur seiner Stimme
bedingt, zum Theil aber auch durch die Kunstrichtung, in welcher seine Entwicke¬
lung sich bewegte, und beide greife" zu gegenseitiger Wirkung in einander. Ro¬
ger's Kunstrichtung entspricht dem Gestältuugsgaugc der Französischen Oper mit
ihrer Tendenz aus vorzugsweise dramatische und charakteristische Wirkung.

Es ist interessant, Roger mit Rubiui zu vergleichen, dem vollendetsten Sän¬
ger der durch Rossini begründeten Italienischen Opcrurichtuug, den ich vor Jah¬
ren noch im letzten Stadium seiner Blüthe hörte. Nnbini war ein rein musika¬
lischer Sänger. Ein wundervolles Portamcnt, ein herrlich melodischer Vortrag
der Cantileue zeichnete" ihn aus. Seine eminente Kehlfcrtigkeit liebte er daneben
in einem Brillautfeuerwerk von Trillern und Koloraturen, das zwar überladen,
aber in seiner perlenden Klarheit nie geschmacklos wurde, zu entfalten. Dar¬
steller war er gar uicht. Wie Rubiui in seiner unübertroffenen technischen Mei¬
sterschaft schwelgte, so schwelgt Roger in dem Bewußtsein, das dramatische Colorit
seines Tous in den mannichfaltigsten Schattirungen zu beherrschen. Daher neben
der bewältigenden Macht seines charaktervoller Spiels und Vortrags das Dehnen
der Stimmungen und Gefühle , der schroffe Wechsel und das mitunter die Gren¬
zen der Wahrheit überschreitende nuanciren, in welchem er zugleich nicht selten
unmusikalisch wird. War Nubini der vollendetste Virtuos der Gesangstcchuik,
der in meiner Erinnerung sich zeigt, so ist Roger der vollendetste Virtuos des
A. G. dramatischen und charakteristischen Ausdrucks.




erbauen kann. Ich war auf das Tiefste ergrissen, als mich ein Paar Schlu߬
triller, so schon an sich sie waren, ans der Stimmung warfen.

Roger's Tonbildung zeugt vou gründlicher Schule. Die große Geschicklich-
keit seiner Gesangskunst beweist er in der Art, wie er bei einer nach der Höhe zu
gepreßten Stimme die Töne so zu sammeln versteht, daß er zuweilen in der
obern Lage die me^a-poco mit leisen Brustklängen hinzuhanchen vermag.
Oefter jedoch muß er in solchen Momenten zum Falsett seine Zuflucht nehmen.
Die Koloratur fingt er fast immer mW2k-voe,<z und läßt sie Mui85i,me> verklingen.
Nur in diesem Falle bleibt sie schön; sonst wird sie unklar. Für die Cadenz
zeigt er wenig Geschmack. Er ist kein Sänger des Portaments, wenigstens nicht
für die gebundene Melodie, wenn er es anch für die einzelnem Töne besitzt.
Der gepreßte Brustton der Höhe bewegt sich am Ungezwungensten im slaeoato.
Diese Eigenheiten seines Gesanges sind zum Theil durch die Natur seiner Stimme
bedingt, zum Theil aber auch durch die Kunstrichtung, in welcher seine Entwicke¬
lung sich bewegte, und beide greife» zu gegenseitiger Wirkung in einander. Ro¬
ger's Kunstrichtung entspricht dem Gestältuugsgaugc der Französischen Oper mit
ihrer Tendenz aus vorzugsweise dramatische und charakteristische Wirkung.

Es ist interessant, Roger mit Rubiui zu vergleichen, dem vollendetsten Sän¬
ger der durch Rossini begründeten Italienischen Opcrurichtuug, den ich vor Jah¬
ren noch im letzten Stadium seiner Blüthe hörte. Nnbini war ein rein musika¬
lischer Sänger. Ein wundervolles Portamcnt, ein herrlich melodischer Vortrag
der Cantileue zeichnete» ihn aus. Seine eminente Kehlfcrtigkeit liebte er daneben
in einem Brillautfeuerwerk von Trillern und Koloraturen, das zwar überladen,
aber in seiner perlenden Klarheit nie geschmacklos wurde, zu entfalten. Dar¬
steller war er gar uicht. Wie Rubiui in seiner unübertroffenen technischen Mei¬
sterschaft schwelgte, so schwelgt Roger in dem Bewußtsein, das dramatische Colorit
seines Tous in den mannichfaltigsten Schattirungen zu beherrschen. Daher neben
der bewältigenden Macht seines charaktervoller Spiels und Vortrags das Dehnen
der Stimmungen und Gefühle , der schroffe Wechsel und das mitunter die Gren¬
zen der Wahrheit überschreitende nuanciren, in welchem er zugleich nicht selten
unmusikalisch wird. War Nubini der vollendetste Virtuos der Gesangstcchuik,
der in meiner Erinnerung sich zeigt, so ist Roger der vollendetste Virtuos des
A. G. dramatischen und charakteristischen Ausdrucks.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/114>, abgerufen am 02.07.2024.