Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gedämpftem und zitterndem Tone, wie Einer, der ein fernes Bild halb staunend
halb bebend anstarrt; nach und nach treten einige glänzendere Farben hervor;
den Kulminationspunkt aber erreicht er in den Worten: "es dröhnt tief aus der
Erde Schooß der Ruf herauf: er sei verflucht, verflucht! Doch zu dem Herrn
erhebt sich aus der Tiefe eine Stimme voll Schmerz und fleht mit bangem Laut:
Erbarmen!"

Meine Achtung hat sich noch gesteigert bei seinem Austreten als Georg
Brown. Jetzt erst lernte ich die Vielseitigkeit seiner Natur, und vor allen Dingen
den bedeutende" Grad von Vollendung, den er auch als bloßer Sänger erreicht
hat, kennen. Wir hörten einen Ton, der Nichts als Adel und Wohlklang enthielt.
In den kleinen Verzierungen, dem abwechselnden Gebrauch des Falsetts und der
Bruststimme entwickelte Roger eine Leichtigkeit und Anmuth, die vielleicht nur
einem Franzosen erreichbar ist; die Aussprache ist, wenn man von dem etwas
fremartigen Accent absieht, eine musterhafte. In manchen Punkten der Technik
wird Roger von unsern Sängern übertroffen, nicht blos in denen, die er der
dramatischen Beseelung wegen mit gutem Recht etwas vernachlässigt, sondern anch
in einigen andern, mit denen er es ohne tiefern Grund nicht sonderlich genau
nimmt; in den wesentlichsten aber überragt er sie bei Weitem; man hört einen
Sänger, der von Jugend auf <u Paris gelebt und durch das Hören der größten
Italienischen und Französischen Sänger sich gebildet, und ohne Zweifel Vieles spie¬
lend gelernt hat, was unsre Sänger mit größter Anstrengung sich erwerben
müssen. Das Hervortretendste war aber auch diesmal die vollständige Durch¬
dringung von Spiel und Gesang. -- Obschon Roger einzelne Gegner findet, so
hat er doch bei dem Publicum, wie bei den Kennern einen Erfolg errungen, wie
er in Berlin kaum erhört ist. Es wird Mode, ihn nach jedem Act zu rufen:
ein Grad des Beifalls, der heut zu Tage, wo in Folge der Claque das Nicht-Ap-
Plaudiren Tagesordnung geworden ist, fehr viel sagen will. Für den nächsten
Sommer ist er zu einem neuen Gastspiel engagirt; wir werden dann den Don
Juan von ihm hören, eine Rolle, der er bei dem auch in der Tiefe bedeutenden
Umfang der Stimme gewachsen sein wird.

Ein Interesse eigner Art gewährt das noch fortdauernde Gastspiel der Kö.
nigsberger Oper. Mit der Darstellung solcher Opern freilich, die auf unserm
Repertoir heimisch sind, konnte die Gesellschaft kein Glück machen; sie erwarb
sich aber ein Verdienst durch die Aufführung einiger von der hiesigen Bühne
verschwundenen Opern, von denen Dittersdorfs Doctor und Apotheker, nächst
dem der Hieronymus Knicker, von demselben Meister, die allgemeinste Aufmerk¬
samkeit erregte. Es läßt sich denke", daß Dittersdorfs einfache und natürliche
Ausdrucksweise durch deu Gegensatz, in dem sie zu der moderne" Ueberspanntheit
steht, heute mehr wirkte, als sie vor etwa zwanzig bis dreißig Jahre" wirke"
mochte; aber ganz abgesehen davon hat sie ihren bleibende", classische" Werth.


gedämpftem und zitterndem Tone, wie Einer, der ein fernes Bild halb staunend
halb bebend anstarrt; nach und nach treten einige glänzendere Farben hervor;
den Kulminationspunkt aber erreicht er in den Worten: „es dröhnt tief aus der
Erde Schooß der Ruf herauf: er sei verflucht, verflucht! Doch zu dem Herrn
erhebt sich aus der Tiefe eine Stimme voll Schmerz und fleht mit bangem Laut:
Erbarmen!"

