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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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setzt in ihrer Anpreisung des allgemeinensDeutschlanh dem wirklich Bestehenden
ein geschichtloscs Ideal entgegen, und ignorirt gerade diejenigen Thatsachen, die
für die Entwickelung maßgebend sind. Die Demokratie ignorirt die Machtfülle
zweier Großstaaten, die auch eine Revolution nicht aufheben, sondern nur in eine
andere Richtung treiben kann. Die grvßdeutschc Partei ignorirt die Geschichte
der drei letzten Jahrhunderte, die auf der Grundlage protestantischer Glaubens¬
freiheit und militärischer Autonomie in Norddeutschland einen Staatsorganismus
hervorgebracht haben, der in seiner Anlage nicht nnr, sondern zum Theil bereits
in seiner Durchbildung Aber die Idee des alten Römischen Reichs und dessen ge¬
genwärtigen Repräsentanten, das Oestrcichische Kaiserthum, hinausgegangen ist,
und nicht wieder in unreifere Zustände zurückgezwuugcn werden kann.

Wir wissen es uicht, denn wir sind keine Propheten, ob der weitere Fort¬
schritt in Deutschland auf dem Wege gesetzlicher Entwickelung, oder auf dem Wege
eines gewaltsamen Umsturzes erfolgen wird. Aber das wissen wir, daß in beide"
Fällen, wenn nicht eine vollständige Versumpfung, oder, was noch wahrscheinlicher
ist, ein auch äußerlicher Untergang Deutschlands daraus erfolgen soll, nur die Be¬
nutzung der straffen Preußischen Zucht und der bildsamen Beweglichkeit des Preu¬
ßischen Staats die Bildung eines realen Deutschland vermitteln, und daß nur
die Benutzung der großen Kräfte des Kaiserstaats das Konglomerat von ver¬
schiedenen Völkerschaften, welches jetzt den Begriff Oestreich ausmacht, der Ge¬
schichte erhalten kaun.

Wir haben uns zu Anfang der Bewegung "conservative Demokraten" genannt,
weil wir die Gleichheit in den bürgerlichen Rechten, die Selbstregierung des Volks
in den kleinen Kreisen und seine mittelbare Betheiligung an dem großen Leben
der Nation nicht blos für ein Ideal, sondern sür eine Thatsache gehalten haben,
die mit historischer Nothwendigkeit die Voraussetzungen der alten Zeit durchbricht;
aber wir habe" schon damals gegen die Ideen, oder, bestimmter gesagt, gegen die
Phrasen der Volkssvuveraiuetät, der realen Gleichheit aller Menschen in Genuß
und Arbeit, und Aehnliches angekämpft, weil diese Phrasen, wie alle gedankenlos
hingenommenen Glaubensartikel, die auf einer Abstraction beruhen, die Entwicke¬
lung nicht fördern, sondern nur hemmen. Wir haben in dieser Beziehung in der
historischen Schule, die zu Anfang dieses Jahrhunderts aufgetreten ist, einen sehr
bedeutenden Fortschritt gegen den alten Liberalismus gesunden, und sind ihrer
Polemik gegen die Auflösung des Staats in gleichgiltige Atome und gegen die
Herabsetzung seiner Thätigkeit in einen arithmetischen Mechanismus mit voller
Ueberzeugung beigetreten, wie wir mit derselben Ueberzeugung später ihre noch viel
gedankenlosem Dogmen von dem göttlichen Recht der Könige, der Ständeunter¬
schiede und dergleichen bekämpft haben. Wir haben in beiden Fällen geglaubt,
daß nur durch gründliche Vernichtung aller ideellen Abstractionen das wirklich ide-


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setzt in ihrer Anpreisung des allgemeinensDeutschlanh dem wirklich Bestehenden
ein geschichtloscs Ideal entgegen, und ignorirt gerade diejenigen Thatsachen, die
für die Entwickelung maßgebend sind. Die Demokratie ignorirt die Machtfülle
zweier Großstaaten, die auch eine Revolution nicht aufheben, sondern nur in eine
andere Richtung treiben kann. Die grvßdeutschc Partei ignorirt die Geschichte
der drei letzten Jahrhunderte, die auf der Grundlage protestantischer Glaubens¬
freiheit und militärischer Autonomie in Norddeutschland einen Staatsorganismus
hervorgebracht haben, der in seiner Anlage nicht nnr, sondern zum Theil bereits
in seiner Durchbildung Aber die Idee des alten Römischen Reichs und dessen ge¬
genwärtigen Repräsentanten, das Oestrcichische Kaiserthum, hinausgegangen ist,
und nicht wieder in unreifere Zustände zurückgezwuugcn werden kann.

Wir wissen es uicht, denn wir sind keine Propheten, ob der weitere Fort¬
schritt in Deutschland auf dem Wege gesetzlicher Entwickelung, oder auf dem Wege
eines gewaltsamen Umsturzes erfolgen wird. Aber das wissen wir, daß in beide»
Fällen, wenn nicht eine vollständige Versumpfung, oder, was noch wahrscheinlicher
ist, ein auch äußerlicher Untergang Deutschlands daraus erfolgen soll, nur die Be¬
nutzung der straffen Preußischen Zucht und der bildsamen Beweglichkeit des Preu¬
ßischen Staats die Bildung eines realen Deutschland vermitteln, und daß nur
die Benutzung der großen Kräfte des Kaiserstaats das Konglomerat von ver¬
schiedenen Völkerschaften, welches jetzt den Begriff Oestreich ausmacht, der Ge¬
schichte erhalten kaun.

Wir haben uns zu Anfang der Bewegung „conservative Demokraten" genannt,
weil wir die Gleichheit in den bürgerlichen Rechten, die Selbstregierung des Volks
in den kleinen Kreisen und seine mittelbare Betheiligung an dem großen Leben
der Nation nicht blos für ein Ideal, sondern sür eine Thatsache gehalten haben,
die mit historischer Nothwendigkeit die Voraussetzungen der alten Zeit durchbricht;
aber wir habe» schon damals gegen die Ideen, oder, bestimmter gesagt, gegen die
Phrasen der Volkssvuveraiuetät, der realen Gleichheit aller Menschen in Genuß
und Arbeit, und Aehnliches angekämpft, weil diese Phrasen, wie alle gedankenlos
hingenommenen Glaubensartikel, die auf einer Abstraction beruhen, die Entwicke¬
lung nicht fördern, sondern nur hemmen. Wir haben in dieser Beziehung in der
historischen Schule, die zu Anfang dieses Jahrhunderts aufgetreten ist, einen sehr
bedeutenden Fortschritt gegen den alten Liberalismus gesunden, und sind ihrer
Polemik gegen die Auflösung des Staats in gleichgiltige Atome und gegen die
Herabsetzung seiner Thätigkeit in einen arithmetischen Mechanismus mit voller
Ueberzeugung beigetreten, wie wir mit derselben Ueberzeugung später ihre noch viel
gedankenlosem Dogmen von dem göttlichen Recht der Könige, der Ständeunter¬
schiede und dergleichen bekämpft haben. Wir haben in beiden Fällen geglaubt,
daß nur durch gründliche Vernichtung aller ideellen Abstractionen das wirklich ide-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/11>, abgerufen am 30.06.2024.