Meine Achtung hat sich noch gesteigert bei seinem Austreten als Georg
Brown. Jetzt erst lernte ich die Vielseitigkeit seiner Natur, und vor allen Dingen
den bedeutende» Grad von Vollendung, den er auch als bloßer Sänger erreicht
hat, kennen. Wir hörten einen Ton, der Nichts als Adel und Wohlklang enthielt.
In den kleinen Verzierungen, dem abwechselnden Gebrauch des Falsetts und der
Bruststimme entwickelte Roger eine Leichtigkeit und Anmuth, die vielleicht nur
einem Franzosen erreichbar ist; die Aussprache ist, wenn man von dem etwas
fremartigen Accent absieht, eine musterhafte. In manchen Punkten der Technik
wird Roger von unsern Sängern übertroffen, nicht blos in denen, die er der
dramatischen Beseelung wegen mit gutem Recht etwas vernachlässigt, sondern anch
in einigen andern, mit denen er es ohne tiefern Grund nicht sonderlich genau
nimmt; in den wesentlichsten aber überragt er sie bei Weitem; man hört einen
Sänger, der von Jugend auf <u Paris gelebt und durch das Hören der größten
Italienischen und Französischen Sänger sich gebildet, und ohne Zweifel Vieles spie¬
lend gelernt hat, was unsre Sänger mit größter Anstrengung sich erwerben
müssen. Das Hervortretendste war aber auch diesmal die vollständige Durch¬
dringung von Spiel und Gesang. — Obschon Roger einzelne Gegner findet, so
hat er doch bei dem Publicum, wie bei den Kennern einen Erfolg errungen, wie
er in Berlin kaum erhört ist. Es wird Mode, ihn nach jedem Act zu rufen:
ein Grad des Beifalls, der heut zu Tage, wo in Folge der Claque das Nicht-Ap-
Plaudiren Tagesordnung geworden ist, fehr viel sagen will. Für den nächsten
Sommer ist er zu einem neuen Gastspiel engagirt; wir werden dann den Don
Juan von ihm hören, eine Rolle, der er bei dem auch in der Tiefe bedeutenden
Umfang der Stimme gewachsen sein wird.

Ein Interesse eigner Art gewährt das noch fortdauernde Gastspiel der Kö.
nigsberger Oper. Mit der Darstellung solcher Opern freilich, die auf unserm
Repertoir heimisch sind, konnte die Gesellschaft kein Glück machen; sie erwarb
sich aber ein Verdienst durch die Aufführung einiger von der hiesigen Bühne
verschwundenen Opern, von denen Dittersdorfs Doctor und Apotheker, nächst
dem der Hieronymus Knicker, von demselben Meister, die allgemeinste Aufmerk¬
samkeit erregte. Es läßt sich denke», daß Dittersdorfs einfache und natürliche
Ausdrucksweise durch deu Gegensatz, in dem sie zu der moderne» Ueberspanntheit
steht, heute mehr wirkte, als sie vor etwa zwanzig bis dreißig Jahre» wirke»
mochte; aber ganz abgesehen davon hat sie ihren bleibende», classische» Werth.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280196"/>
            <p xml:id="ID_273" prev="#ID_272"> gedämpftem und zitterndem Tone, wie Einer, der ein fernes Bild halb staunend<lb/>
halb bebend anstarrt; nach und nach treten einige glänzendere Farben hervor;<lb/>
den Kulminationspunkt aber erreicht er in den Worten: &#x201E;es dröhnt tief aus der<lb/>
Erde Schooß der Ruf herauf: er sei verflucht, verflucht! Doch zu dem Herrn<lb/>
erhebt sich aus der Tiefe eine Stimme voll Schmerz und fleht mit bangem Laut:<lb/>
Erbarmen!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_274"> Meine Achtung hat sich noch gesteigert bei seinem Austreten als Georg<lb/>
Brown. Jetzt erst lernte ich die Vielseitigkeit seiner Natur, und vor allen Dingen<lb/>
den bedeutende» Grad von Vollendung, den er auch als bloßer Sänger erreicht<lb/>
hat, kennen. Wir hörten einen Ton, der Nichts als Adel und Wohlklang enthielt.<lb/>
In den kleinen Verzierungen, dem abwechselnden Gebrauch des Falsetts und der<lb/>
Bruststimme entwickelte Roger eine Leichtigkeit und Anmuth, die vielleicht nur<lb/>
einem Franzosen erreichbar ist; die Aussprache ist, wenn man von dem etwas<lb/>
fremartigen Accent absieht, eine musterhafte. In manchen Punkten der Technik<lb/>
wird Roger von unsern Sängern übertroffen, nicht blos in denen, die er der<lb/>
dramatischen Beseelung wegen mit gutem Recht etwas vernachlässigt, sondern anch<lb/>
in einigen andern, mit denen er es ohne tiefern Grund nicht sonderlich genau<lb/>
nimmt; in den wesentlichsten aber überragt er sie bei Weitem; man hört einen<lb/>
Sänger, der von Jugend auf &lt;u Paris gelebt und durch das Hören der größten<lb/>
Italienischen und Französischen Sänger sich gebildet, und ohne Zweifel Vieles spie¬<lb/>
lend gelernt hat, was unsre Sänger mit größter Anstrengung sich erwerben<lb/>
müssen. Das Hervortretendste war aber auch diesmal die vollständige Durch¬<lb/>
dringung von Spiel und Gesang. &#x2014; Obschon Roger einzelne Gegner findet, so<lb/>
hat er doch bei dem Publicum, wie bei den Kennern einen Erfolg errungen, wie<lb/>
er in Berlin kaum erhört ist. Es wird Mode, ihn nach jedem Act zu rufen:<lb/>
ein Grad des Beifalls, der heut zu Tage, wo in Folge der Claque das Nicht-Ap-<lb/>
Plaudiren Tagesordnung geworden ist, fehr viel sagen will. Für den nächsten<lb/>
Sommer ist er zu einem neuen Gastspiel engagirt; wir werden dann den Don<lb/>
Juan von ihm hören, eine Rolle, der er bei dem auch in der Tiefe bedeutenden<lb/>
Umfang der Stimme gewachsen sein wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_275" next="#ID_276"> Ein Interesse eigner Art gewährt das noch fortdauernde Gastspiel der Kö.<lb/>
nigsberger Oper. Mit der Darstellung solcher Opern freilich, die auf unserm<lb/>
Repertoir heimisch sind, konnte die Gesellschaft kein Glück machen; sie erwarb<lb/>
sich aber ein Verdienst durch die Aufführung einiger von der hiesigen Bühne<lb/>
verschwundenen Opern, von denen Dittersdorfs Doctor und Apotheker, nächst<lb/>
dem der Hieronymus Knicker, von demselben Meister, die allgemeinste Aufmerk¬<lb/>
samkeit erregte. Es läßt sich denke», daß Dittersdorfs einfache und natürliche<lb/>
Ausdrucksweise durch deu Gegensatz, in dem sie zu der moderne» Ueberspanntheit<lb/>
steht, heute mehr wirkte, als sie vor etwa zwanzig bis dreißig Jahre» wirke»<lb/>
mochte; aber ganz abgesehen davon hat sie ihren bleibende», classische» Werth.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] gedämpftem und zitterndem Tone, wie Einer, der ein fernes Bild halb staunend halb bebend anstarrt; nach und nach treten einige glänzendere Farben hervor; den Kulminationspunkt aber erreicht er in den Worten: „es dröhnt tief aus der Erde Schooß der Ruf herauf: er sei verflucht, verflucht! Doch zu dem Herrn erhebt sich aus der Tiefe eine Stimme voll Schmerz und fleht mit bangem Laut: Erbarmen!" Meine Achtung hat sich noch gesteigert bei seinem Austreten als Georg Brown. Jetzt erst lernte ich die Vielseitigkeit seiner Natur, und vor allen Dingen den bedeutende» Grad von Vollendung, den er auch als bloßer Sänger erreicht hat, kennen. Wir hörten einen Ton, der Nichts als Adel und Wohlklang enthielt. In den kleinen Verzierungen, dem abwechselnden Gebrauch des Falsetts und der Bruststimme entwickelte Roger eine Leichtigkeit und Anmuth, die vielleicht nur einem Franzosen erreichbar ist; die Aussprache ist, wenn man von dem etwas fremartigen Accent absieht, eine musterhafte. In manchen Punkten der Technik wird Roger von unsern Sängern übertroffen, nicht blos in denen, die er der dramatischen Beseelung wegen mit gutem Recht etwas vernachlässigt, sondern anch in einigen andern, mit denen er es ohne tiefern Grund nicht sonderlich genau nimmt; in den wesentlichsten aber überragt er sie bei Weitem; man hört einen Sänger, der von Jugend auf <u Paris gelebt und durch das Hören der größten Italienischen und Französischen Sänger sich gebildet, und ohne Zweifel Vieles spie¬ lend gelernt hat, was unsre Sänger mit größter Anstrengung sich erwerben müssen. Das Hervortretendste war aber auch diesmal die vollständige Durch¬ dringung von Spiel und Gesang. — Obschon Roger einzelne Gegner findet, so hat er doch bei dem Publicum, wie bei den Kennern einen Erfolg errungen, wie er in Berlin kaum erhört ist. Es wird Mode, ihn nach jedem Act zu rufen: ein Grad des Beifalls, der heut zu Tage, wo in Folge der Claque das Nicht-Ap- Plaudiren Tagesordnung geworden ist, fehr viel sagen will. Für den nächsten Sommer ist er zu einem neuen Gastspiel engagirt; wir werden dann den Don Juan von ihm hören, eine Rolle, der er bei dem auch in der Tiefe bedeutenden Umfang der Stimme gewachsen sein wird. Ein Interesse eigner Art gewährt das noch fortdauernde Gastspiel der Kö. nigsberger Oper. Mit der Darstellung solcher Opern freilich, die auf unserm Repertoir heimisch sind, konnte die Gesellschaft kein Glück machen; sie erwarb sich aber ein Verdienst durch die Aufführung einiger von der hiesigen Bühne verschwundenen Opern, von denen Dittersdorfs Doctor und Apotheker, nächst dem der Hieronymus Knicker, von demselben Meister, die allgemeinste Aufmerk¬ samkeit erregte. Es läßt sich denke», daß Dittersdorfs einfache und natürliche Ausdrucksweise durch deu Gegensatz, in dem sie zu der moderne» Ueberspanntheit steht, heute mehr wirkte, als sie vor etwa zwanzig bis dreißig Jahre» wirke» mochte; aber ganz abgesehen davon hat sie ihren bleibende», classische» Werth.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/109>, abgerufen am 02.07.2024.